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Video: Abendschau | 01.11.2020 | Iris Marx | Quelle: dpa/Fabian Sommer

Corona-Sondersitzung im Abgeordnetenhaus

Müller appelliert, Pazderski konterkariert, Jarasch überrascht

An einem Sonntag ruft Berlins Regierender Bürgermeister Müller das Abgeordnetenhaus zusammen, um über den vom Bund beschlossenen erneuten Teil-Lockdown zu debattieren. Fast alle Parteien tragen die Maßnahmen mit, wenn auch unter Kritik. Nur eine schlägt quer.

Bei einer Sondersitzung des Berliner Abgeordnetenhauses einen Tag vor Beginn des vierwöchigen Teil-Lockdowns zur Eindämmung der Corona-Pandemie hat Berlins Regierender Bürgermeister Michael Müller (SPD) eine Regierungserklärung abgegeben und im Parlament um Zustimmung zu den beschlossenen Maßnahmen geworden. Außerdem rief Müller die Berlinerinnen und Berliner dazu auf, sich an die strengen Kontaktbeschränkungen und weitere Regeln zu halten.

"Ich weiß, wir muten wieder vielen Menschen viel zu", sagte Müller am Sonntag im Plenum. "Aber unsere Überzeugung ist: Es geht nicht anders", unterstrich er. Zudem erklärte er, dass er die von Bund und Ländern beschlossenen Maßnahmen "aus voller Überzeugung" mittrage.

Überall in Europa seien ein drastischer Anstieg von Infektionen und leider auch wieder mehr Todesopfer zu beobachten. Müller machte daher deutlich: "Ich will kein Brüssel in Berlin, ich möchte kein Bergamo. Ich möchte keine Bilder von Kühllastern mit Verstorbenen, die durch New York fahren. Ich möchte so etwas nicht in Berlin."

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Müller: "Chance auf gemeinsame schöne Adventszeit"

Jeder sei angehalten, seine Kontakte auf ein absolutes Minimum zu reduzieren. Sinnvoll und nötig sei auch, überall dort, wo es eng sei, Maske zu tragen, appellierte Müller und setzte sich deutlich den sogenannten "Corona-Leugner" entgegen: "Wer behauptet, wir würden diese Corona-Krise nutzen, um einen Corona-Diktatur zu errichten, mein Gott, was sind das für dümmliche Reden", sagte er empört. Ebenso dumm seien Vergleiche zur Grippe, so Müller weiter und erklärte in Hinblick auf den "Verschwörungsideologen" Attila Hildmann, dass es in dieser Krise nicht wichtig sei, Veganköchen oder Reichsflaggenträgern hinterherzulaufen."

Müllers Hoffnung sei, "in den kommenden vier Wochen die Infektionsdynamik zu durchbrechen, am besten sogar zurückzudrängen". Ob das gelinge, könne er nicht versprechen. "Aber wir haben die Chance auf eine gemeinsame schöne Adventszeit mit unseren Freuden und der Familie", beruhigte der SPD-Politiker.

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Müller: Nicht vor jedem Wohnzimmer ein Polizist

Im Montag wird das öffentliche Leben in Berlin wie in ganz Deutschland für vier Wochen heruntergefahren. Gastronomiebetriebe, Kultur-, Sport- und Freizeiteinrichtungen müssen schließen. Für die Bürger gelten strikte Kontaktbeschränkungen, die an die Anfangszeit der Pandemie erinnern. Die Politik hofft, mit dem Teil-Lockdown die steigenden Infektionszahlen und den wachsenden Druck auf das Gesundheitswesen in den Griff zu bekommen.

"Die Berliner Polizei wird gemeinsam mit Bundespolizei und Ordnungsämtern dafür sorgen, dass diese Regeln umgesetzt werden", kündigte Müller an. Gleichwohl sei der November der "Monat der Eigenverantwortung". Mann könne nicht lückenlos überwachen, denn "wir können und wollen nicht vor jedes Wohnzimmer einen Polizisten stellen".

Dregger befürchtet neue Welle nach Weihnachten

CDU-Fraktionschef Burkard Dregger sagte dem Senat zu, die von diesem Montag an geltenden Maßnahmen mitzutragen. Gleichzeitig übte der Oppositionsführer aber scharfe Kritik an der rot-rot-grünen Regierungskoalition. "Wie kann es sein, dass die Nachverfolgung der Gesundheitsämter nicht mehr funktioniert?", fragte Dregger.

Er forderte den Senat auf, sich schon jetzt Gedanken über die nächste Infektionswelle zu machen, die es im Januar nach den Familienfeiern an den Weihnachtstagen geben könnte. An Müller gerichtet fragte er: "Wollen Sie dann wieder alles schließen, immense wirtschaftliche Schäden in Kauf nehmen und schuldenfinanzierte Hilfsprogramme starten?"

Harsche Kritik der AfD

Angesichts der jüngsten harten Beschlüsse vom Bund zum Herunterfahren von Teilen des öffentlichen Lebens hatten Abgeordnete zuletzt dringend gefordert, das Parlament stärker einzubeziehen. Daher tagte dieses am Sonntag noch vor Inkrafttreten der harten Maßnahmen. Müller sagte in Richtung der Abgeordneten: "Sie haben recht, wenn Sie sagen, dass das Parlament stärker einbezogen werden muss."

AfD-Fraktionschef Georg Pazderski nannte die Sondersitzung eine Farce. "Kritik darf pro forma geäußert werden, aber jeder weiß, an dem, was die Bundeskanzlerin und die Ministerpräsidenten der Länder beschlossen haben, wird nichts verändert." Viele Maßnahmen des Teil-Lockdowns wie die Kontaktbeschränkungen oder die Schließungen in der Gastronomie seien unverhältnismäßig. "Hier wird mit dem Holzhammer rücksichtslos und sinnlos eine Stadt k.o. geschlagen."

Er warf den "Altparteien" vor, "auf Angst, Drohungen und Denunziantentum" zu setzen und sprach von einer "Bazooka-Methode". Diese werde eine Klagewelle nach sich ziehen, prognostizierte Pazderski.

Bettina Jarasch wurde erst vor wenigen Wochen überraschend zur Grünen-Spitzenkandidatin für die Abgeordnetenhauswahl 2021 nominiert. | Quelle: dpa/Fabian Sommer

Jarasch kündigt Kehrtwende in Bezirk an

Die Grünen-Spitzenkandidatin Bettina Jarasch erklärte, es sei richtig, das Leben in den nächsten Wochen herunterzufahren. "Wir sind aber auf die Eigenverantwortung der Menschen angewiesen und nicht auf Moralpredigten."

Zudem überraschte sie mit der Aussage, dass der Bezirk Friedrichshain-Kreuzberg nun doch Überstützung der Bundeswehr etwa in den Gesundheitsämtern einfordern werde. Dazu habe man sich soeben entschlossen, sagte Jarasch. Der Bezirk hatte als einziger eine Hilfe durch Soldatinnen und Soldaten bisher aus ideologischen Gründen abgelehnt.

Einigkeit bei FDP und Linken

Zuvor hatte FDP-Fraktionsvorsitz Sebastian Czaja ein klares Bekenntnis von Jarasch zum Thema Bundeswehr gefordert. "Hilfen von allen staatlichen Stellen müssen in unserer Stadt angenommen werden", sagte Czaja. Er griff aber auch den Senat an und warf ihm "Mittelmaß vor", obwohl er von den Bürgerinnen und Bürger "höchste Kraftanstrengungen" verlange.

Gleich zu Beginn seines Redebeitrages stimmte Czaja den Linken in den Punkten Kurzarbeitergeld und Unterstützung für Unternehmen zu. Sein Vorredner, der Linken-Fraktionsvorsitzende Carsten Schatz, hatte einer Erhöhung des Geldes aufgerufen und eine Überarbeitung des vom Bund beschlossenen 75-Prozent-Zuschusses für Selbstständige gefordert.

Außerdem kritisierte Schatz, dass die Kultur nicht derart eingeschränkt werden dürfe, wie es durch die Eindämmungsmaßnahmen ab 2. November geschehe. Er würdigte vor allem den sozialen Faktor von Gastronomie-, Kultur- und Bildungseinrichtungen und betonte, wie wichtig es sei, Schulen, Kitas und Freizeitangebote für Kinder offen zu halten. "Wir müssen Möglichkeiten schaffen, dass Kinder auch unter diesen Bedingungen mal rauskommen und die Eltern entlastet werden."

Sendung: Abendschau, 01.11.2020, 19:30 Uhr

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