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Video: rbb|24 | Autor: Tobias Goltz | 30.05.2020 | Quelle: rbb

Interview | CSD-Anmelder Nasser El-Ahmad

"Wir müssen sichtbar sein"

Der offizielle Christopher Street Day in Berlin wird wegen der Corona-Pandemie in diesem Jahr nur digital stattfinden. Eine Straßen-Demo soll es dennoch geben: LGBTIQ*-Aktivist Nasser El-Ahmad hat sie für Juni angemeldet. Aus seiner Sicht eine Notwendigkeit.

rbb: Herr El-Ahmad, warum haben Sie die Demo angemeldet?

Nasser El-Ahmad: Wir wollen uns nicht darauf einlassen, dass ausschließlich ein virtueller CSD veranstaltet wird. Daher haben wir die Initiative ergriffen und gesagt: Dann machen wir es als Community eben selber. Aus meiner Sicht muss eine solche Demonstration auf der Straße stattfinden. Denn genau dort gibt es Diskriminierung und Anfeindung. Die Zahlen, was Angriffe gegen Homosexuelle und trans*Menschen betrifft, sind gestiegen, wie man aktuell sehen konnte.

Ihr Motto lautet: "Save our Community – save our Pride. Stop sexual apartheid. Against LGBTIQ* free zones." Um welche Themen geht es Ihnen konkret?

Uns beschäftigt aktuell die Situation in Polen, Russland und der Ukraine. Wir wissen, dass es in unserem Nachbarland Polen zurzeit LGBTIQ*-freie Zonen gibt. Darauf wollen wir aufmerksam machen. Es geht uns aber auch generell um unsere LGBTIQ*-Community. Unsere ganzen Cafés und Bars stehen am Rande ihrer Existenz, auch wenn sie jetzt wieder öffnen dürfen. Aber Einschränkungen gibt es ja trotzdem noch, so dass viele langsam nicht mehr weiterwissen. Auch das wollen wir thematisieren. 

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"Berlin Pride"-Demo für 27. Juni angemeldet

Ein CSD mit Mindestabstand und Hygieneregeln ist kaum vorstellbar. Wie soll das funktionieren?

Ich bin sicher, dass es möglich ist. Aber natürlich wird es ganz anders als das, was wir bisher kannten. Ich vertraue jedem einzelnen Demonstranten, dass er sich an die Regeln hält, damit diese Demo stattfinden kann.

Können Sie sich denn wirklich darauf verlassen? Auf vielen Demos in Berlin tummeln sich gerade auch viele Verschwörungsideologen und Menschen aus rechten Kreisen, die nur darauf aus sind, Demos zu sprengen.

Das kann ich mir bei einem CSD nicht vorstellen. Das wird nicht passieren.

Die Veranstalter des offiziellen CSD Berlin warnen davor, dass Ihre Demo die Corona-Infektionszahlen wieder in die Höhe schnellen lassen könnte. Haben Sie davor keine Sorge?

Wir stehen in Kontakt mit der Versammlungsbehörde und werden die genauen Vorschriften für die Demo eine Woche vorher bekannt geben. Die Polizei unterstützt uns in unserem Vorhaben, weil Demonstrationen Grundrechte sind, die für alle gelten. Dieses Mal eben mit Auflagen wegen der Pandemie. Dazu muss man sagen: Was innerhalb der nächsten Wochen passiert, weiß momentan doch sowieso niemand. Es ist die Aufgabe der Versammlungsbehörde, uns angesichts der aktuellen Entwicklung Anweisungen zu geben, wie die Demo stattfinden darf. Ob eingeschränkt oder nicht eingeschränkt. Ob groß oder klein. Wir werden uns daran in jedem Fall halten.

Manche sagen jetzt schon: "Die queere Szene kann nicht mal während Corona aufs Feiern verzichten." Wie wollen Sie einen solchen Eindruck vermeiden?

Das Feiern gehört zur Community, weil es nun mal unser Leben ist, das wir feiern. Aber wer sagt, dass es nur ums Feiern geht, den lade ich gerne ein, sich unsere Veranstaltung anzuschauen und seine Meinung dann zu revidieren. Für mich ist es vor allem etwas Politisches, auf einen CSD zu gehen. Wir kämpfen für die Rechte von LGBTIQ*-Menschen, die bis heute unterdrückt werden.

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Virtueller CSD unter dem Motto "Don't hide your Pride!"

Sie selbst sind in Berlin-Neukölln aufgewachsen, stammen aus einer strenggläubigen muslimischen Familie aus dem Libanon. Mit 15 veränderte sich Ihr Leben radikal.

Richtig. Damals habe ich bei meinen Eltern gelebt, die sehr muslimisch geprägt und sehr konservativ sind – dementsprechend kamen sie mit meiner Homosexualität nicht klar. Ich konnte mich nicht offen bewegen, war schwul unterdrückt. Als ich mich befreien wollte, wurde ich ins Ausland entführt, sollte zwangsverheiratet werden. Meine Eltern drohten, mich zu töten. Zum Glück ging es gut aus und ich konnte mich von meinen Eltern und meiner Verwandtschaft entfernen. Am Ende habe ich sie angezeigt und vor Gericht gebracht. Im Anschluss habe ich eine Demo für LGBTIQ*-Rechte in Berlin-Neukölln organisiert. Meine Geschichte hat mich natürlich geprägt und zu dem Aktivisten gemacht, der ich heute bin. Mittlerweile wurde mein Leben sogar als Theaterstück auf die Bühne gebracht, das Menschen positiv beeinflusst und gerade auch Schulklassen erreicht. 

Und online für LGBTIQ*-Rechte zu kämpfen, funktioniert für Sie nicht?

Indem ich mich aus meiner extrem bedrohlichen Situation befreien konnte, musste ich mich nicht mehr verstecken. Dass man sich jetzt online verstecken müsste, ist daher eine Motivation für mich zu sagen: Nein, da mache ich nicht mit. Einen Online-CSD als eine Option finde ich gut und schön – aber: Wir müssen sichtbar sein. Man hat auch gespürt, dass die Community unbedingt einen CSD auf der Straße haben möchte, um präsent zu sein. Es gab viel Resonanz von Leuten, die sagten: Genau darauf habe ich gewartet. 

Steht Ihre Demo denn in Konkurrenz zu dem geplanten Online-CSD?

Der Berliner CSD e.V. hat mit unserer Demo am 27. Juni nichts zu tun. Aber wir kämpfen für ein und dieselbe Sache. Den virtuellen CSD unterstütze ich und wünsche den Veranstaltern viel Glück. Es geht in keinster Weise um die Frage, wer den besseren CSD hat - überhaupt nicht.

Welches Signal soll von Ihrer Demonstration ausgehen?

Ich hoffe einfach, dass die Demo friedlich verläuft und wir sie zu Ende bringen können. Wenn das passiert, haben wir ein deutliches Zeichen gesetzt, auch international. Man würde sehen: Auch in Zeiten einer Pandemie können wir auf der Straße etwas bewegen. Ich glaube an unsere Community, dass sie das hinbekommt. 

Vielen Dank für das Gespräch.

Das Interview führt Tobias Goltz, rbb|24

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