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Quelle: dpa/Sebastian Gollnow

Interview | Elternvertreter verfassen "offene Mail" zur Schulöffnung

"Die Kinder leiden extrem unter der Planlosigkeit"

Die Elternvertreter einer Spandauer Grundschule haben sich mit einer "offenen Mail" an die Berliner Politik gewandt: Die Planlosigkeit in Sachen Beschulung müsse ein Ende haben, die Kinder litten sehr darunter. Sie fordern ein Konzept - und Fachleute, die den Schulen helfen.

rbb|24: Herr Ruppin, Sie haben eine "offene Mail" an den Regierenden Bürgermeister von Berlin, Michael Müller (SPD), Bildungssenatorin Sandra Scheeres (SPD) und Bezirkspolitiker aus Spandau geschrieben, die dem rbb vorliegt. Wer sind Sie und was ist ihr Anliegen?

Torsten Ruppin: Ich bin in erster Linie Vater einer Schülerin. Ich spreche allerdings auch für eine Grundschule in Berlin-Spandau. Da bin ich im Vorstand der Gesamtelternvertretung (GEV) und darüber auch Mitglied des Bezirkselternausschusses von Spandau. Mit der "offenen Mail" wollen wir das Problem, das für die Kinder – um die geht es uns hauptsächlich – aufgrund der aktuellen Situation mit der Pandemie entstanden ist, transparent zu machen.

Wir wollen die beteiligten Personen, die auf den Umgang mit der Situation Einfluss nehmen können, dazu bewegen, das Gesamtbild zu betrachten - und nicht nur punktuelle Aufnahmen zu machen und allgemein formulierte Schreiben zu verschicken. Sie sollten einen durchgängigen Plan vorlegen, der alle Klassenstufen und alle Altersstufen berücksichtigt. Sie sollten ein Konzept entwickeln, wie man mit den Schulleitungen und den Lehrkräften zusammen vor Ort für jede einzelne Schule ein spezielles Vorgehen finden kann. Denn wir haben sehr unterschiedliche Gegebenheiten in den einzelnen Schulen. Um die negativen Auswirkungen für die Kinder und natürlich auch für die Erwachsenen – Eltern und Lehrer – so gering wie möglich zu halten. 

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Wer leidet aus Ihrer Sicht am meisten unter negativen Auswirkungen?

Die Kinder leiden extrem. Das mag manch einer kaum glauben und denkt sich, "Das bisschen Home-Schooling und dann frei - klingt nach einer tollen Sache für die Kinder". Das ist nicht so. Ich habe eine siebenjährige Tochter. Sie leidet sehr. Darunter, dass sie ihre Freunde nicht sehen kann, darunter, dass sie ihre Lehrer nicht sehen kann. Inzwischen – nach den Osterferien - sind wir kaum noch in der Lage, sie zum Lernen zu motivieren. Die Kinder fragen warum – wo die Schule doch zu ist.

Meine Tochter fragt ständig: "Papa, wann ist wieder Schule?" Wie soll man einer Zweitklässlerin das schlüssig erklären? Sie kriegt ja in den Nachrichten auch mit, dass es keine klaren Aussagen gibt und Termine immer wieder geschoben werden. Sie hört, dass die Sommerferien auf der Kippe stehen, dass einige Politiker schon sagen, es gehe auch nach den Ferien so weiter. Die Kinder sind verunsichert. Sie leiden - und mit ihnen im Endeffekt auch die Eltern, die die Situation immer wieder versuchen zu erklären - und die auch noch berufstätig sind und nicht wissen, welche Absprachen sie auf welcher Basis mit ihren Arbeitgebern treffen sollen.

Es leiden aber auch die Lehrkräfte. Sie müssen immer wieder mehrere Varianten des Unterrichts planen und vorbereiten – und das alles in einem viel schwierigeren Umfeld. Also für das Home-Schooling, wo einige mit technischem Equipment konfrontiert werden, das sie nicht gewohnt sind. Wir wissen ja um die Problematik bei der Ausstattung der Berliner Schulen mit Computern. 

Was sind denn aus Ihrer Sicht die größten Probleme derzeit?

Meine GEV-Mitstreiter und ich empfinden es als Hauptproblem, dass es keine klaren Aussagen gibt, die über eine Woche oder 14 Tage hinausgehen. Ich nehme mal die Grundschulen als Beispiel. Hier ist klar, dass die sechsten Klassen in der nächsten Woche starten sollen. Dann gibt es eine Aussage für die fünften Klasse, die dann in der Folgewoche hinzukommen sollen. Alle Kinder und Eltern der Klassenstufen eins bis vier werden hier im Stich gelassen. Natürlich kann man die Informationslage interpretieren – und daher gehen alle davon aus, dass es vor den Sommerferien keinen regulären Schulbetrieb mehr geben wird. Aber dennoch: Wie stellen sich die Zuständigen unter welchen Bedingungen – auch unter Berücksichtigung des Verlaufs der Pandemie – vor, dass der Schulbetrieb wieder hochgefahren werden kann, mit Präsenzunterricht für alle Altersgruppen?

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Läuft es irgendwo besser – in Deutschland oder auch im Ausland?

Eigentlich nicht. Mein Eindruck ist, dass es überall ähnlich chaotisch läuft. Dass da auch grobe Regelungen erstellt und an die Schulleitung kommuniziert werden. Und die muss mit der Lehrerschaft schauen, wie sie diese umsetzt. Auch da scheint es oft keine Aussagen für die jüngeren Altersstufen zu geben. 

Sie haben in Ihrer "offenen Mail" den Fall eines schnaubenden Kindes und seines etwas absurden Toilettengangs unter Einhaltung der Hygienemaßnahmen skizziert…

Wir verstehen den Hygieneplan in so einem Fall so: Schnaubt ein Kind und die Lehrkraft muss im Anschluss, weil ja die Hände involviert waren, sicherstellen, dass das Kind sich – um die Hygienevorschriften einzuhalten – die Hände waschen muss, muss sie es im Zweifelsfall ja sogar zu den Toiletten begleiten – sofern sie nicht sicherstellen kann, dass dieser Weg unter Einhaltung aller Abstandsregeln zurückgelegt werden kann. Wenn dann die Toilette erreicht ist, und auf diesem Weg werden ja im Regelfall auch Türen durchquert, bei denen man die Klinke berührt, müssen sich beide – Kind und Lehrer – die Hände waschen. Und dann kommt es zu einer Art Kreislauf: Wenn auf zu ihrem Rückweg zum Klassenraum wieder eine Türklinke oder ein Geländer berührt wird, müssen sie gemäß des Hygieneplans sofort wieder umdrehen und sich die Hände erneut waschen. Man kann fast sagen: Wer einmal zur Toilette muss, kommt kaum noch zurück in die Klasse. 

Was fordern Sie von den angeschriebenen Politikern?

Es muss dringend ein Zeitplan erstellt werden, der alle Altersstufen und alle Schüler beinhaltet und der allen Altersstufen gerecht wird. Und nicht nur einzelne Gruppen. In den vergangenen Tagen ging es viel um die Schüler mit besonderem Förderbedarf. Klar ist, dass man für die Schüler natürlich auch spezielle Pläne entwickeln muss. Man muss aber insgesamt und für alle schauen, wie man den bereits entstandenen Rückstand wieder schließen kann. Aber man darf den Schulen nicht nur einen Masterhygieneplan – der im Detail stellenweise widersprüchlich und kaum umsetzbar ist - schicken , sondern ihnen mit Fachleuten vor Ort helfen. Diese Fachleute müssen sich die Gegebenheiten gemeinsam mit den Lehrern und der Schulleitung anschauen und dann entscheiden, wie an genau dieser Schule mit ihren Bedingungen was wie umgesetzt werden kann.

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Gab es denn auf Ihre Mail schon eine Reaktion?

Ja, wir haben eine Antwort von Frau Mattig-Krone bekommen, der Qualitätsbeauftragten von Frau Scheeres. Da wurde uns bestätigt, dass die Richtung, in die wir denken, auch die der Senatsverwaltung ist. Dass es aber verschiedene politische Strömungen gebe, die unter einen Hut gebracht werden müssten. Wir sollten durchhalten, hieß es, und dass man hoffe, dass es in der kommenden Woche klarere Aussagen gebe. 

Vielen Dank für das Gespräch.

Das Interview führte Sabine Prieß.

Sendung:  Radioeins, 04.05.2020, 08.38 Uhr

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