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Quelle: dpa/Patrick Pleul

Fehlende Saisonarbeiter in Brandenburgs Landwirtschaft

Mit dem Flieger zur Ernte - aber wer bezahlt?

Wegen der Corona-Einschränkungen fehlt den Brandenburger Betrieben etwa die Hälfte ihrer Erntehelfer, sagt der Bauernverband. Mit einer Sondererlaubnis dürfen Saisonarbeiter aus Osteuropa einreisen. Der DGB warnt, letztlich trügen die Arbeiter selbst die Kosten. Von Stefan Ruwoldt

Die Brandenburger Landwirtschaftsbetriebe müssen nach einer Schätzung des Landesbauernverbandes momentan auf etwa 50 Prozent ihrer Saisonarbeitskräfte aus dem Ausland verzichten. Das teilte der Verbandspräsident Henrik Wendorff rbb|24 am Mittwoch mit. "Allein bei der Zahl der Berufspendler aus Polen, die derzeit nicht kommen oder kommen können, liegt der Verlust an Mitarbeitern sogar noch bei deutlich mehr als der der Hälfte", sagte Wendorff.

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Der Ausfall der Arbeitskräfte sei neben den gültigen Arbeits- und Bewegungseinschränkungen durch die Corona-Pandemie Brandenburgs eine zusätzliche Belastung für die Betriebe, sagte Wendorff. "Die Zahl der Saisonarbeitskräfte aus Osteuropa in Brandenburg schwankt normalerweise zwischen März und November sehr stark und liegt zwischen wenigen Hundert im November und jeweils bis zu je 15.000 im Juni und Juli", erklärte Wendorff. Insgesamt also kommen jedes Jahr üblicherweise deutlich mehr als 50.000 Erntehelfer aus dem Ausland nach Brandenburg. Sie bekommen für die harte Arbeit auf den Feldern den Mindestlohn von 9,35 Euro pro Stunde plus Mengenzulage.

Eine deutsch-polnische Lösung für die Grenzpendler

Wie viele von ihnen in diesen Tagen in den Landwirtschaftsbetrieben tätig sind, könne nicht genau beziffert werden, weil keine Zentralbehörde dies erfasse, so Wendorff. Einige wenige Saisonarbeitskräfte hätten bereits vor den Einreisebeschränkungen Polens und anderer EU-Staaten in den Betrieben ihre Tätigkeit aufgenommen. Hinzu komme, dass viele der in Brandenburg dauerbeschäftigten Berufspendler aus den polnischen Grenzregionen ebenfalls wegblieben.

In einem Produktionsbetrieb könne man die Maschinen stoppen und sie später wieder anfahren, in der Landwirtschaft funktioniere das nicht: "Hier bleiben die Früchte auf dem Feld oder an den Bäumen", sagte Wendorff. Ein "Später holen" oder "Wieder anfahren" gebe es hier nicht. Zumindest für die Pendler aus Polen mit festen Aufgaben in ihren Betrieben in Deutschland brauche es schnell eine deutsch-polnische Lösung. Im Mai gilt der Bedarf nach Erntehelfern als besonders groß, da sich der Spargel mit den Erdbeeren überschneidet.

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Erst Einreisestopp, dann Kontingent

Die Bundesregierung hatte Ende März aufgrund der Corona-Pandemie zunächst einen Einreisestopp für Saisonarbeitskräfte aus dem Ausland verhängt und diesen dann nach wenigen Tagen mit einer Sonderregelung korrigiert. Diese Regelung sieht vor, dass bundesweit insgesamt 80.000 Helfer aus Osteuropa - 40.000 im April und 40.000 im Mai – ausschließlich mit dem Flugzeug einreisen dürften.

Üblicherweise kommen pro Jahr 300.000 Saisonarbeiter nach Deutschland. "Wir haben in den letzten 20, 25 Jahren feststellen müssen, dass am heimischen Arbeitsmarkt nicht genügend Arbeitskräfte zur Verfügung stehen", sagte der Bundesvorsitzende des Bauernverbandes kürzlich dem "Deutschlandfunk". Ungelernte Kräfte könnten das Stammpersonal aus Osteuropa in den Betrieben nicht ersetzen.

Nach Angaben des Deutschen Gewerkschaftsbundes (DGB) bleibt ein großer Teil der Saisonarbeiter in diesem Jahr aufgrund der Verunsicherungen rund um das Coronavirus in ihren Heimatländern. "Die gecharterten Flüge sind oft nicht voll, einige der Arbeiter - vor allem aus Rumänien - springen offenbar kurz vor der Anreise ab. Viele sind ganz einfach verunsichert und haben Angst", sagte Philipp Schwertmann, Leiter der Arbeitsgruppe Migration und gute Arbeit beim DGB. Der Deutsche Bauernverband bestätigte am Dienstag, dass das Kontingent der bis zu 80.000 Erntehelfer bisher bei weitem nicht ausgeschöpft sei.

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Keine Kostenregelung für die Anreise mit dem Flieger

Die Routine sei, dass die Flugzeuge, die die Erntehelfer nach Deutschland bringen, von den Bauern gechartert würden, sagte Philipp Schwertmann. Die Arbeitskräfte würden an den Flughäfen abgeholt und müssten dann in Deutschland zunächst 14 Tage lang in Quarantäne.Zwar habe die Bundeslandwirtschaftsministerin Julia Klöckner (CDU) erklärt, dass die Reisekosten von den Landwirtschaftsunternehmen getragen werden sollten, doch kontrolliere das keiner, kritisiert Schwertmann. "Normalerweise kommen die Arbeitskräfte mit dem Bus oder Auto, das kostet vielleicht 30 Euro – der Flug nun dagegen 300 Euro." Erste Meldungen, dass die Bauern die Reisekosten den Arbeitern in Rechnung stellen, hätten ihn bereits erreicht, so der Experte für Arbeitsrecht. Auch seien nun die behördlichen Auflagen für getrennte Unterkünfte der Arbeiter höher. Das erhöhe auch die Kosten für die Arbeitskräfte. 

Der Bedarf an diesen Arbeitskräften sei hoch. Doch ebenso hoch sei die Unsicherheit und die Abhängigkeit, wenn sie dann erstmal in den Betrieben seien. "Die Leute haben Angst und wissen nicht, wie hoch hier die Corona-Ansteckungsrisiken sind, gleichzeitig aber haben sie auch zuhause keine Beschäftigungsalternativen."

DGB: "Dieses Arrangement ist hinten und vorne defizitär"

Die Kontrolle durch die Behörden fehlt Schwertmann zufolge. Zoll, Finanzbehörden, Gesundheitsämter müssten hier jetzt kontrollieren: "Doch nichts davon nehmen wir bislang wahr."  Die Bundeslandwirtschaftsministerin Klöckner hatte vor wenigen Tagen gefordert, die Gesundheitsvorschriften müssten in den landwirtschaftlichen Betrieben "unbedingt befolgt werden - auch wenn das Zeit und Geld kostet." Die Verantwortung dafür gab sie den Landesregierungen. Diese hätten darum gebeten, eine Lösung für Saisonarbeitskräfte zu finden.

Der Gewerkschafter Schwertmann bezweifelte im Gespräch mit dem rbb, dass sich das Geschäft mit den eingeflogenen Erntehelfern in diesem Jahr rechnen kann. "Dieses Arrangement ist hinten und vorne defizitär", sagte Schwertmann. Eine einfache, aber für die Saisonarbeiter wichtige Frage sei bei der Sondervereinbarung zwischen Regierung und Landwirtschaft noch ungeklärt: "Was passiert, wenn so ein Saisonarbeiter zurück will oder muss?", fragte Schwertmann.

In Südbaden war Mitte April ein rumänischer Erntehelfer in seinem Wohncontainer gestorben. Der 57-Jährige hatte sich mit Corona infiziert. Im niedersächsischen Landkreis Nienburg verließen am 23.April laut "Neuer Osnabrücker Zeitung" 13 rumänische Saisonarbeitskräfte den Hof ihres Auftraggebers, noch vor Ablauf der vorgeschriebenen 14 Tage Quarantäne. Sie hatten sich mit dem Landwirt gestritten. Die Polizei schrieb sie "aus Gründen der Gefahrenabwehr" zur Fahndung aus. 

Beitrag von Stefan Ruwoldt

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