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Quelle: imago images/Matthias Koch

Interview | Fanvertreter Sig Zelt

"Geisterspiele braucht kein Mensch"

Eine mögliche Fortsetzung der Bundesliga-Saison mit Geisterspielen spaltet die Gemüter - auch unter Fußballfans. Fanvertreter Sig Zelt spricht im Interview über das Dilemma: zwischen grundsätzlicher Abneigung und wirtschaftlicher Notwendigkeit.

Auch wenn aktuell der Bundesliga-Spielbetrieb ruht, hat Sig Zelt gerade einiges zu tun. Der Leiter von "ProFans", einem bundesweiten Interessenbündnis aktiver Fan- und Ultragruppen in Deutschland, ist in der Debatte um Geisterspiele in der Fußball-Bundesliga ein gefragter Gesprächspartner.

rbb|24: Herr Zelt, am schönen, sonnigen Wetter kann man sich derzeit erfreuen, nicht aber am Stadionbesuch. Wie sehr fehlt das im Moment?

Sig Zelt: Der fehlt schon. Die meisten von uns können die Lücken an Zeit, die da entsteht, sehr schnell füllen und es ist nicht so, dass Langeweile entsteht, aber es fehlt etwas ganz gewaltig. Wir warten sehnsüchtig darauf, dass wir wieder im Stadion sein dürfen.

Zur Person

Sig Zelt ist seit 2014 Sprecher des unabhängigen und bundesweiten Bündnisses ProFans, das die Interessen aktiver Fan- und Ultragruppen in Deutschland vertritt. Zudem gehört er der Gruppierung "Eiserner Virus", einer Interessenvertretung von Fans des 1. FC Union Berlin, an.

Was ist es denn ganz konkret, was da fehlt? Wahrscheinlich ist es ja mehr als der Stadionbesuch am Samstag, oder?

Ja, es ist eben das, was den Fußball ausmacht: das Gemeinschaftserlebnis, die Freunde, auch das soziale Netzwerk, was sich darum spinnt. Auch das ist jetzt ja weitgehend unterbrochen. Wir stehen natürlich in Kontakt übers Internet, aber man merkt, wie unvollkommen das ist und wie es den persönlichen Kontakt nicht ersetzen kann.

Das wird noch eine Weile so bleiben. Klar ist: Wenn es weitergeht, dann mit Geisterspielen. Wie ordnen Sie das ein?

Es ist ja in den letzten Tagen so einiges diskutiert worden. Einige haben gesagt, ein tiefer Riss würde durch die Fanszenen gehen, dabei sehe ich das gar nicht. Ich sehe die Meinungen eigentlich sehr weit beieinander. Geisterspiele braucht kein Mensch. Ich kenne niemanden, der sich auf Geisterspiele freut.

Warum?

Fußball ist nicht nur das tolle Dribbling, der Zweikampf oder der Torschuss, sondern Fußball ist eben mehr. Fußball hat seine Bedeutung, weil sich so viele Menschen dafür begeistern und sich engagieren. Sonst könnte auch eine andere Sportart diese Rolle spielen. Nein, es ist der Fußball und das wird durch die Fans gemacht. Leider verstehen das die Verbände nicht oder wollen es nicht wahrhaben, sonst würden sie unsere Meinung wahrscheinlich mehr achten. Aber ohne Fans fehlt dem Fußball etwas Essenzielles und das wird die Leute, die Fußball sonst auch nur im Fernsehen sehen, nicht begeistern.

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Wie glauben Sie, werden die Geisterspiele aufgenommen?

Meine Prognose: Am Anfang werden es viele Leute gucken, aber irgendwann werden viele Menschen merken, dass es nicht das ist, was sie gerne möchten. Wir sind gegen Geisterspiele, weil es absurd ist, jetzt neun Spieltage durchzuziehen und niemand guckt hin, übertrieben gesagt. 

Die Geisterspiele haben ja auch einen wirtschaftlichen Hintergrund.

Es ist ja so, dass viele Vereine jetzt schon befürchten, dass sie hinten runterfallen, dass sie das finanziell nicht durchhalten. Und das ist krass. Im Fußball werden Unsummen von Geldern erwirtschaftet, horrende Summen, die man sich kaum vorstellen kann. Wir kritisieren das. Wir sagen, die Kommerzialisierung geht viel zu weit. Wir kritisieren das auch deshalb, weil es bisher nicht dazu geführt hat, dass die Vereine nachhaltiger wirtschaften und so gut aufgestellt sind, dass sie eine Krise überstehen. Fünf Wochen sind jetzt gerade mal Pause und schon wird geschrien: 'Hey! Unser Verein!' Obwohl sie das bei den Einnahmen locker überstehen können müssten. Das ist doch absurd. Und dafür wird die Saison fortgesetzt?

Auf der anderen Seite möchte natürlich auch niemand seinen Verein untergehen sehen. Die Leute verzichten auf ihre Eintrittsgelder, die sie schon gezahlt haben. Menschen mit weniger Geld stellt sich die Frage: 'Verzichte ich auf mein Eintrittsgeld und gebe es dem Verein? Oder leiste ich mir ein Sky-Abo, um die Spiele live sehen zu können?' Und sie entscheiden sich, das Geld dem Verein zu geben. Sie möchten natürlich nicht, dass der Verein hinten runterfällt. Gerade, weil das für viele Vereine überlebensnotwenig ist, ist nach meiner Wahrnehmung die Mehrheit dafür, diese Kröte von Geisterspielen zu schlucken und das zu tolerieren. Was nicht passieren sollte ist, dass der Fußball eine Sonderrolle spielt, wenn es darum geht, wie viele Corona-Tests für den Fußball abgezweigt werden. Wenn die dann an anderen Stellen der Gesellschaft fehlen, wo sie nötiger wären. Das wäre ein fatales Zeichen.

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Trotzdem hat der Profi-Fußball ja schon jetzt eine Sonderrolle. Die meisten anderen Ligen benötigen vor allem auch die Zuschauereinnahmen, die restliche Saison wurde etwa im Eishockey, Volleyball und zuletzt Handball abgesagt. 

Der Spitzenfußball hat diese Möglichkeit, sehr viel Geld zu erwirtschaften - durch den Verkauf der Fernsehrechte. Warum sollte er das dann nicht nutzen, wenn die Regelungen zur Pandemie-Bekämpfung eingehalten werden?

Eine Befürchtung ist auch, dass Fans, ähnlich wie beim ersten Geisterspiel der Bundesliga-Geschichte - Gladbach gegen Köln - vor der Saisonunterbrechung, vor das Stadion kommen und sich da versammeln. Die Gewerkschaft der Polizei hat sich wegen der erhöhten Personalaufwands auch schon gemeldet. Inwiefern sehen Sie da eine Gefahr?

Ich denke, gegenüber dem Anfang der Corona-Krise hat sich die Einsicht der Leute doch verbessert. Wir hatten die Situation auch bei Union Berlin vor dem Spiel gegen Bayern München, welches als Geisterspiel stattfinden sollte, dass einige Leute gesagt haben: 'Hey, wir gehen da an den Stadionzaun und machen da mächtig Rabatz, damit die uns möglichst hören'. Da musste sich die Polizei gar nicht einschalten, denn der Verein hat sich dagegen positioniert und auch wir als Fangruppen haben gesagt: 'Lasst das sein. Das ist unvernünftig.' Ich denke, dass sollte nicht die Polizei richten, sondern man muss da an die Einsicht appellieren und das funktioniert auch. 

Vielen Dank für das Gespräch!

Das Interview führte Dennis Wiese, rbb Sportredaktion. Es handelt sich um eine gekürzte und leicht redigierte Version.

Sendung: rbb24, 23.04.2020, 9 Uhr

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