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Quelle: imago images/A. Stubenrauch

Corona-Krise

Lebensmittelhandel setzt teils doppelt so viel ab wie vor Weihnachten

Die Nachfrage nach manchen Lebensmitteln ist derzeit doppelt so hoch wie vor Weihnachten. Der Handelsverband spricht von "surrealem" Kaufverhalten. Händler wundern sich, was alles über die Kasse geht und appellieren an die Vernunft. Von Roberto Jurkschat

In Zeiten der Corona-Krise verzeichnen Lebensmittelgeschäfte eine ungebremste Nachfrage nach bestimmten Lebensmitteln und Waren des täglichen Bedarfs. Wie eine Sonderauswertung des Statistischen Bundesamtes zeigt, stiegen die Verkaufszahlen für bestimmte Produkte in der Woche vom 16. bis 22. März 2020 wie schon in den drei Wochen zuvor auf ein extrem hohes Niveau. So war die Nachfrage nach Seife in der vergangenen Woche mehr als vier Mal so hoch wie in den sechs Monaten zuvor (+337 Prozent), während die Nachfrage nach Toilettenpapier mehr als drei Mal so hoch lag (+211 Prozent).

Für die Statistik hat das Bundesamt Daten von Einzelhändlern im gesamten Bundesgebiet ausgewertet. Einen Ansturm auf haltbare Lebensmittel, Seife, Toilettenpapier und Desinfektionsmittel registrierten Händler schon drei Wochen bevor das Robert-Koch-Institut (RKI) Mitte März erstmals vor einem "hohen Risiko" durch das Coronavirus gewarnt hatte.

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Doppelter Absatz bereits Ende Februar

In der letzten Februarwoche wurden in deutschen Supermärkten und Drogerien Regale leergeräumt, schlagartig lagen der Absatz von Mehl (+150 Prozent), Seife (+122) oder Teigwaren (+109) mehr als doppelt so hoch wie vor der Corona-Epidemie. Der Ansturm auf Teigwaren ließ dann bis zur zwölften Kalenderwoche langsam nach. Nach Angaben des Bundesamtes lag das an Lieferengpässen bei Nudeln und ähnlichen Produkten.

Hoch im Kurs sei nach wie vor Desinfektionsmittel, davon verkauften Händler Anfang März achtmal so viel wie sonst (+751 Prozent). Wobei der Absatz kurz danach auf 50 Prozent sank, "das Produkt war vorübergehend praktisch ausverkauft", heißt es in einer Mitteilung des Bundesamtes. 

Politik und Wirtschaftsverbände sehen die Versorgungslage mit Gütern des täglichen Bedarfs indes als gesichert an. Allerdings appellieren selbst Einzelhändler, deren Mitarbeiter durch den jetzigen Hochbetrieb unter Dauerbelastung stehen, an die Bevölkerung, von Hamsterkäufen abzusehen.

Mehr Absatz als vor Weihnachten

Von einem "surrealen" Einkaufverhalten spricht Nils Busch-Petersen, Geschäftsführer des Handelsverbands Berlin-Brandenburg, gegenüber rbb|24. "Die Nachfrage in Lebensmittelgeschäften und Drogeriemärkten lag an manchen Tagen siebenmal höher als sonst, der Absatz und die Zahl der Großeinkäufe sind oft doppelt so hoch wie vor Weihnachten." 

Das Problem sei nicht nur die Arbeitslast in den Geschäften. Laut Handelsverband stößt die Logistikbranche an Grenzen, die Mitarbeiter in Logistikzentren seien mit dem Umladen und Verteilen der Güter überlastet. "Für diese Situation gibt es einfach nicht genug Lastwagen, um die Geschäfte zu beliefern", erklärt Busch-Petersen. Er fordert deshalb auch eine Zusage der Politik, dass polnische Fernfahrer auch in Corona-Zeiten weiter in Deutschland ungehindert arbeiten dürfen. Zuletzt hatte die Bundespolizei strenge Kontrollen an der deutsch-polnischen Grenze durchgeführt, Lastwagen steckten in kilometerlangen Staus.

Die Händler gingen davon aus, dass es nach umsatzstarken Wochen einen "Knick" in der Nachfrage geben könnte - nämlich dann, wenn die Menschen anfingen, die angesammelten Vorräte aufzubrauchen. Eine Normalisierung sei also in Sicht. "Wir beobachten in den letzten Tagen, dass es langsam ein bisschen ruhiger wird", sagt Nils Busch-Petersen. "Die meisten Händler sind aber froh, bald wieder unter normalen Umständen arbeiten zu können."

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"Bin gespannt, wann die Leute die ganzen Tortellini essen wollen"

Von einem Ende der Hamsterkäufe sei in Berlin-Kreuzberg wenig zu spüren, sagt Stefan Roth, Marktleiter der Edeka-Filiale an der Hasenheide gegenüber rbb|24. Roth schätzt, dass Kunden noch immer doppelt so viele Einkäufe über 100 Euro tätigen wie in normalen Zeiten. Seit die Berliner Kneipen dicht sind, landeten auch Wein, Bier und Spirituosen deutlich häufiger in den Einkaufswagen. 

"Für unsere Mitarbeiter ist das im Moment richtig hart. Mir wäre aber lieber, wir würden weniger Umsatz machen und dafür weniger Stress haben", sagt Roth. Neue Mitarbeiter werde die Filiale vorerst nicht einstellen. Stattdessen bremse man der Einlass der Kunden am Eingang, sobald alle Einkaufswagen vergriffen sind. "Wir wollen Chaos im Geschäft verhindern." 

Kunden würden momentan sogar zu Artikel greifen, die sie offenbar sonst links liegen ließen. Pumpernickel sei so ein Beispiel. Oder Bohnen aus der Dose. "Ich habe jemanden sagen hören, 'das schmeckt zwar scheiße, hält aber länger'", erzählt Roth. So geht es im Moment mit allen möglichen haltbaren Lebensmitteln, erklärt der Marktleiter. "Ich bin gespannt, wann die Leute die ganzen Tortellini und das Dosengemüse essen wollen."

Beitrag von Roberto Jurkschat

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