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Quelle: dpa/Kumm

Berliner Abgeordnetenhaus

Die "Corona-Affäre" eines AfD-Politikers als Lehrstück

Der AfD-Politiker Martin Trefzer hat an einer Ausschusssitzung teilgenommen, obwohl ein Corona-Test ausstand. Seine Parlamentskollegen werfen ihm vor, verantwortungslos gehandelt zu haben. Trefzer sagt, er habe sich auf Experten verlassen. Von Sebastian Schöbel

Der Ärger im Abgeordnetenhaus am vergangenen Dienstag war ziemlich groß, als Martin Trefzer von der AfD bekannt gab: Er wurde positiv auf das Coronavirus getestet. Denn Trefzer hatte kurz davor noch an der konstituierenden Sitzung des neuen Untersuchungsausschusses zur Gedenkstätte Hohenschönhausen teilgenommen.

"Überaus unkollegial" sei das gewesen, schimpft der SPD-Abgeordnete Christian Hochgrebe. Sabine Bangert von den Grünen, die Vorsitzende des neuen Ausschusses, wirft Trefzer vor, "verantwortungslos" gehandelt zu haben. Die Linken-Abgeordnete Anne Helm begibt sich vorsorglich in Heim-Quarantäne, "da ein Abgeordneter trotz COVIDー19 Verdacht in einer Sitzung war, an der ich auch teilgenommen habe". Gemeint ist Trefzer. Gegen den müsse man jetzt eigentlich gleich auch Anzeige erstatten, schlug ein Twitter-Nutzer Helm vor. Es ist noch eine der freundlicheren Reaktionen.

Der Vorwurf an den AfD-Mann lautet: Er habe sich nicht zu Hause isoliert, obwohl er auf ein Corona-Testergebnis wartete, und damit sein Umfeld in Gefahr gebracht. Diverse Medien greifen den Fall auf, sprechen von "Corona-Ärger" und wiederholen den Vorwurf: Politker demonstriert Verantwortungslosigkeit in Zeiten der Virus-Krise.

"Einfach nur schäbig"

Martin Trefzer ist gerade recht gut zu erreichen: Er sitzt daheim und wartet auf die Ausheilung seiner Covid-19-Erkrankung. Auch von ihm hört man die Formulierung "extrem unkollegial" - allerdings meint er damit die Reaktion der anderen Abgeordneten. Die hätten ihn nämlich öffentlich als rücksichtslosen Coronavirus-Verbreiter hingestellt. "Den Versuch, meine Corona-Erkrankung wider besseren Wissens für parteipolitische Spielchen zu missbrauchen, empfinde ich einfach nur als schäbig."

Es ist eine Anekdote aus dem politischen Teil der Corona-Krise, die zeigt, wie sehr das Virus die sozialen Beziehungen insgesamt belastet: Weil niemand genau weiß, wie man sich zu verhalten hat, klammert sich jeder an das, was er für richtig hält. Im schlimmsten Fall führt das zu immer mehr Infektionen. Es können aber auch einfach eine ganze Reihe Missverständnisse entstehen - und im Internetzeitalter gibt es den Shitstorm dann gleich dazu.

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Entwarnung der Verwaltung

Doch der Reihe nach. Den Anfang nimmt die Geschichte bei einem Termin im Parlament am 9. März. Bei einem Empfang mit dem israelischen Botschafter Jeremy Issacharoff wird ein Bild der Holocaust-Überlebenden Margot Friedländer enthüllt. Viele Abgeordnete sind da, auch der Regierende Bürgermeister Michael Müller, Wirtschaftssenatorin Ramona Pop und Kultursenator Klaus Lederer. Alle drei lassen sich später wegen des Termins auf das Coronavirus testen, Müller und Pop gehen sogar kurzzeitig in häusliche Quarantäne.

Denn bei Botschafter Issacharoff wird Tage später Covid-19 festgestellt. Das Plenum in dieser Woche wird abgesagt. Am Abend des 18. März werden alle Gäste der Veranstaltung darüber informiert - darunter auch Trefzer. Ihm sei direkt am Folgetag um 10 Uhr ein Coronatest angeboten worden, sagt Trefzer. "Von diesem Angebot habe ich selbstverständlich Gebrauch gemacht." Symptome habe er allerdings keine gehabt, sagt Trefzer.

Eine Stunde nach dem Test, am 19. März um 11:09 Uhr, kommt dann eine Email der Parlamentsverwaltung. Sie liegt rbb|24 vor. Darin steht, dass die Amtsärzte "nach eingehender Analyse zu der Einschätzung gelangt sind, dass für die Gäste unseres Hauses am 9. März ausgeschlossen werden kann, dass ein Infektionsrisiko bestand". Dewegen seien "sämtliche Überlegungen über weitere Maßnahmen hinfällig, die Möglichkeit etwaiger behördlicher Anordnungen ist damit ebenfalls obsolet".

Die Verwaltung bittet noch um Verständnis, dass personenbezogene Daten erhoben werden mussten. Die Situation sei "hochkomplex", man habe schnell handeln müssen. "Wir bitten diejenigen unter Ihnen, denen wir damit unbeabsichtigt Sorgen bereitet haben, um Nachsicht."

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"Sie können sich meine Überraschung vorstellen"

Für Martin Trefzer ist die Sache damit eigentlich erledigt. "Ich war nach dieser Mail fest davon ausgegangen, dass ein Infektionsrisiko nicht mehr gegeben war." Also machte er weiter wie bisher. Am 24. März ging er dann auch wie geplant zur ersten Sitzung des neuen Untersuchungsausschusses: Der soll die Vorgänge rund um den geschassten Ex-Direktor der Gedenkstätte Hohenschönhausen aufarbeiten.

Nach der Ausschusssitzung klingelt Trefzers Telefon. Ein Arzt des Tropeninstituts, wo er seinen Coronatest machen ließ, ist dran. "Sie können sich meine Überraschung vorstellen, als er mir sagte, mein Test wäre positiv ausgefallen." Er habe daraufhin umgehend das Parlament und mögliche Kontaktpersonen der letzten 14 Tage informiert "und mich in häusliche Quarantäne begeben".

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"Kann gefährlich für andere werden"

Sabine Bangert war auch beim Treffen mit dem Botschafter, doch die Mail der Verwaltung habe sie nie bekommen. "Da ich keinerlei Kontakt hatte und weit weg saß", so die Grünen-Politikerin. Von anderen Personen, die einen Test gemacht haben, wisse sie aber, dass sie bis zum Vorliegen des Testergebnisses in häusliche Isoaltion gebeten wurden. "Selbst wenn keine Aufforderung ergeht, halte ich es für selbstverständlich beziehungsgsweise verantwortungsvoll, Kontakte zu meiden, bis das Ergebnis vorliegt", sagt Bangert. "Dass Herr Trefzer dies nicht für notwendig erachtet hat, ist rücksichtslos und kann dann auch gefährlich für andere werden."

Better safe than sorry

Was tun, wenn aus dem eigenen Umfeld jemand mit Corona infiziert wird? Sabine Bangert schätzte ihr eigenes Infektionsrisiko als gering ein, verzichtete auf die Isolation und Corona-Test und arbeitete weiter. Trefzer tat das auch, ließ sich aber vorsorglich testen und vertraute auf eine Einschätzung von Amtsärzten, die sich - zumindest für ihn persönlich - später als falsch herausstellte.

Es ist eine Situation, in die nun viele Menschen kommen: Stimmen die Prognosen, wird sich ein Großteil der Bevölkerung mit dem Virus infizieren. Dann kennt jeder jemanden, der krank ist oder krank war. Und jeder muss für sich selbst entscheiden: War mein Kontakt zu eng? Muss ich mich testen lassen? Oder glaube ich der Einschätzung von Experten - die sich eventuell täuschen?

Dass am Ende jeder mit seiner Entscheidung Unrecht haben kann, ist die eigentliche Lehre aus dem Fall Martin Trefzer. Wirklich sicher ist beim Coronavirus am Ende nur eine Entscheidung: Die, seiner eigenen Einschätzung zu misstrauen und lieber übervorsichtig zu sein.

Beitrag von Sebastian Schöbel

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