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Video: Brandenburg Aktuell | 25.10.2019 | M. Schon/I. Alboga | Quelle: dpa/M. Skolimowska

Neue Regierung für Brandenburg

"Wir gehen alle als Gewinner vom Platz"

SPD, CDU und Bündnis90/Die Grünen haben ihren Koalitionsvertrag vorgestellt. Die drei Verhandlungsführer betonten, es habe große Schnittmengen gegeben, sei es bei Pflege, Kitas, Polizei oder Regionalförderung. Scharfe Kritik kommt unterdessen von der Linken.    

SPD, CDU und Grüne in Brandenburg haben am Freitag ihren 84-seitigen Koalitionsvertrag vorgestellt. "Wir haben viele Hundert Stunden damit verbracht, einen guten Koalitionsvertrag für unser Land zu schreiben", sagte Ministerpräsident Dietmar Woidke am Freitag auf einer Pressekonferenz in Potsdam. "Wir haben viele Vorhaben, die unser Land voranbringen sollen", erklärte er. Woidke sprach von einer "Koalition der Mitte, der großen Mehrheit der Menschen".

Als wichtige Themen der künftigen Legislaturperiode nannte Woidke die Stärkung der Pflege älterer Menschen, die Beitragsfreiheit in den Kitas für die Betreuung von Kindern ab drei Jahren bis 2024, die Regionalentwicklung und einen "starken Staat" durch eine bessere Ausstattung von Polizei und Justiz. Mit den im Koalitionsvertrag unter dem Titel "Zusammenhalt, Nachhaltigkeit, Sicherheit" verankerten Zielen sollten gleiche Chancen und Perspektiven für alle Brandenburger geschaffen werden, sagte Woidke.

Neu sei, dass man die Region noch stärker in den Fokus nehmen wolle als bisher, sagte der Ministerpräsident dem rbb. "Daher bekommen alle Regionen einen Regionalbeauftragten", kündigte Woidke in Brandenburg aktuell an. Außerdem wolle man gezielt in den Zukunftsbereich des Landes investieren und somit die Perspektiven für die jüngere Generation verbessern. Dazu gehörten, die Infrasturktur auszubauen, sowie bei der klimaneutralen Mobilität und der Bildungsinfrastruktur voranzukommen. "Das ist für die jungen Brandenburger wichtig", so der SPD-Politiker.

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CDU betont Sicherheit als Thema

Der Verhandlungsführer der CDU, Michael Stübgen, betonte indes bei der Vorstellung des Papiers die Bedeutung des Themas Sicherheit. Dieses sei aber nicht allein von der CDU als Thema eingebracht worden, sagte er, sondern liege auch Grünen und SPD sehr am Herzen. Als weiteres wichtiges Thema nannte Stübgen den Umweltschutz.

Ursula Nonnemacher sagte, der Koalitionsvertrag trage eine "deutlich grüne Handschrift". Zentrale Themen im Koalitionsvertrag seien auch grüne Themen, wie Investitionen in ÖPNV und Schiene oder der Beschluss gegen neue Tagebaue. Für die Grünen wichtig seien aber auch Verbesserungen bei Pflege oder Schul- und Kita-Versorgung. Wie Stübgen betonte sie, es gebe ein "Grundverständnis unter den Partnern". "Alle gehen als Gewinner vom Platz, keiner musste Kröten schlucken", so Nonnemacher wörtlich.

Sowohl Woidke als auch Nonnemacher betonten, die Koalition wolle Zukunftsthemen voranbringen: Woidke nannte in diesem Zusammenhang den Ausbau erneuerbarer Energien, Nonnemacher mehr Mitgestaltung durch die Bürger.

Koalitionsvertrag

Der Koalitionsvertrag zum Download

(Quelle: Grüne, Brandenburg)  

Die Basis kommt im November zum Zug

Auf die Frage nach dem Personal der künftigen Landesregierung sagte Stübgen: "Wir haben uns gestern Abend erst auf den Zuschnitt der Ressorts verständigt. Seit gestern Abend ist klar, welche Partei welche Ressorts bekommt." Zur genauen Besetzung gebe es nun Gespräche. Stübgen deutete zugleich an, dass er voraussichtlich Innenminister wird: "Es ist nicht gänzlich ausgeschlossen, dass der neue Innenminister ein Mann ist und ich das bin."

Bei der CDU gibt es demnach zwischen dem 1. und 13. November eine Mitgliederbefragung zum Koalitionsvertrag, nicht aber über die Besetzung von Posten. Am 16. November finde ein Landesparteitag statt. "Spätestens dort werde ich meiner Partei das Personaltableau vorstellen." Der Landespartei werde dann über den Eintritt in die Koalition beschließen.

Nonnemacher wies darauf hin, dass es bei den Grünen eine Urabstimmung über den Koalitionsvertrag und die Personalvorschläge des Landesvorstandes geben werde. Die Unterlagen dazu würden am 5. November versendet - die Abstimmung laufe bis zum 16. November. Das Ergebnis soll am Nachmittag des 18. November verkündet werden.

Woidke verwies in Hinsicht auf Personalfragen auf den außerordentlichen Landesparteitag am 15. November. "Der wird dann final über den Koalitionsvertrag abstimmen."

Landesregierung steht in groben Zügen

Die drei Parteien hatten sich am Donnerstagabend auf letzte Details geeinigt. Dazu gehöre auch die Verteilung der Ministerien, hatte Woidke gesagt. Nach rbb-Informationen bekommt die SPD voraussichtlich unter anderem die Ressorts Wirtschaft und Arbeit. Die CDU übernimmt das Innenministerium von der SPD, wie Woidke bestätigte. Die Grünen besetzen nach rbb-Informationen Landwirtschaft und Umwelt.

SPD:
Staatskanzlei, Finanzen, Wirtschaft und Arbeit, Bildung, Wissenschaft

CDU: Innenministerium, Infrastruktur, Justiz

Grüne: Landwirtschaft und Umwelt, Soziales, Gesundheit, Familie

Stimmen der Verhandlungsführer

Stübgen erklärte zu dem Papier: "Ich freue mich fast grandios, dass wir uns auf diesen Koalitionsvertrag einigen konnten."

Nonnemacher sagte: "Die wunderbare Präambel dieses Koalitionsvertrages unterstreicht, um was es geht. Ich glaube, jemand hat gesagt, sie hat ihn zu Tränen gerührt."

Woidke sprach davon, dass "Mut und Optimismus, Dinge voranzubringen für die Menschen in unserem Land" das Ziel von Rot-Schwarz-Grün sei.

Reaktionen der Opposition

Kritik an Woidkes Wortwahl kam unter anderem von der Linksfraktion im Brandenburger Landtag. Der vielfach beschworene Mut sei in dem vorgelegten Papier nicht erkennbar, hieß es. Der noch amtierende Finanzminister der Linken, Christian Görke, nannte den Kenia-Vertrag überladen. Im rbb sagte Görke, mit diesem Koaltionsvertag habe man allen alles versprochen. Geld sei der Kitt, der das Bündnis zusammenhalten solle. Görke kritisierte vor allem, dass SPD, CDU und Grüne Kredite von einer Milliarde Euro aufnehmen wollen. Stattdessen habe der neue Finanzminister die Möglichkeit, auf eine beachtliche Rücklage von zwei Milliarden Euro zurückgreifen zu können. Damit könne man alle wichtigen Projekte finanzieren, sagte Görke im rbb-Inforadio.

Von Seiten der Partei BVB/Freie Wähler ist von "gehöriger Enttäuschung" die Rede. Der Koalitionsvertrag "ist Ausdruck eines machtorientierten Vorgehens unter Aufgabe zentraler Wahlversprechen und des mangelnden Anpackens drängender landespolitischer Themen", heißt es in einer Mitteilung. Die Partei beklagt unter anderem, dass das Thema BER zu kurz komme. Positiv wurde dagegen die Ankündigung bewertet, einen Kredit in Höhe von einer Milliarde Euro für ein Investitionspaket aufzunehmen.

Der Brandenburger AfD-Landesvorsitzende Andreas Kalbitz sagte dem rbb, es bleibe abzuwarten, was von den Versprechungen übrig bleibe. Die Aufstockung der Polizeibeamten halte seine Partei für einen Schritt in die richtige Richtung. Gleiches gelte für die Investitionen in die Infrastruktur. "Entschieden anderer Meinung sind wir bei der Windkraft, wenn das Vorhaben der Koalition darin besteht, die Windkraftkapazität auszubauen", sagte Kalbitz zu Antenne Brandenburg. Kritisch sehe er außerdem die Ankündigung der CDU, eine sogenannte Taskforce für straffällige Ausländer im Innenministerium zu etablieren. "Das sind Worthülsen, bei denen ich gespannt bin, wie das mit Leben erfüllt wird".

Reaktionen aus Wirtschaft und Umwelt

Der Vorstandsvorsitzende der LEAG, Helmar Rendez, teilte indes mit, dass der Koalitionsvertrag eine deutliche Zäsur für sein Unternehmen darstelle. "Damit würde der geltende Braunkohlenplan Makulatur und unser Lausitzer Revierkonzept in Frage gestellt." Davon betroffen wäre unter anderem die Erweiterung des Tagebaus Welzow-Süd. Der Betriebsrat der Leag sehe Jobs in Gefahr.

Von der IHK Brandenburg heißt es, man befürworte die geplante intensive Abstimmung und Zusammenarbeit von Brandenburg und Berlin  ausdrücklich. Das sagte IHK-Präsident Peter Heydenbluth. Unzufrieden sei man dagegen mit der Absage an ein neues Ladenschlussgesetz. "Sollte man tatsächlich an den bisherigen Regelungen festhalten, ignoriert man aus unserer Sicht völlig die Zeichen der Zeit und hat eine wichtige Chance vertan", teilte Heydenbluth mit.

Der Naturschutzbund Brandenburg (NABU) begrüße den abgeschlossenen Koalitionsvertrag, heißt es in einer Mitteilung. "Tier-, Natur- und Umweltschutz erhalten endlich wieder die angemessene Bedeutung für die Landespolitik" Dennoch bestünden Defizite: "So finden sich im Koalitionsvertrag keine klaren Aussagen zur notwendigen Verstärkung des Waldumbaus, zum Verbot von Pestiziden in Naturschutzgebieten und zu verbindlichen Gewässerrandstreifen, in denen die Ausbringung von Pestiziden und Düngemitteln zum Schutz der Gewässer untersagt wird."

Auch der Landesbauernverband bewertet das Papier nach erster Betrachtung als positiv. Wichtig sei das gemeinsame Bekenntnis zu einer modernen, leistungsstarken Landwirtschaft sowie zu den historisch gewachsenen Brandenburger Agrarstrukturen, teilte der Verband mit. "Mehr Mut hätten wir uns allerdings beim Thema Regionalität gewünscht." Eine regionale Ernährungsstrategie sei nicht nur "klimafreundlich, sie würde den ländlichen Regionen auch hervorragende Entwicklungsperspektiven bieten". Hochproblematisch sei das Thema Pflanzenschutz:  "Ohne finanziellen Ausgleich gefährdet die avisierte Halbierung des Pflanzenschutzmitteleinsatzes die Wettbewerbsfähigkeit vieler landwirtschaftlicher Betriebe."

Kernpunkte des Koalitionsvertrags (Quelle: dpa)

Polizei und Justiz

Die Zahl der Polizisten im Land soll von 8.250 auf 8500 steigen. An den Gerichten sollen jedes Jahr 30 zusätzliche Richter und Staatsanwälte sowie 40 Justizmitarbeiter eingestellt werden, um die Verfahren zu beschleunigen. Im Landtag wird ein Polizeibeauftragter angesiedelt zur Stärkung der Rechte von Polizeibeamten. Für Bürger, die sich von der Polizei unrechtmäßig behandelt fühlen, wird eine Beschwerdestelle geschaffen.

Landwirtschaft

Die Koalition bekennt sich zu einer flächengebundenen, regionalverträglichen und tiergerechten Nutztierhaltung. Die Koalition will bis 2021 eine Nutztierstrategie erarbeiten. Der Anteil der ökologischen Landwirtschaft soll weiter deutlich erhöht werden. Bis 2020 wird auch ein Aktionsplan zum Insektenschutz erarbeitet und bis 2030 der Pestizideinsatz halbiert, so der Plan.

Arbeit

Die Tarifbindung im Land soll gestärkt werden. So wird die Lohnuntergrenze bei öffentlichen Vergaben in Brandenburg rasch auf zunächst auf 13 Euro erhöht.

Internet

Brandenburg soll bis 2025 eine flächendeckende Glasfaser-Infrastruktur erhalten - mit Vorrang für regional bedeutsame Gewerbestandorte. Ziel: Weder "weiße Flecken" ohne schnelles Internet noch "graue Flecken" ohne Glasfaseranschluss.

Energie

Keine neuen und keine Erweiterung bestehender Braunkohletagebaue. Somit sollen auch keine weiteren Dörfer in der Lausitz mehr abgebaggert werden. Geplant ist der Ausbau der Windenergie von derzeit 7.000 Megawatt Leistung bis 2030 auf 10.500 Megawatt.

Verkehr

Die Koalition will den Schienenverkehr ausbauen, das heißt: Mehr Züge und dichtere Taktung. Ziel ist es, an allen Bahnhöfen in Brandenburg werktags mindestens einen Stundentakt im Regionalverkehr einzurichten. Langfristig sollen S-Bahnen in Brandenburg im Zehn-Minuten-Takt verkehren. In den Straßenbau will die neue Landesregierung 100 Millionen Euro und in Radwege 20 Millionen Euro jährlich investieren. Der Anteil des Autoverkehrs soll bis 2030 von derzeit 60 auf 40 Prozent sinken.

Kitas und Bildung

Kinder in den Kitas werden spätestens ab 2024 vom dritten Lebensjahr an beitragsfrei betreut. Zudem sollen in Kitas und Krippen mehr Erzieherinnen für kleinere Gruppen sorgen. In den Schulen sind 400 zusätzliche Stellen für Lehrer, Sozialarbeiter und Verwaltungskräfte geplant, Kinder werden erst ab sechs Jahren eingeschult werden. Besuche in Gedenkstätten der Nazi-Gewaltherrschaft und für Opfer der DDR-Zeit werden Pflicht.

Gesundheit und Pflege

Alle Krankenhausstandorte sollen erhalten bleiben, das Land fördert dies jährlich mit 110 Millionen Euro. In den ländlichen Regionen ist in Kliniken künftig neben der stationären auch ambulante Versorgung geplant. Mit einem Budget von 30 Millionen Euro jährlich will die Koalition die Ausbildung von Pflegefachkräften und Pflegestützpunkten auf dem Land fördern.

Flüchtlinge

Abgelehnte Asylbewerber sollen das Land verlassen. Für Abschiebehaft sollen weiter Plätze in anderen Bundesländern genutzt werden. Reichen diese nicht mehr aus, will die Koalition weitere Maßnahmen prüfen. Für die Abschiebung von straffälligen Ausländer soll eine Task Force gebildet werden.

Die Koalition bekennt sich zur Aufnahme von Flüchtlingen, die aus Seenot gerettet wurden, in Abstimmung mit dem Bund. Im Rahmen von Hilfsprogrammen sollen jährlich 200 Flüchtlinge aus humanitären Notlagen aufgenommen werden. Die Unterbringung von Flüchtlingsfamilien mit Kindern in Gemeinschaftsunterkünften wird auf ein Jahr beschränkt.

Haushalt und Finanzen

Die Koalition will für ihre Vorhaben in den kommenden fünf Jahren 600 Millionen Euro mehr ausgeben, als in der Finanzplanung vorgesehen war. Dazu will Schwarz-Rot-Grün nach vielen Jahren ohne Neuverschuldung einen neuen Kredit in Höhe von einer Milliarde Euro aufnehmen - für zusätzliche Projekte im Nahverkehr, den Neubau von Schulen, Kitas und Wohnungen, das Gesundheitswesen, die Digitalisierung und den Klimaschutz.

Ostdeutsche Interessen

Menschen mit ostdeutscher Biografie sollen über Rückkehrprogramme und Beratungsangebote gezielt Anreize zur Rückkehr erhalten. Neu geschaffene Einrichtungen des Bundes sollen in Brandenburg angesiedelt werden.

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