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Quelle: rbb/Birgit Raddatz

#träumweiter - Radikale Ideen auf dem Prüfstand

Christians Traum: Städte ohne Autos

Sie sind laut, stinken und stehen oft still. Vereine wie "autofrei leben!" oder die Deutsche Umwelthilfe fordern seit Jahren, private Autos aus den Städten zu verbannen. Forscher sagen: Es wäre schon jetzt möglich!

Acht Kilometer pro Stunde. Schneller ist der selbstfahrende Kleinbus-Shuttle "Olli" nicht. Er biegt um die Ecke und bleibt stehen. Ein Auto kreuzt seinen Weg. Ein Problem für den Bus, denn noch kann er Hindernisse nur erkennen, ihnen aber nicht ausweichen. Olli fährt auf dem Gelände des Innovationszentrums der TU. Die BVG und Charité wollen einen solchen Bus ab 2018 testen. Bald, so erträumen es sich die Entwickler, soll er mehrere Menschen gleichzeitig von A nach B transportieren können. "Olli" ist Teil einer Vision – die Vision der autofreien Stadt.

Fahrrad, Bus und Bahn: Wichtige Verkehrsmittel in der Stadt

Einer, der sich dafür einsetzt ist Christian Scherf. Er forscht am Innovationszentrum für Mobilität und gesellschaftlichen Wandel zu Alternativen zum eigenen Auto. "Ein System, das Car- und Bikesharing kombiniert, wird dem Menschen besser gerecht, denn es steigert die Lebensqualität. Der Einzelne könnte viel situationsabhängiger entscheiden, wann er welches Fortbewegungsmittel nimmt." In Berlin gäbe es ohne Privatautos mehr Platz für Fahrrad- und Fußwege. Busse, Straßen- und U-Bahnen führen häufiger und im abgestimmten Takt. Um das Ganze zu finanzieren, brauche es vor allem politischen Willen, glaubt Scherf.

Brandenburg ist immer noch Land der Autofahrer

Christian Scherf ist gnädig – grundsätzlich dürfen Autos bleiben. So lange der Sharing-Gedanke, also das Teilen eines Autos mit mehreren Menschen, im Vordergrund stehe, bleibe das Auto für weite Strecken eine Option.

Denn besonders in ländlichen Regionen sind viele Menschen auf das Auto angewiesen. Über 60 Prozent der Pendler in Brandenburg fuhren 2016 laut Mikrozensus des Statistischen Bundesamtes mit dem Auto zur Arbeit. Etwa 30 Prozent nahm das Fahrrad oder öffentliche Verkehrsmittel.

In einer Welt ohne Autos wäre es erst gar nicht so weit gekommen, glaubt Professor Andreas Knie vom Wissenschaftszentrum für Sozialforschung in Berlin. "Wir leben in einem Siedlungsbrei, in dem das private Auto seit über 40 Jahren zum guten und modernen Leben dazugehört." Deshalb seien immer mehr Menschen von der Stadt aufs Land und damit weg von ihren Arbeitsplätzen gezogen.

Die Digitalisierung birgt die Chance, dass die Menschen künftig nicht mehr so oft fahren müssen. In einer Stadt ohne Autos arbeiten die Berufstätigen entweder von zu Hause aus oder wohnen in der Nähe ihres Arbeitsplatzes. In Berlin nutzen sowieso nur noch durchschnittlich 30 Prozent der Einwohner das eigene Auto, den Rest erledigen sie mit öffentlichen Verkehrsmitteln, Fahrrad oder zu Fuß.

Knie selbst nutzt alle Sharing-Möglichkeiten, die Berlin ihm so bietet. Bei einer konsequenten Umsetzung des Modells, glaubt der Wissenschaftler, ließe sich die Zahl der Autos in Berlin um 75 Prozent verringern. Kämen noch selbstfahrende Taxis wie „Olli“ hinzu, gäbe es in Berlin nur noch knapp 200.000 Autos. Aktuell sind es 1,2 Millionen. Was Wissenschaftler wie Christian Scherf und Andreas Knie zuversichtlich stimmt: Die Politik und auch die Autoindustrie haben Modelle wie Car-, Bike- oder Scootersharing blockiert – trotzdem konnten sie sich entwickeln.

Deutsche wollen nicht auf ihr Auto verzichten

Die Argumente gegen die Abschaffung von Autos in Städten liegen für den Verband der Automobilindustrie (VDA) auf der Hand: Im Jahr 2016 waren über 800.000 Menschen direkt in der deutschen Automobilindustrie beschäftigt. Zählt man die indirekten Arbeitsplätze dazu – Zulieferer zum Beispiel – handelt es sich um insgesamt 1,8 Millionen Arbeitsplätze.

Eckehart Rotter vom VDA hält die Vorstellung einer autofreien Stadt für absurd: "Das käme einer Zwangsmaßnahme gleich!" Er glaubt, dass die Menschen dazu nicht bereit seien. Und tatsächlich: Laut einer Allensbach-Umfrage im Auftrag der Frankfurter Allgemeinen Zeitung würden nur rund zehn Prozent der Autofahrer sofort auf ihren Pkw verzichten.

Parkplätze als Raum für Künstler

Heiko Bruns vom Verein "autofrei leben!" findet es hingegen eine Unverschämtheit, dass Autofahrer den öffentlichen Raum blockieren und so viel Platz einnehmen. Ihn stören besonders die parkenden Autos in der Stadt. Deshalb plant er gerade den "Park(ing) Day" – eine jährlich und weltweit stattfindende Besetzungsaktion von öffentlichen Parkplätzen.

Teilnehmer des Park(ing) Day 2016 beschlagnahmen einen Parkplatz | Quelle: Verein "autofrei leben!"

Auf den Flächen entstehen kleine Parks, entweder für Kunstprojekte oder als Kinderspielzone. "Letztes Jahr hatten wir rund 30 Parks. Wir zeigen damit die Platzverschwendung durch Autos auf, und wie der Platz sinnvoller genutzt werden kann."

Auch wenn sein Verein klein ist, will sich Heiko Bruns mit seiner Aktion gegen Autofahrer behaupten. Das Vorbild ist San Francisco – dort okkupierte 2005 das Künstlerkollektiv REBAR erstmals öffentliche Parkplätze. Seit acht Jahren gibt es die Aktion in Berlin. Dieses Jahr wollen die Aktivisten die Bergmannstraße besetzen.

Man müsste in Zulunft die Parkgebühren erhöhen, damit das Autofahren unattraktiv werde, fordert Heiko Bruns. Wenn es nach ihm ginge, wäre Berlin schon längst autofrei. In einer Talkshow wurde er deswegen schonmal als „Autohasser“ bezeichnet. Bruns hat eine freiwillige Selbstverpflichtung zum Autoverzicht unterschrieben. Für ihn ist es kein Verzicht, für ihn ist es Freiheit.

Das sagen die Parteien

CDU/CSU

"Die CDU will keinen bevormundenden Staat, der vorschreibt, wie sich die Menschen fortbewegen." Die CDU wolle verschiedene Verkehrsangebote wie private Automobilität, ÖPNV und den Bahnverkehr vernetzen und stärken. Sie unterstütze aber vor allem alternative Kraftstofftechnologie und wolle Elektromobilität fördern. - CDU-Berlin

SPD

Die SPD möchte, dass Deutschland Automobilstandort bleibt. E-Mobilität soll gefördert und dadurch auch vermehrt Bauteile für Elektroautos hier gefertigt werden. Die Partei fordert Grenzwerte für den Schadstoffausstoß von Pkws auf EU-Ebene. Für Radfahrer will sie innerörtliche Fahrradspuren und Radschnellwege ausbauen. Außerdem schreibt sie in ihrem Wahlprogramm, dass die Bahn- und ÖPNV-Mobilität gefördert werden soll, beispielsweise mit dichter getakteten Fahrplänen. Auf die Anfrage von rbb|24 hat die SPD nicht geantwortet.

FDP

Die FDP will das Konzept des Carsharings fördern, statt Autos zu verbieten. "Ich denke nicht, dass deutsche Großstädte derzeit schon bereit für eine so drastische Veränderung sind", sagt Konstantin Kuhle, Bundesvorsitzender der Jungen Liberalen: "Hierfür gibt es im Wesentlichen zwei Gründe: Zum einen ist der öffentliche Nahverkehr in den meisten Städten nach wie vor viel zu unzuverlässig (...). Zum anderen ist ein Großteil der Bevölkerung nicht bereit auf ihr neu gekauftes Auto zu verzichten."

Bündnis 90/Die Grünen

Die Grünen wollen emissionsfreie Fahrzeuge statt ein Autoverbot: "Autos verbieten hieße, vielen Menschen, insbesondere in ländlichen Regionen, die Möglichkeit zu nehmen, zur Arbeit zu kommen oder an der Gesellschaft teilzunehmen (...) Wir wollen vielmehr eine attraktive, bezahlbare sowie klima- und umweltfreundliche Mobilität. Dazu wollen wir emissionsfreie Fahrzeuge, den ÖPNV und Radverkehr stärken."

Die Linke

"Es gibt ein Recht auf Mobilität – aber keines auf Automobilität." Die Linke findet eine autofreie Zukunft reizvoll. "Der Weg dorthin kann natürlich nicht ein Verbot von individueller/privater Autonutzung sein. Doch die strukturelle Abhängigkeit von privater Autonutzung muss abgebaut werden", heißt es auf Anfrage. Die Partei wil dabei vor allem auf einen Ausbau der öffentlichen Verkehrsmittel sowie Carsharingmodelle setzen um privaten Autobesitz zu reduzieren.

AfD

Von autofreien Städten hält die AfD nichts: "Leute, die das Auto abschaffen wollen, sollen in einem vergleichsweise menschenleeren Landstrich eine Ökokommune gründen und dort glücklich werden. Mit uns sind solche Forderungen nicht zu machen. Wir stehen zum normalen Automobil mit Verbrennungsmotor und Fahrer. Selbstfahrende E-Autos sind derzeit aus unserer Sicht eher eine Dystopie als eine Utopie." - Ronald Gläser, Pressesprecher AfD Berlin

Beitrag von Birgit Raddatz

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