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Corona-Proteste vor der Volksbühne

AfD-"Flügel" mischt bei "Hygiene-Demos" mit

Der Widerstand gegen Staat, Regierung und Medien in der Corona-Krise begann mit kruden Demonstrationen vor der Volksbühne Berlin. Jetzt mischen politische Kräfte mit, die seit der Flüchtlingskrise die Systemfrage stellen - allen voran das rechtsextreme "Flügel"-Netzwerk der AfD. Von Olaf Sundermeyer

Vielleicht wird Anselm Lenz als Gründer einer bundesweiten Protestbewegung in die Geschichte eingehen. Der freischaffende Theaterdramaturg inszeniert seinen persönlichen Widerstand jedenfalls auf eine Art, die an historische Vorbilder der außerparlamentarischen Opposition erinnert.

Bei seiner Festnahme durch Bereitschaftspolizisten während der sogenannten "Hygiene-Demo" am 1. Mai vor der Berliner Volksbühne schrie er lautstark, die Hände in Handschellen auf dem Rücken, in die Mikrofone der Medienvertreter: "Bis vor fünf Wochen war ich Journalist der Tageszeitung taz in Berlin. Mir wurde gekündigt, weil ich Wahrheiten über Corona aufgeschrieben habe. Seither werden wir mit terroristischen Maßnahmen verfolgt!" Und an die ihn begleitenden zehn Polizisten gerichtet: "Verweigern Sie die Befehle. Oder melden Sie sich krank! Sie beteiligen sich an einem Verbrechen. Die Verantwortlichen für diesen Verfassungsbruch werden vor Gericht gestellt!"

Festnahme von Anselm Lenz | Quelle: rbb/Sundermeyer

KDW mobilisiert für die "Hygienedemos"

Die Wahrheit ist: Lenz hat gelegentlich als freier Autor für das übliche Zeilenhonorar in der taz Texte zur lokalen Kultur veröffentlicht, den vorläufig letzten am 12. März. Der 40-Jährige mit dem blond gewellten Haar gehört zu einer Gruppe Linksintellektueller aus Kreuzberg, die als "Verein in Gründung" firmieren. Unter dem Label "Kommunikationsstelle demokratischer Widerstand" (KDW) mobilisieren sie seit Ende März für die so genannten "Hygienedemos" vor der Volksbühne.

Dort versammelt sich wöchentlich eine illustre Querfront von linksaußen bis rechtsextrem, Verschwörungstheoretiker, Holocaustleugner, Russlandhörige, versprengte NPD-Aktivisten und zahlreiche Mitglieder des rechtsextremen "Flügels" der AfD. Weil Anselm Lenz und sein KDW sie alle eingeladen hat, zum friedlichen Protest. Befragt man ihn dazu, verweist er lediglich auf eine Zeitungsverteilaktion durch ehrenamtliche Aktivisten, die wöchentlich am Rosa-Luxemburg-Platz stattfindet. Mit der Ansammlung von mehreren hundert Menschen in Zeiten von Corona will er nichts zu tun haben.

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Die Polizei sieht das anders. In einem Schreiben vom 24. April, das dem rbb vorliegt, teilt ihm die Versammlungsbehörde mit:

"Im Hinblick auf die (…) Abläufe der Ansammlungen der vergangenen Samstage auf dem Rosa-Luxemburg-Platz (…) ist es geradezu weltfremd anzunehmen, dass (…) lediglich acht Personen bzw. weniger als die nur möglichen 20 Teilnehmenden anwesend sein werden", und weiter: "Die Entwicklungen der Lage müssen Sie sich zurechnen lassen, denn sie resultiert alleinig aus Ihren Aufrufen." Schließlich erteilt ihm die Behörde für den Tag des Protestes ein polizeiliches Aufenthaltsverbot für den Rosa-Luxemburg-Platz, das Anselm Lenz gebrochen hat. Medienwirksam bewarf er dabei einige Polizisten mit seinen Zeitungen, bevor die Inszenierung ihren Lauf nahm: Der Hauptdarsteller wurde in Handschellen abgeführt und verbrachte die nächsten Stunden in Haft.

In seiner vor Ort verteilten Zeitung "Demokratischer Widerstand" ist die Rede davon, dass sich "unsere Republik in ein de-facto-diktatorisches Hygiene-Regime verflüchtigt hat", dass "wir von der Regierung in Todesangst versetzt zuhause eingesperrt werden", dass "die großen Medienhäuser gleichgeschaltet werden", und dass "unsere staatlichen Institutionen gegen die Menschen instrumentalisiert werden. Ein dysotopisches Digital- und Pharmakonzern-Kartell drängt zur Macht."

Brandenburger AfD Landtagsabgeordneter Lars Günther | Quelle: rbb/Sundermeyer

Fragt man ihn nach all den Rechtsextremisten oder nach der AfD, die diese Einladung zum systemfeindlichen Protest auf dem Rosa-Luxemburg-Platz gerne annehmen, entgegnet Lenz mit dem Hinweis: "Um Gottes Willen, denen dürfen wir nicht den Protest überlassen. Im Übrigen gibt es ja keine Opposition in den Parlamenten, der Kampf um die Freiheitsrechte wird außerparlamentarisch geführt."

AfD-Abgeordnete vor der Volksbühne

Mit dem außerparlamentarischen Protest kennt Christoph Berndt sich aus. In Cottbus hatte er seit der Flüchtlingskrise mit seinem fremdenfeindlichen Verein "Zukunft Heimat" drei Jahre lang Tausende von Menschen und im Zusammenschluss mit dem rechtsextremen "Flügel" der AfD die politische Stimmung in der gesamten Lausitz gedreht. Bis die AfD dort zur stärksten Partei wurde, und er schließlich selbst hinter AfD-Landeschef Andreas Kalbitz, dem mächtigen Anführer des "Flügels", in den Landtag einzog.

Spätestens seit diesem 1. Mai setzen Kalbitz, Berndt und zahlreiche andere AfD-Mitglieder aus dem rechtsextremen Parteinetzwerk ganz auf die Corona-Krise, im Verbund mit zahlreichen anderen Akteuren der Neuen Rechten.

Dass sich der "Flügel" unter dem Druck des Verfassungsschutzes, der ihn zum Beobachtungsobjekt erklärt hatte, erst am Vortag offiziell aufgelöst hatte, ist in diesem Zusammenhang eine Randnotiz. Während Kalbitz und Berndt am 1. Mai durch Cottbus zogen, ("Demokratie statt Corona-Wahn") und auch am heutigen Dienstag wieder als "Zukunft Heimat" dort einen "Weckruf für Bürgerrechte" initiieren, kamen die übrigen Abgeordneten aus Kalbitz' Truppe zur Inszenierung vor der Volksbühne.

Brandenburger AfD Landtagsabgeordneter Wilko Möller | Quelle: rbb/Sundermeyer

"Das Ganze nur mal anschauen"

Auch Wilko Möller, AfD-Landtagsabgeordneter und Bundespolizist aus Frankfurt (Oder), sowie zahlreiche weitere AfD-Mandatsträger aus Brandenburg und dem Berliner Abgeordnetenhaus. Möller sagt, er wolle sich das Ganze nur mal anschauen. Genauso haben sie es im Dezember 2014 schon einmal gemacht: Als eine Reisegruppe aus der Potsdamer AfD-Landtagsfraktion nach Dresden gefahren ist, zu Pegida, unter der Führung ihres damaligen Fraktionsvorsitzenden Alexander Gauland. Der sagte damals ebenfalls auf Nachfrage, dass er sich das Ganze "nur einmal anschauen" wolle. Die "Bildungsreise" der Reisegruppe hat sich für die AfD jedenfalls gelohnt. Es war der Tag, an dem die Straßenproteste von Pegida und die AfD als parlamentarischer Arm der neurechten Bewegung zusammenfanden. Die Flüchtlingskrise bezeichnete Gauland auch deshalb als einen "Glücksfall" für seine Partei. Der Rest ist Geschichte.

Die Inszenierung ist noch nicht zu Ende

Wie sich die Corona-Krise entwickelt, auch die Stimmung im Land, ist ungewiss. Vor allem die Haltung der AfD ist dazu bislang nicht einheitlich; das "Flügel"-Netzwerk setzt seit dieser Woche umfassend auf Widerstand. Nicht nur in Berlin und Brandenburg, auch in München, Leipzig, Chemnitz, Magdeburg, Pirna und in zahlreichen anderen Städten, in denen Rechtsextremisten den Protest der so genannten "Hygiene-Demos" versuchen zu dominieren. Doch einer der Mandatsträger, der ebenfalls zur Volksbühne gekommen ist, sich zum "Flügel" bekennt und schon die Pegida-Proteste von Anfang an begleitet hat, ist skeptisch. "Ich fürchte, dass wir jetzt schon zu spät dran sind, weil viele in der Partei nicht verstanden haben, welches Potenzial diese Krise für uns hat."

In welcher Rolle der Theaterdramaturg Anselm Lenz in Erinnerung bleiben wird, ist ungewiss. Ob als Kopf einer bundesweiten Protestbewegung, oder als "nützlicher Idiot" für die AfD, wie Lutz Bachmann, der Mitbegründer der Pegida-Bewegung von führenden Parteipolitikern rückblickend bezeichnet wird. Noch ist die Inszenierung nicht zu Ende.

Beitrag von Olaf Sundermeyer, rbb24 Recherche

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