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Audio: Inforadio | 17.05.2020 | Miron Tenenberg | Quelle: www.imago-images.de/Friedel

"Epidemiologisch gesehen eine Katastrophe"

Weshalb Asylunterkünfte besonders von Corona betroffen sind

Geflüchtete in Massenunterkünften sind einem hohem Risiko ausgesetzt, an Covid-19 zu erkranken. Gesunde und kranke Menschen werden oftmals gemeinsam unter Quarantäne gestellt. Erleichterungen wären möglich. Aber sind sie gewollt? Von Miron Tenenberg

In den Massenunterkünften für Geflüchtete habe sich bundesweit die Situation massiv zugespitzt, berichtet Lotta Schwedler vom Flüchtlingsrat Brandenburg. Gesunde Menschen wurden mit ihren infizierten Nachbarn unter Quarantäne gestellt, darunter auch Vorerkrankte aus der Risikogruppe. So seien ganze Etagen und Häuser geschlossen worden. Informationen über die Maßnahmen wurden gar nicht oder erst verspätet herausgegeben, sagt sie. Das hinterließ Ratlosigkeit und Verunsicherung.

Die Lage scheint sich nicht zu ändern. Und das, obwohl in Sachsen bereits gerichtlich geklärt wurde, dass Massenunterkünfte gesundheitsgefährdend sind [mdr.de]. Und auch die Caritas sagt: "Sie sind epidemiologisch gesehen eine Katastrophe." Durch fehlende Hygieneartikel wie Desinfektionsmittel oder Gesichtsmasken, werde zudem die Verbreitung gefördert und der Tod von Risikopatienten in Kauf genommen. Das ärgert Lotta Schwedler, denn sie mahnt nicht erst seit der Corona-Pandemie die Krisenanfälligkeit von derartigen Gemeinschaftsunterkünften an. "Die Diskriminierung, die durch diese Strukturen aufrechterhalten wird - Ausgrenzung, geringere Versorgung, auch medizinische Versorgung - fällt jetzt in Corona-Zeiten besonders auf."

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Menschen in Massenunterkünften sind prinzipiell am stärksten gefährdet

Das Büro von Katarina Niewiedzial, der Beauftragten für Integration und Migration des Berliner Senats, äußerte sich auf Nachfrage dazu nicht. Laut dem Robert Koch-Institut (RKI) gehören die Wohnheime zu den Orten, an denen die Infektionsgefahr besonders hoch ist [tagesschau.de]. Tatsächlich fehle es aber an Aussagekraft, da darunter Alten- und Pflegeheime, Gefängnisse, Obdachlosenunterkünfte und Unterbringungen für Geflüchtete fallen.

Lotta Schwedler wundert sich jedoch nicht über die hohen Fallzahlen. Da es an verständlichen Informationen fehle, lehnten viele Asylsuchende die vorgeschriebenen Schutzmaßnahmen ab. "Die bekommen dann vier Seiten in einem Beamtendeutsch, das für jeden schwer zu verstehen ist", sagt sie. "Der Grund, warum viele Leute verunsichert sind und es schwierig finden, die Auflagen der Behörden einzuhalten, ist, dass es keine Mehrsprachigkeit gibt."

Geflüchtete sind wieder auf sich selbst gestellt

Wegen der Kontaktsperre brechen viele Unterstützungsstrukturen und Initiativen weg, Betreuungs- und Beratungsangebote sind eingeschränkt. Dabei wären sie gerade jetzt dringend nötig.

So hat es auch Nde Nzougou Barthelemy aus Kamerun erlebt. Der 42-Jährige ist mit einem anderen Mann in einem 15-Quadratmeter-Zimmer in einer Gemeinschaftsunterkunft in Hennigsdorf (Oberhavel) untergebracht. Mitte April wurde ohne Ankündigung sein ganzes Haus unter Quarantäne gestellt. Er erfuhr davon, als er vom Frühdienst als Altenpfleger in seine Unterkunft zurückkam.

"Ich habe ein bisschen geschlafen und ich wollte einkaufen gehen und die Sicherheit hat mir gesagt: 'Du darfst nicht raus. Das ganze Haus ist jetzt unter Quarantäne.'" Auf seiner Arbeitsstelle wäre Nde Barthelemy negativ auf das Coronavirus getestet worden und daher auch weiterhin für Dienste eingeteilt gewesen. Diese hätte er dann kurzfristig absagen müssen. Zudem habe er keine Lebensmittelvorräte gehabt. Zwar konnten die Bewohner der Gemeinschaftsunterkunft Einkaufsbestellungen aufgeben, doch die waren ohne Preise versehen und so wurden sie von vielen aus Angst vor zu hohen Rechnungen abgelehnt. Seine Kollegen halfen Barthelemy mit Lebensmitteln durch die Quarantäne.

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Eine Verbesserung der Lage wäre möglich

Ausgerechnet als er unter Quarantäne stand, steckte Nde Barthelemy sich mit dem Coronavirus an. Das ärgert ihn, da er eigentlich ausziehen will. Durch seine Arbeit im Gesundheitssektor könne er sich eine eigene Wohnung selbst finanzieren. Doch die zuständige Behörde erlaubt ihm nicht ausziehen. Seit sechs Jahren wohnt Barthelemy in der Unterkunft. Jetzt muss er zusätzlich ein Armbändchen tragen, um die Unterkunft frei betreten zu dürfen. Auf der Straße sei er deswegen bereits schief angeschaut worden. Er empfindet das als Diskriminierung.

Günter Burkhardt von Pro Asyl sieht im Umgang mit Geflüchteten ein System. "Man will die Menschen nicht in Wohnungen unterbringen", sagt er. Der Grund dafür sei die Dublin-Regelung, nach der Geflüchte in dem Land Asyl beantragen sollen, in dem sie die EU zuerst betreten. Für viele ist das nicht Deutschland. "Man hat gesagt: Die lassen wir schön alle schmoren in den Großunterkünften, eineinhalb Jahre lang, bis wir sie wieder abschieben können - nach Italien, nach Griechenland", sagt Burkhardt. "Nur das ist jetzt während der Pandemie völlig surreal."

Quelle: Nde Nzougou Barthelemy

Fehler wiederholen sich

Burkhardt versteht nicht, mit welcher Perspektive die Politik die Menschen hinhalte.
"Es ist ein Irrwitz zu glauben, dass Tausende, die jetzt hier Asyl gefunden haben, wieder zurückkehren nach Afghanistan oder Syrien." Sie würden in einer Warteposition hängen gelassen, ohne dass sich ihr Status verfestige, um zu verhindern, dass die Asylsuchenden sesshaft werden, glaubt er. "Damit wiederholen sich die Fehleinschätzungen der Anwerbung von Arbeitsmigranten aus den 60er- und 70er-Jahren."  

Beitrag von Miron Tenenberg

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