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Quelle: rbb

"Ich dachte, das ist ja krass..."

Stellengesuche ungeimpfter Pflegekräfte führen ins Leere

Gibt es eine Flucht von Ungeimpften aus dem Gesundheitswesen? Andreas Rausch hat mehr als 100 vermeintliche Stellengesuche in einem Bautzener Anzeigenblatt gefunden. Und versucht, die Menschen hinter den Anzeigen zu sprechen. Ohne Erfolg.

Freitagabend in einem beschaulichen Örtchen der sächsischen Oberlausitz, ein Familientreffen in kleinem Kreis, Neuigkeiten werden herumgereicht, irgendwann landet eine Zeitungsseite auf dem Tisch. "Schau dir das mal an", sagt mein Schwiegervater. Als ich das Anzeigenblatt in der Hand halte, denke ich, das ist ja krass! Unter der Rubrik "Stellenmarkt und Bildungsangebote" listet der Oberlausitzer Kurier in der Lokalausgabe Bautzen 126 Stellengesuche auf, komplett aus dem Gesundheitswesen, von der Krankenschwester über den Altenpfleger bis zur Physiotherapeutin.

Trotz freier Plätze

Südbrandenburger Pflegeheime nehmen keine neuen Bewohner mehr auf

Ungeimpfte Mitarbeiter dürfen ab Mitte März nicht mehr in Pflegeheimen arbeiten, was zu großem Personalmangel führen könnte. Diese fühlen sich von der Politik im Stich gelassen. Der Schritt, den die Heime nun gehen, ist deswegen drastisch.

Impfpflicht im Gesundheits- und Pflegebereich steht bevor

Alle eint vorgeblich die gleiche Not: Sie suchen einen neuen Job, weil ihnen ihr eigener zum 16. März verloren geht. Denn sie sind, das schreiben sie in Teilen in Versalien oder zumindest fett hervorgehoben, ungeimpft. Ich mache ein Foto und veröffentliche das auf Twitter. Es scheint mir einen Trend zu bestätigen, die bevorstehende Impfpflicht im Gesundheits- und Pflegebereich hatte uns in der aktuellen Redaktion Cottbus erst vor ein paar Tagen intensiver beschäftigt. Da ging es um einen teilweisen Aufnahmestopp in der Altenpflege, weil manche Heime schon jetzt unter zu wenig Personal leiden und durch den Exodus der Ungeimpften, deren genaue Zahl niemand kennt zum jetzigen Zeitpunkt, die Pflege und Betreuung der Patienten nicht mehr gewährleistet wäre.

Auszug der Anzeigen. Wir haben alle Nummern unkenntlich gemacht, auch wenn der Autor bei den ausgewählten durchweg nicht bei den vermeintlich Arbeitsuchenden durchkam. | Quelle: rbb/Andreas Rausch

"Ich wähle ihre Nummer und habe eigentlich gar keine Ahnung, was ich sie fragen will"

Kaum ist der Tweet draußen, wird fleißig geteilt und kommentiert. "Fake!" schallt es aus manchem Kommentar. Das seien gezielte Aktionen aus speziellen Telegram-Gruppen, gesteuert, um die Menschen weiter zu verunsichern. Andere sind leiser und äußern sich eher besorgt. Mich lässt das ganze nicht wirklich gut schlafen.

Am Samstagmorgen beschließe ich, dem ganzen etwas auf den Grund zu gehen. Meine Methode ist simpel. Ich will telefonieren. Ich lese mir alle 126 Annoncen durch und streiche mir besonders bemerkenswerte hervor. Entweder, weil sie emotional sind, oder weil dahinter eine Geschichte zu stecken scheint. Journalistische Basisarbeit, nichts besonderes. Ich wundere mich, dass nahezu drei Viertel der Anzeigen mit Handynummern versehen sind, der Rest läuft unter Chiffre, es gibt auch ein paar Festnetzanschlüsse darunter.

Unter einem solchen findet sich eine Fachkrankenschwester für Anästhesie und Intensivmedizin, 37 Berufsjahre hat sie, schreibt sie, davon hätte sie offenbar die letzten beiden auf einer Covid-Station verbracht, wegen "Bewahrung ihres natürlichen Immunsystems" sucht sie einen neuen Job. Ich wähle ihre Nummer und habe eigentlich gar keine Ahnung, was ich sie fragen will. Mal sehen, was passiert. Es passiert...nichts. Es klingelt. Und klingelt. Und klingelt.

Rückruf unmöglich

Ich habe vier weitere Gesuche rausgepickt, allesamt mit Handynummern versehen, alle ungeimpft, alle aus diesem Grund auf der Suche nach Arbeit, eine examierte Krankenschwester mit "40 ungekündigten Berufsjahren" ist auch handwerklich begabt. Ich lasse es klingeln, bis ein Mann ans Telefon geht, der mich fragt, was er für mich tun könne. Bevor ich es rausbringen kann, hat er wieder aufgelegt.

Eine Hebamme ist mein nächstes Ziel, deren Nummer, sagt eine freundliche Stimme, ist leider nicht vergeben. Unvollständig wiederum ist die Nummer einer Physiotherapeutin, 34 Jahre. Schade, denke ich. Und sehe, dass eine Spalte weiter ein Rettungssanitäter, ebenfalls 34-jährig, die exakt selbe Nummer zu besitzen scheint, ebenso unvollständig.

Eine Krankenpflegerin, die ein neues Betätigungsfeld sucht, inseriert unter der schönen Telefonnummer 0160-1234567890. Wow, denke ich, das ist ja cool. Uncool allerdings, dass diese Nummer gar nicht vergeben ist. Rückruf also unmöglich. Gleiches widerfährt mir mit der Krankenschwester, die "mit Herz und Verstand" aber nicht vergebener Telefonnummer auf der Suche nach einem neuen Job ist. Auch ein Krankenpflegehelfer, der gleich mit zwei Handys ausgestattet zu sein scheint, hätte gern Nach-Impfpflicht-Perspektive. Auch er - nicht erreichbar.

Quelle: rbb/Andreas Rausch

Titelseite würdigt Demonstration in Bautzen

Ein paar Anrufe schaffe ich dann doch noch, allerdings folgt auf Dauertuten entweder ein Besetztton oder eine Mobilbox-Ansage - die allerdings konsequent anonym, ohne Namen oder persönlichen Hinweis. Am Ende habe ich eine knappe dreiviertel Stunde telefoniert. Oder es versucht. Gern hätte ich mit jemandem über seine Ängste gesprochen, seine Motivation. Aber es ist mir nicht geglückt.

18 Annoncen habe ich stichprobenhaft durchtelefoniert, möglicherweise sind unter den anderen noch reale Fälle mit ernsten Nöten und Sorgen, ich habe leider unter denen, die ich willkürlich herausgepickt habe, kein Glück gehabt.

"Stellen ohne Spritze"

Wie Ungeimpften im Netz Jobs angeboten werden

Mit der nahenden Impfpflicht für Beschäftigte in Gesundheitsberufen wächst der Druck auf Ungeimpfte. Explizit für sie entstehen jetzt Jobbörsen im Netz. Dort inserieren auch Berliner Arbeitgeber - sogar Pflegeheime und Arztpraxen sind dabei. Von Marcel Trocoli Castro und Jenny Barke

Als ich die Zeitung zuklappe, sehe ich auf der Titelseite einen Artikel mit der Überschrift "In der Sorge vereint" über die letzte Bautzener Demonstration, die nach Autorenmeinung eine Stimmung wie 1989 verströmt hätte und bei der, jetzt staune ich wirklich, zahlreiche Beschäftigte der Gesundheits- und Pflegebranche gewesen sein sollen, die da für den Erhalt ihrer Jobs demonstriert hätten.

Merkwürdiger Zusammenhang, wenn man nach Umschlagen der Titelseite vor der Wand von Inseraten steht. Ich kann mir schon vorstellen, dass dies den Leser in der Oberlausitz verunsichert und besorgt macht. Mich hat es auch geflasht. Jetzt denke ich, wie beruhigend das gute alte Telefonieren doch sein kann.

Was die Impfpflicht im Gesundheitswesen wirklich bewirkt, werden wir wohl erst Mitte März genauer wissen. Nach dem Studium von Anzeigenblättchen sicher nicht.

Sendung: Brandenburg aktuell, 23.01.2022, 19:30 Uhr

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