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Quelle: dpa/Paul Zinken

Tag der Wohnungslosen

Sorge um Berliner Obdachlosenbetreuung im Corona-Winter

Obdachlose gehören wegen ihrer meist sehr schwachen Gesundheit in der Corona-Pandemie zu den Risikogruppen. Zwar gibt es auch für sie Hilfen. Doch viele Angebote – etwa zusätzliche Unterkünfte - sind wieder gestrichen worden. Und der Winter naht. Von Stefan Ruwoldt

Am Freitag, 11. September ist Tag der Wohnungslosen.

Dieser Beitrag ist erstmals am 2. September erschienen.

"Sie kamen mit Hunger und mit tausend Fragen, nein: Sie waren ausgehungert, ja verzweifelt." Und sie wollten Masken, wie Jörg Richert sagt. Der Geschäftsleiter der Berliner Karuna Sozialgenossenschaft spricht über Berlins Obdachlose und ihre besondere Lage durch die Coronapandemie. Er steht im Café Pavillon am Boxhagener Platz, einer kleinen Einrichtung für kostenlose Essenausgabe an Bedürftige. Richter telefoniert, beantwortet nebenbei Fragen und hält hin und wieder sein Handy zur Seite, um kleine und große Hinweise zu geben. "Eigentlich ist der Zustand von davor erreicht: Alle sind wieder draußen."

Jörg Richert, der Geschäftsführer der Sozialgenossenschaft Karuna. | Quelle: imago images/F. Boillot

Hilfen unter besonderen Bedingungen

Obdachlose gehören überwiegend zu den durch die Pandemie besonders gefährdeten Gruppen. Sie sind meist im fortgeschrittenen Alter, haben sehr oft erhebliche Vorerkrankungen und fast alle eingeschränkte Widerstandskräfte. Wegen all dieser Gründe hatten die Berliner Behörden im Frühjahr reagiert.

Es wurde eine Quarantänestation für mögliche und tatsächliche Infektionsfälle unter Obdachlosen eröffnet sowie Unterkünfte im Tiergarten in der Kluckstraße und in der Storkower Straße in Pankow eingerichtet. Außerdem wurden Teams rausgeschickt, die kleine Geldbeträge an Obdachlose zahlten, weil die Versorgungsketten aufgrund der Pandemie nicht mehr funktionierten. Denn es gab weniger Spenden, viele Essensausgaben waren eingeschränkt geöffnet oder ganz geschlossen. Einnahmen durch Flaschensammeln waren kaum mehr möglich und in den Notübernachtungseinrichtungen und Sozialunterkünften kam nur noch ein Teil der Obdachlosen in Berlin unter aufgrund der nun notwendig gewordenen Abstands- und Hygienemaßnahmen.

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Mehr Hygiene, mehr Platz, höhere Kosten

Doch das sei jetzt fast alles vorbei, sagt Richert. "2.000 Obdachlose leben in Berlin" - das hatte die erste offizielle und sehr aufwändige Zählung für Berlin im vergangenen Winter ergeben. 2.000 Obdachlose, für die die Notunterkünfte in Berlin vor der Pandemie schon nicht ausreichten und für die es im kommenden Winter noch härter wird. Unter den nun mit der Coronapandemie gültigen Standards braucht es mehr Platz, um für mehr Hygiene zu garantieren. Es dürfen nun nur noch wenige Obdachlose gemeinsam untergebracht werden und all diese Versorgungszusätze machen die Unterkünfte nun erheblich teurer.

Ein erster Eindruck, aber noch nicht von Zahlen belegt

Und es gibt möglicherweise ein weiteres Problem, erklärt Richert: "Es ist erst ein Eindruck, aber der ist durch viele Beobachtungen erhärtet: Gerade aus osteuropäischen Ländern sehen wir nun wieder mehr Obdachlose in Berlin, weil dort die Lebenssituation für sie nun noch schlimmer ist als vor der Pandemie." Berlins Sozialsenat bestätigt eine solche Zunahme zwar nicht, doch Werena Rosenke, Geschäftsführerin der Bundesarbeitsgemeinschaft Wohnungslosenhilfe (BAGW) teilt – bei aller Vorsicht, wie sie betont - die Beobachtung von Karuna-Geschäftsleiter Richert: "Es fällt hier in Berlin sehr auf, dass ein großer Teil der Straßenobdachlosigkeit Menschen aus osteuropäischen Ländern betrifft." Doch auf ganz Deutschland betrachtet sei dieser Anteil sehr gering.

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Sorge um mögliche Vollstreckungen und Rausschmisse wegen Mietverzug

Ein wichtiger Schritt für die Versorgung der Obdachlosen sei zum einen die Bereitsstellung der Notunterkünfte auch unter den neuen Hygienebedingungen, sagt Werena Rosenke. Mindestens ebenso wichtig aber sei auch der weitere Verzicht auf Vollstreckungen, also Rausschmisse bei Mietverzug. Zwar sei dieser Verzicht in Berlin durch eine Empfehlung des Senats geschehen, doch gebe es bislang keine weiteren Erklärungen der Berliner Justiz, die natürlich unabhängig sei und der man solch einen Verzicht nur schwerlich anweisen könne.

Die Gefahr von Wohnungsverlust und Wohnungslosigkeit steige derzeit eher, weil für viele die schwierige Lage durch Job- oder Einnahmeverluste jetzt nach den ersten Monaten möglicher Überbrückungen nun akut werde, so Werena Rosenke.

Sozialarbeit aufwändige und damit natürlich auch teurer

Hinzu kämen weitere, bislang kaum zu regelnde Ausfälle in der Versorgung, so Werena Rosenke. Tagesaufenthalte Obdachloser seien aufgrund der Schließung der Einrichtungen eingeschränkt. Statt Gespräche zu führen, müssten Sozialbetreuer unter Umständen nun Lunchpakete verteilen, Beratungen müssten neu und durch die Hygienemaßnahmen aufwändiger organisiert werden und dem Gesundheitsschutz gelte es nun noch mehr Aufmerksamkeit zu geben. Eine hohe Priorität aber habe nun vor dem Winter die Unterbringung: "Besser einzeln als eng bei eng beieinander! Und die Unterbringungskapazitäten müssen ausgebaut werden“, sagt Werena Rosenke.

Pandemiebedingter Anstieg der Obdachlosigkeit befürchtet

Unterstützt wird Werena Rosenkes Sorge um einen Anstieg der Obdach- und Wohnungslosenzahlen von Lars Schäfer, Referent für Wohnungsnotfallhilfe bei der Diakonie Deutschland. Es käme mittelfristig zu einem Anstieg der Wohnungslosen und in der Folge auch der Obdachlosen. Um diese Entwicklung zu stoppen, brauche es nun Lösungen, weil durch die Pandemie die Ursachen für solche sozialen Notlagen vervielfacht wurden.

Wenn durch Corona nun die Träger ihre Angebote reduzieren müssten, hätte dies fatale Folgen: "Obdachlose selbst - die können nicht reagieren." Hinzu komme, dass durch die Pandemie die prekäre Lage Wohnungsloser, also von Menschen ohne eigene Wohnung aber mit einem Dach über dem Kopf, eskaliere: "Wohnungslose eben ohne eigenen Mietvertrag, die in Zimmern oder in Wohnungen bei Verwandten, Freunden oder Bekannten wohnen, verlieren jetzt in diesen Zeiten nicht selten ihr Dach überm Kopf." Etwa wenn die Wohnungsinhaber nun vielleicht selbst arbeitslos werden, oder von zu Hause arbeiten, den Platz brauchen. "Und die dann sagen: Nein, hier nicht mehr!"

Das Café Pavillon am Boxhagener Platz gibt kostenlos Essen an Bedürftige aus. | Quelle: imago images/Christian Behring

Die große Lehre: "Aktives Mitgefühl" statt "Hilfeverteilung"

Als große Lehre aus den ersten Monaten der Pandemie nennt Karuna-Geschäftsleiter Jörg Richert "aktives Mitgefühl statt Hilfenverteilung": "Die Menschen müssen in Bewegung bleiben." Wichtig sei nun, auch die Menschen zu ermuntern, sich zu bewegen, auch unter den Coronabedingungen. Und darum müssten die Hilfsangebote von Beratung, von Beschäftigung, von Wiedereingliederung, von betreutem Wohnen und dem Wieder-eine-Wohnung-finden erhalten und noch ausgebaut werden.

Zusätzlich zu der in wenigen Wochen steigenden Kältehilfe brauche es darum diese wichtigen Betreuungsangebote: "Es gibt Einrichtungen, die hatten vorher 50 Plätze für die Nacht, dort sind unter den neuen Bedingungen noch 15", erläutert Richert die neuen Einschränkungen. Die Kosten aber blieben die gleichen. Da könne man sich ausrechnen, was nun nötig sei.

Sozialsenatssprecherin Karin Rietz äußert sich nur vorsichtig über die Vorbereitung der Kältehilfe: "Dies stellt das System vor einige Herausforderungen, trotzdem sind wir mehr als zuversichtlich, auch in diesem Winter die volle Platzzahl anbieten zu können“, sagt sie rbb|24.

Als "unklar" allerdings könnte man deuten, was Karin Rietz als Sprecherin von Sozialsenatorin Elke Breitenbauch über die Finanzierung der mit Sicherheit ansteigenden Kosten der Sozialbetreuung sagt: "Bisher wurden die erforderlichen, höheren Ausgaben im Rahmen der Haushaltswirtschaft erbracht. Über die Kosten für die kommende Kältehilfesaison wird im Rahmen der aktuellen Beratungen zum Nachtragshaushalt gesprochen."

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Beitrag von Stefan Ruwoldt

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