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Quelle: dpa

Beträchtlicher Meldeverzug durch Feiertage

Weit mehr Corona-Tote in Berlin als offiziell bekannt

Der Berliner Senat meldete Dienstagabend 62 Corona-Tote. Doch die Statistik hinkt der Wirklichkeit hinterher: Nach rbb-Recherchen starben weit mehr Menschen in Berliner Krankenhäusern und Pflegeheimen an Covid-19. Von Robin Avram

Offiziell ist Berlin bislang vergleichsweise glimpflich durch die Corona-Pandemie gekommen. "62 an dem neuartigen Coronavirus erkrankte Patient*innen sind bislang verstorben", meldete die Senatsverwaltung für Gesundheit per Pressemitteilung am Dienstagabend. Damit starben in Berlin pro Einwohner nur rund halb so viele Menschen an Covid-19 wie im Bundesdurchschnitt.

Doch Recherchen von rbb|24 zeigen: Die tatsächliche Zahl der Corona-Toten in Berlin ist weit höher – das ergibt sich aus internen Sterbestatistiken der Berliner Krankenhäuser und Pflegeeinrichtungen, die rbb|24 vorliegen.

Dafür gibt es plausible Erklärungen, vertuscht wird hier nichts – dennoch ist die statistische Verzerrung ein Problem in Zeiten, in denen über Lockerungen der Maßnahmen gegen die Corona-Pandemie entschieden wird. Denn während bei den Infiziertenzahlen unklar ist, wie hoch die Dunkelziffer ist, gelten die Todeszahlen als harte Währung bei der Beurteilung, wie weit die Pandemie fortgeschritten ist. "Wenn wir die Sterblichkeitsrate der Krankheit wirklich erfassen wollen, dann brauchen wir transparente Zahlen", bekräftigt Wolfgang Albers (Linke), Vorsitzender des Gesundheitsausschusses im Abgeordnetenhaus, auf Anfrage von rbb|24.

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Ursächlich für die Untererfassung sind in erster Linie Meldeverzüge über die Osterfeiertage. "Heute wurden zahlreiche Meldungen von (…) Todesfällen der letzten Tage nachgemeldet (…) Da in vielen Einrichtungen die Verwaltungen am Wochenende nicht anwesend ist, wurden die Meldungen mit ein bis zwei Tagen Verspätung übersandt," heißt es in einem senatsinternen Bericht vom Dienstagabend zur Lage in den Berliner Pflegeheimen.

Und weiter: "Bedauerlicherweise hat sich die Zahl der Verstorbenen über das lange Wochenende von insgesamt 11 auf 26 Bewohner drastisch erhöht." Auch die Berliner Krankenhäuser meldeten über Ostern einen starken Anstieg der klinisch verstorbenen Covid-19-Patienten: Die Totenzahl stieg laut interner Krankenhausstatistik seit Gründonnerstag von 48 auf 78.

Dieser starke Anstieg spiegelt sich jedoch nur zum Teil in den offiziellen Zahlen wieder.

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"Dunkelziffer, die wir nun aufarbeiten werden"

Auch hier sind Meldeverzüge wegen der Osterferien die wahrscheinlichste Ursache. "Die behandelnden Ärzte haben einen Tag Zeit, den Gesundheitsämter die Verstorbenen zu melden, die Gesundheitsämter einen weiteren Tag, um die Meldung an die Landesämter für Gesundheit weiterzuleiten – und die Landesämter dann nochmal einen Tag, um die Zahlen an das Robert Koch-Institut zu melden", erklärt Gabriel Hesse, Sprecher der Brandenburger Gesundheitsministerin Ursula Nonnemacher (Grüne) telefonisch den langatmigen Meldeweg. "Wir haben auch in Brandenburg bei den Corona-Toten auf jeden Fall eine Dunkelziffer, die wir nun aufarbeiten werden", sagt Hesse.

Auch die Gesundheitsämter anderer Bundesländer bestätigen auf Anfrage das Phänomen des Meldeverzugs. “Die Meldung erfolgt in der in Bayern weiterhin dynamischen Situation nicht immer am gleichen Tag, d. h. es kann teilweise zu einer gewissen Verzögerung und in der Folge zu einer nachträglichen Veränderung der Zahlen für einige Meldetage kommen“, schreibt das Bayerische Landesamt für Gesundheit.

Das nordrhein-westfälische Gesundheitsministerium hat schon vor den Osterferien vorgesorgt: Zusätzlich zu den offziellen Todeszahlen veröffentlicht das Landeszentrum für Gesundheit noch bis Sonntag sogenannte ungeprüfte Direktmeldungen der unteren Gesundheitsbehörden. Die Differenz ist beachtlich: 589 offiziellen Corona-Toten in NRW stehen 661 direkt gemeldeten Corona-Tote gegenüber – ein Plus von zwölf Prozent. "Die Direktzahlen sind schneller verfügbar, aber weniger belastbar", erläutert der Behördensprecher. Dennoch hat die Behörde sie veröffentlicht – wohl auch, um gar nicht erst in den Verdacht zu geraten, dass da etwas verheimlicht werde.

Verwaltung argumentiert, einige Kliniktote stammen gar nicht aus Berlin

Der Oster-Meldeverzug bei den Corona-Toten ist also ein bundesweit bekanntes Phänomen. Die Pressestelle der Berliner Gesundheitssenatorin Dilek Kalayci (SPD) tut sich dennoch schwer damit, das auch offen zu kommunizieren. Danach gefragt, warum die Krankenhäuser 78 Tote melden, die offizielle Statistik aber nur 62 Tote abbildet, heißt es schriftlich: "Das Meldesystem der Krankenhäuser zählt alle Toten (…) Die in unserem täglichen Bericht veröffentlichten (…) Fallzahlen stammen aus dem Meldesystem der Gesundheitsämter, in dem nur die Fälle von Berlinern gezählt werden."

Mit anderen Worten: Von den 78 Klinikentoten müssen auch welche abgezogen werden, weil sie nicht in Berlin wohnten. Das diese Zahl "auswärtiger" Toter sonderlich groß ist, erscheint nicht plausibel. Denn trotz des Aufnahmestopps im Potsdamer Ernst von Bergmann-Klinikum: In den Berliner Kliniken würden nur sehr wenige Brandenburger Covid-19-Patienten behandelt, sagt Ministeriumssprecher Gabriel Hesse. "Unser Ziel ist es, Brandenburger auch in Brandenburger Kliniken zu behandeln. Dafür haben wir auch noch genügend Intensivbetten frei", so Hesse.

Erst auf Nachfrage räumt die Pressestelle der Berliner Gesundheitsverwaltung ein: "Bei Meldungen der Gesundheitsämter kann es auch zu Meldeverzögerungen und Änderungsmeldungen (z.B. über die Osterfeiertage) kommen." Wie viele der 78 in Berliner Kliniken verstorbenen Covid-19-Patienten nicht in Berlin wohnten? Und wieviele der 26 Pflegeheimbewohner im Heim verstarben und deshalb zu den Krankenhaus-Toten hinzu gerechnet werden müssen? Diese Fragen beantwortet die Behörde nicht, verweist dabei auf Datenschutzgründe.

Wie hoch derzeit die tätsächliche Anzahl an Corona-Toten in Berlin ist, das wird nach wie vor nicht klar.

"Alle Zahlen sollten so schnell wie möglich transparent auf den Tisch", fordert deshalb Linken-Gesundheitspolitiker Albers. Wenn es nach ihm geht, sollte die Verwaltung auch die Sterbestatistiken der Berliner Krankenhäuser und Pflegeheime öffentlich zugänglich machen.  

Beitrag von Robin Avram

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