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Quelle: dpa/Kappeler

Linksextreme Szene am 1. Mai

"Stay strong, stay rebel!"

Der höchste Feiertag der linksextremen Szene steht vor der Tür. Doch was tun am 1. Mai mitten in der Corona-Krise? Die Szene ist verunsichert und diskutiert seit Wochen. Fest steht aber: Ruhig bleiben soll es nicht. Von Jo Goll

Der in diesen Tagen immer üblicher werdende Mund-Nase-Schutz, ob als Maske oder Tuch, gehörte in der Vergangenheit zu den klassischen Accessoires der linksextremen Szene rund um den 1.Mai. Doch in diesem Jahr scheint alles anders.

"Vermummung" ist kein Alleinstellungsmerkmal mehr und die Sorge um das Abstandsgebot treibt auch die Revolutionäre um. Und so klingen manche Pamphlete aus den Reihen des Bündnisses Revolutionärer 1. Mai Berlin auch ein wenig verzweifelt. Einerseits steht in den einschlägigen Internetforen zu lesen, dass die Aktivisten die Ansteckungsgefahr durch Corona durchaus ernst nehmen und die Aktionen sicher gestalten wollen, um sich selbst und andere zu schützen. Andererseits wird aber in allen Stellungnahmen auf Indymedia, dem Zentralorgan der Szene, betont: Man werde in der Walpurgisnacht und am 1. Mai nicht zu Hause bleiben und Däumchen drehen. Schon gar nicht werde man sich "vom Staat vorschreiben lassen, wie unser Protest aussehen wird".

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Langes Wochenende als Mutmacher

Während der Deutsche Gewerkschaftsbund alle öffentlichen Kundgebungen abgesagt hat, hofft die linksextreme Szene in Berlin für den 1. Mai auf erhöhten Zuspruch der Arbeiterklasse. Denn ihr blieben "als Anlaufstellen der berechtigten Kritik und Wut nur noch etwaige unabhängige autonome Proteste und Demonstrationen" - so jedenfalls die Hoffnung der Linksextremen.

Die Organisatoren setzen auch darauf, dass der 1.Mai in diesem Jahr auf einen Freitag fällt. An einem verlängerten Wochenende hätten Werktätige mehr Zeit, um am Abend "länger an den Protesten teilzunehmen", heißt es. Die Szene macht sich Mut.

Geradezu dankbar zeigt sich das Bündnis für die Absage des MyFestes auf dem Kreuzberger Mariannenplatz. Dieses "Ballermann-Fest mit teils Tausenden Konsumidiot*innen" sei ohnehin nur von Senat und Polizei eingeführt worden, "um die Proteste am 1. Mai zu ertränken und isolieren".

Die Szene ist gespalten

Autoren aus dem Kreis der des besetzten Hauses in der Rigaer Straße 94 sind erleichtert, weil in der Corona-Krise der "ganze Party- und Tourirotz" aus der Hauptstadt verschwunden sei. Grünflächen würden jetzt endlich von Leuten genutzt, "die sich nicht um das Verbot sozialer Kontakte kümmern". Ihr Feindbild seien jetzt Polizisten und Mitarbeiter der Ordnungsämter, die inzwischen hochaktiv seien und ständig kontrollieren würden. "Die Schweine paradieren an Orten wo sich 'Unvernünftige' zusammenfinden könnten, Sicherheitsdienste erleben einen Boom, wer sich eine Spionage App aufs Smartphone lädt, soll mit etwas mehr Bewegungsfreiheit belohnt werden."

Ansteckungsgefahr ernst nehmen? Abstandsregeln einhalten? Für die Bewohner der Rigaer Strasse gilt dieser Vorsatz offensichtlich nicht. Stattdessen werden kämpferische Parolen ausgegeben. Man sieht sich als Avantgarde im Kampf um eine "solidarische Gesellschaft und ein selbstbestimmtes Leben". Und dieser Kampf sei mitunter gefährlich, heißt es. Deshalb sei es notwendig, "das eigene Risiko in Kauf zu nehmen, das eine Veränderung der sozialen Beziehungen uns abverlangt".

Quelle: dpa/Moll

Aktivisten der Rigaer Straße als Wortführer

Heißt für sie im Klartext wohl: Maske ab und auf in den Kampf! Mundschutz, Abstandsgebot, Ansteckungsgefahr sind hier kein Thema. Die Positionen angesichts von Corona sind links außen derzeit kaum miteinander vereinbar.

Auch die Berliner Sicherheitsbehörden beobachten in diesem Jahr, dass sich die Linksextremisten bislang nicht darauf verständigen konnten, wie sie den 1. Mai gestalten wollen. "Es gibt eine große Uneinigkeit in der Szene, wie wir sie lange nicht mehr beobachten konnten", konstatiert ein Beamter aus Sicherheitskreisen. "Es gibt auf der einen Seite Leute, die das Virus und die Pandemie als reale Gefahr wahrnehmen. Auf der anderen Seite gibt es da aber auch eine Gruppe, die auch jetzt auf Krawall aus ist und der gerade ein wichtiges Event im Jahreskalender entgeht."

Diese eher aktionsorientierten Berufsrevolutionäre zeigen sich ob der in ihren Augen zu großen Vernunft in den eigenen Reihen ernsthaft enttäuscht. Die Macher des Pamphlets aus der Rigaer Straße schalten inzwischen auf Angriff und gehen diejenigen an, die aus Sorge vor Ansteckungen erwägen, auf größere Aktionen am 1. Mai zu verzichten. "Allerdings gehen auch viele mit den Einschränkungen konform und wünschen sich mehr Überwachung und Kontrolle", heißt es anklagend. Dabei gelte es gerade jetzt in der Krise, den politischen Gegner zu benennen und "den Widerstand auf die Straße zu tragen". Und weiter: "Wer Millionen erpresster Steuereinnahmen in Flughafenbaustellen und barocken Stadtschlössern versenkt, soll ein bisschen Chaos in Berlin erwarten dürfen."

Dezentrale Aktionen

Die Sicherheitsbehörden gehen derzeit angesichts der Zerstrittenheit der Szene beim Umgang mit der Corona-Pandemie eher von kleineren, dezentralen Aktionen aus. Die ganz großen Demos werde es wohl nicht geben, heißt es. Und tatsächlich: Nach Lektüre der Debatten im Netz ist mit kleineren Aktionen wie Besetzungen von Plätzen, Farbschmierereien, Pyrotechnik und anderen Provokationen zu rechnen.  Die Szene wird in den kommenden Tagen verschärft beobachtet, jede Publikation auf den einschlägigen Foren im Netz genau gescannt.

Mit Spannung wird der Montag erwartet. Das Bündnis hat angekündigt, an diesem Tag seine Pläne vorzustellen. Die Sicherheitsbehörden erhoffen sich davon Klarheit, welchen Weg die linksextreme Szene für die Walpurgisnacht und dem 1. Mai einschlagen will.

Sendung: Inforadio, 27.04.2020, 06:00 Uhr

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