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Video: Abendschau | 14.10.2020 | Tom Garus | Quelle: dpa/Sven Braun

Debatte über Personalmangel zur Kontaktnachverfolgung

Berliner Gesundheitsämter wehren sich gegen Kritik

Laut Medienberichten herrscht in Berlins Gesundheitsämtern der Notstand: Die Corona-Pandemie überfordere die ohnehin unterbesetzten Verwaltungen, es fehle vor allem Personal zur Kontaktverfolgung. Doch nun kommt aus einigen Bezirken Widerspruch. Von Sebastian Schöbel

Mit Unverständnis reagieren einige Berliner Bezirke auf einen Bericht, wonach die wirksame Bekämpfung der Corona-Pandemie in der Hauptstadt angeblich nicht mehr sichergestellt sei. Ein Bericht aus dem Bundesgesundheitsministerium hatte das zuvor nahegelegt.

Engpässe, die es unter anderem beim Personal für die Kontaktnachverfolgung gibt, würden ausgeglichen beziehungsweise bestünden gar nicht mehr, heißt es auf rbb-Nachfrage nun aus Reinickendorf, Spandau und Neukölln.

"Wir werden vor die Lage kommen"

Laut einer parlamentarischen Anfrage der Linken, die dem rbb vorliegt, hatte zuletzt kein Bezirk in Berlin ausreichend Personal für die Kontaktnachverfolgung bei Corona-Infizierten bereitgestellt - zumindest nach Darstellung des Senats. Die Vorgabe von fünf Stellen pro 20.000 Einwohnern wurde demnach nirgendwo erreicht: Während etwa in Spandau mit 244.000 Einwohnern rund 60 Personen mit der Kontaktnachverfolgung beschäftigt sein müssten, waren es laut Angaben des Senats 15.

Dem widersprach die zuständige Amtsärztin, Gudrun Widders, vehement. Auf Nachfrage des rbb teilte sie am Mittwoch mit, dass aktuell 48 Personen die Kontakte von Coronainfizierten nachverfolgen würden. Demnächst würden zehn weitere Stellen besetzt. "Wir haben eine kritische Situation, weil die Infektionszahlen steigen", so Widders, "aber wir werden innerhalb von einer Woche wieder vor die Lage kommen". Das Personal werde ständig an die Situation angepasst.

"Pandemiebekämpfung komplexer als Kontaktnachverfolgung"

Auch der Amtsarzt von Reinickendorf, Patrick Larscheid, wies die Berichte über fehlende Kontaktnachverfolger in seinem Bezirk zurück. Die vom Senat für Reinickendorf angegebenen neun Stellen seien in Wirklichkeit eine zusätzliche Reserve. "Wir haben aber eine so massive Bezirksunterstützung, dass wir das nicht brauche." Mit der Pandemiebekämpfung seien im Gesundheitsamt Reinickendorf, das auch für den Flughafen Tegel zuständig ist, aktuell 90 Personen beschäftigt, so Larscheid. "Pandemiebekämpfung ist weitaus komplexer als nur Kontaktnachverfolgung."

So sieht es auch der Gesundheitsstadtrat von Neukölln, Falko Liecke (CDU). Der Bezirk erlebt derzeit ebenfalls einen massiven Anstieg bei den Neuinfektionen. "Wir sind aber nicht handlungsunfähig", so Liecke. "Ich rufe auch nicht um Hilfe, ich organisiere sie." So seien derzeit 174 Personen in der Neuköllner Gesundheitsverwaltung mit der Pandemiebekämpfung beschäftigt, ab 1. November würden 26 weitere dazukommen. Zudem sei Verstärkung durch das Landesamt für Gesundheit und Soziales auf dem Weg. "Wir haben nicht vordergründig ein Personalproblem", sagte Liecke dem rbb. Schwierig sei einfach die reine Menge an neuen Corona-Infektionen.

Verärgert zeigte sich Liecke allerdings über das Bundesverteidigungsministerium. Das prüfe derzeit, ob die 27 in Neukölln eingesetzten Bundeswehrsoldaten für bestimmte Aufgaben im Gesundheitsamt überhaupt eingesetzt werden dürfen, etwa die Überbringung von Quarantäneanordnungen.

Bezirke besetzen Stellen nach

Dass die Berliner Gesundheitsämter unter Personalmangel leiden, war schon vor der Coronakrise klar, auch der rbb hatte immer wieder darüber berichtet. Die nicht besetzten Stellen machten sich dann vor allem zu Beginn der Pandemie bemerkbar. Nun arbeiten die Ämter seit Monaten am Anschlag, die Arbeitsbelastung sei enorm hoch, berichtet die Deutsche Presseagentur auf Basis einer eigenen Umfrage.

Von einem Ausnahmezustand seit Mitte März und Arbeiten bei der Pandemiebekämpfung am Rande der personellen Kapazitäten spricht das Bezirksamt Pankow. Rund 20 Stellen sind derzeit unbesetzt. Für die Kontaktnachverfolgung sollen 18 befristete Stellen besetzt werden.

Auch das Gesundheitsamt Charlottenburg-Wilmersdorf schätzt den derzeitigen Arbeitsaufwand als "enorm" ein. "Insbesondere die Nachverfolgung von Kontakten bei rapide steigenden Fallzahlen und größere Infektionsgeschehnisse wie Schulen, Kitas oder Alten- und Pflegeheime stellen eine zunehmende Herausforderung dar." Im Gesundheitsamt sind den Angaben zufolge gut 20 Stellen nicht besetzt, für die Kontaktnachverfolgung werden ebenfalls Mitarbeiter befristet eingestellt. Das Bezirksamt Mitte hat aktuell acht offene Stellen, in den kommenden Wochen sollen 36 Stellen zur Kontaktnachverfolgung besetzt werden.

Linke fordern bessere Ausstattung der Verwaltung

Berlins Regierender Bürgermeister Michael Müller hatte am Freitag von berlinweit 200 offenen Stellen in den Gesundheitsämtern gesprochen. Er wies darauf hin, dass es oft schwierig sei, Personal dafür zu finden, auch wenn Stellen ausgeschrieben und die Finanzierung gesichert sei.

Die Berliner Linke hat am Dienstag eine bessere Ausstattung der Gesundheitsämter gefordert - insbesondere für die Kontaktverfolgung von Menschen, die positiv auf das Coronavirus getestet wurden. Diese müsse 24 Stunden am Tag und sieben Tage in der Woche sichergestellt sein, sagte Linken-Fraktionschef Carsten Schatz. Dafür bräuchten die Gesundheitsämter mehr Personal, etwa aus anderen Verwaltungen, so Linken-Landeschefin Katina Schubert. Zudem werde mehr Personal mit Fremdsprachenkenntnissen benötigt. Auch einen Einsatz von Bundeswehrsoldaten sei als allerletztes Mittel möglich, sagte Schubert.

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