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Quelle: dpa/Wolfgang Kumm

Kürzere Meldewege, weniger Corona-Tests in Kitas

So will Neukölln das Gesundheitsamt und die Testlabore entlasten

Neukölln ist aktuell trauriger Corona-Spitzenreiter in Berlin. Jetzt hat der Bezirk Maßnahmen auf den Weg gebracht, die Abhilfe schaffen sollen. Neukölln hinke derzeit der Krise hinterher, räumt Gesundheitsstadtrat Falko Liecke ein.  

Mit schnelleren Anordnungen von Quarantänemaßnahmen und dem Verzicht auf Tests im Falle einer Quarantäne in Kitas sowie mit mehr Personal im Gesundheitsamt will Neukölln die stark zunehmende Ausbreitung des Coronavirus in dem Bezirk zurückdrängen.

Seit Donnerstag sollen "qualifizierte Dritte" wie Arbeitgeber und Schul- sowie Kitaleitungen über eine vom Gesundheitsamt angeordnete Quarantäne die Betroffenen direkt informieren. Das geht aus einer Allgemeinverfügung hervor, die der Bezirk am Freitag veröffentlicht hat [berlin.de]. Bisher musste jeder von einer Quarantäne Betroffene zunächst durch das Gesundheitsamt informiert werden, was zu einem hohen Aufwand und stellenweise zu zeitlichem Verzug geführt habe, erklärt das Bezirksamt.

Mit diesem Schritt könne zum einen die Arbeit des Gesundheitsamtes erleichtert und zum anderen Meldewege verkürzt werden, heißt es in einer Mitteilung des Bezirksamts: "So wird es möglich, große Gruppen von Kontakt- oder Verdachtspersonen zeitgleich in die sichere Quarantäne zu schicken."

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Außerdem wird künftig auf Corona-Tests bei Kontaktpersonen ersten Grades in Kitas verzichtet, die in Quarantäne sind und keine Symptome haben, wie aus einem Schreiben des Bezirks an die Neuköllner Kitaleitungen hervorgeht, das dem rbb vorliegt. Kontaktpersonen ersten Grades mit Symptomen müssen sich eigenständig Abstrichtermine besorgen, heißt es darin weiter. Zudem müssen demnach Erzieherinnen und Erzieher im Falle eines Corona-Ausbruchs in der Kita selbständig Eingruppierungen in Kontaktpersonen ersten und zweiten Grades vornehmen. Bislang wurde diese Aufgabe vom Gesundheitsamt ausgeübt.

Der Neuköllner Gesundheitsstadtrat Falko Liecke (CDU) verteidigte am Freitag diese Maßnahmen im Gespräch mit rbb|24. "Diese Schritte verschaffen den angespannten Testkapazitäten der Labore und auch unseren Mitarbeitern im Gesundheitsamt Luft", so Liecke. Grundsätzlich sei die Änderung der Teststrategie in Kitas aber nicht wirklich neu, denn auch bisher seien nur jene Kita-Kinder während der Quarantäne getestet worden, deren Eltern systemrelevante Berufe ausübten. "Am wichtigsten ist die Einhaltung der Quarantäne, und während der Quarantäne machen Tests sowieso nur wenig Sinn", so der CDU-Politiker. Die Quarantänezeit könne dadurch nur unerheblich verkürzt werden.

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Die Erzieherinnen und Erzieher bat Liecke um Verständnis dafür, bei der Kontaktnachverfolgung aktiver als bisher mitzuwirken: "Sie sind am unmittelbarsten dran. Und wir brauchen etwas mehr Zuarbeit, denn wir sind momentan hinter der Lage. Wir wollen aber wieder vor die Lage kommen", betonte Liecke.

Ab Montag würden die Bezirke Mitte und Steglitz-Zehlendorf ebenfalls diese Schritte bei sich einleiten, so Liecke. Auch im von hohen Corona-Infektionszahlen geplagten Bezirk Friedrichshain-Kreuzberg wird das erwogen: "Wir haben uns heute mit unseren Bezirkskollegen und mit der Gesundheitssenatorin darüber ausgetauscht. Die neue Akzentuierung bei den Corona-Tests in Neuköllner Kitas ist für mich nachvollziehbar", erklärte der Gesundheitsstadtrat des Bezirks, Knut Mildner-Spindler (Linke) auf rbb|24-Nachfrage. In den Schulen seines Bezirks seien schon seit Beginn der Corona-Pandemie Lehrerinnen und Lehrer aktiv an der Kontaktnachverfolgung beteiligt: "Wir bitten sie im Falle eines Corona-Ausbruchs nicht erst jetzt, sondern schon seit Monaten, uns bei der Kontaktnachverfolgung behilflich zu sein", so Mildner-Spindler.

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Der Neuköllner Gesundheitsstadtrat Liecke wiederum blickt mit großer Sorge auf die Infektionszahlen in seinem Bezirk, die am Freitag mit 472 neuen Fällen und einer Inzidenz von 143,1 neue Höchststände erreicht haben. Liecke betonte, die Herbstferien verschafften dem Bezirk nun eine "dringend benötigte Atempause". Denn Kinder und Jugendliche trügen Infektionen aus dem familiären Umfeld in die Kitas und Schulen hinein, erklärte er im Gespräch mit rbb|24. Stand Freitag wurden an 31 Schulen in Neukölln 79 Schüler und 13 Personen aus dem Schulpersonal positiv getestet. 100 Lerngruppen sind betroffen, 1.854 Schüler sind in Quarantäne, meldete der Bezirk am Freitag.

"Wir haben besonders viele Neuinfektionen im Nordteil Neuköllns. Dabei spielen feiernde Menschen die größte Rolle: Hochzeiten, Partys, Familienfeiern, aber auch Sportvereine. Grundsätzlich haben wir nach wie vor ein sehr diffuses Bild, was die Kontaktnachverfolgung sehr schwierig macht“, betonte Liecke erneut.

Abhilfe schaffen soll zusätzliches Personal in den Gesundheitsämtern, wie der Gesundheitsstadtrat schließlich noch ankündigte: "Bisher sind 170 Personen in die Infektionsnachverfolgung einbezogen, hinzu kamen zuletzt 27 Bundeswehrsoldaten. Mitte Oktober kommen 26 weitere Verwaltungskräfte, und die Gesundheitssenatorin hat mir heute mitgeteilt, dass Bundesmittel für weiteres Personal in Aussicht gestellt werden kann."

Sendung: Abendschau, 09.10.2020, 19:30 Uhr

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