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Audio: Inforadio | 04.01.2021 | Sebastian Schöbel | Quelle: dpa/K. Schmitt

Ungeeignete Software

Warum der "Lernraum Berlin" nicht lockdown-fähig ist

Nur mit großem technischem Aufwand kann die landeseigene Unterrichtsplattform "Lernraum Berlin" nutzbar gemacht werden. Dennoch brach der Service auch zum Schulbeginn nach den Weihnachtsferien wieder zusammen. Der Grund ist aber nicht die Rechnerleistung. Von Sebastian Schöbel

Mit Beginn des Unterrichts in Berlin nach den Weihnachtsferien gibt es erneut große technische Probleme mit der landeseigenen Online-Plattform "Lernraum Berlin". Am Montagmorgen konnten zahlreiche Nutzer die Plattform nur eingeschränkt oder gar nicht mehr benutzen: Videokonferenzen brachen ab, Unterrichtsmaterial war nicht erreichbar, etliche Nutzer konnten sich gar nicht erst anmelden. Etliche Nutzer bekamen nur eine Fehlermeldung zu sehen: "Bad Gateway".

Am Montagmorgen teilte das Team des "Lernraum Berlin" auf Twitter noch mit, das System laufe stabil. Daraufhin meldeten sich etliche Lehrkräfte und Eltern, die das Gegenteil zu berichten hatten - nicht selten mit Hife von Screenshots. Am Vormittag schließlich räumte "Lernraum Berlin" ein: "Seit heute morgen, ca. 8 Uhr, sind die Verbünde 1und2 und 3und4 nicht erreichbar. Der Bereich OSZ arbeitet normal. An einer Behebung der Störung wird mit Hochdruck gearbeitet. Sobald weitere Informationen verfügbar sind, werden wir Sie hier informieren."

"Wir hatten unsere Dienstleister beauftragt, die Rechenleistungen so hochzufahren, dass die steigenden Nutzerzahlen aufgefangen werden können", teilte ein Sprecher der Bildungsverwaltung auf rbb-Nachfrage mit. Ziel sei es, "eine sichere Lastenverteilung für bis zu 120.000 Nutzer des Lernraums abzusichern". Also genug für die aktuell mehr als 108.000 registrierten Nutzer.

Tatsächlich wurden für den Lernraum inzwischen Server zur Verfügung gestellt, die normalerweise für Supercomputer genutzt werden. Drei solcher Maschinen wurden nach rbb-Informationen am Montag dazugeschaltet. Sie stehen am Zuse Institut Berlin, wo seit Monaten mehrere Dutzend Ingenieure daran arbeiten, den "Lernraum" technisch zu stabilisieren. Schon beim letzten Zusammenbruch im Dezember ließen die IT-Experten allerdings vorsichtig durchblicken: An ihren Rechnern liege es nicht, dass die Plattform nicht funktioniert. Als nun von der Politik erneut auf fehlende Rechnerkapazitäten verwiesen wurde, stellte das Zuse Institut per Tweet erneut klar: "Netze, Firewalls, Serverkapazität. Zu keinem Zeitpunkt waren sie die Ursache des Ausfalles."

Software des "Lernraum" wird zum Flaschenhals

Nach rbb-Informationen liegt das Problem offenbar woanders: In der Software, die für den "Lernraum Berlin" aufgesetzt wurde und von der Senatsverwaltung für Bildung verantwortet wird. Das Programm, basierend auf der Open-Source-Software Moodle, wurde 2005 für den Gebrauch mit relativ wenigen Nutzern konzipiert, nicht für die gleichzeitige Verwendung durch tausende Schüler und hunderte Schulen. Nun wird das Programm zum digitalen Flaschenhals, wie der rbb aus gut informierten Kreisen erfuhr: Statt die vielen unterschiedlichen Anfragen und Datenströme intelligent aufzuteilen, würden die vielen Nutzer in sehr wenige Gruppen zusammengepfercht - und die Server dann regelrecht überfordert. Als würde man den Verkehr, der eigentlich auf hunderten Autobahnspuren gleichzeitig rollt, über zwei bis drei Spuren zwängen.

Bekannt ist das Problem laut rbb-Informationen schon lange. IT-Experten gehen davon aus, dass die Datenbanken der Software neu strukturiert und für die aktuelle Nutzung angepasst werden müssten. Doch das sei aufwändig, heißt es - und im laufenden Betrieb kaum zu leisten.

Kritik von CDU und FDP

"Das ist einfach eine Katastrophe", sagte der bildungspolitische Sprecher der FDP-Fraktion, Paul Fresdorf. "Dieser Senat hat einfach keine Digitalkompetenz, wenn es um das Thema Bildung geht." Er forderte, dass der "Lernraum Berlin" schnellstmöglich ertüchtig wird, notfalls mit externer Hilfe.

Auch Berlins CDU-Vorsitzender Kai Wegner kritisierte am Montag, das technische Unvermögen des Senats stehe symptomatisch für die "verkorkste" rot-rot-grüne Bildungspolitik. "Während andere
Bundesländer den Heimunterricht meistern, scheitert Berlin an der technischen Umsetzung", so der CDU-Politiker. "Wegen des Infektionsgeschehens müssen wir Eltern und Schülern derzeit wieder viel Verantwortung übertragen. Da sollte es das Mindeste sein, dass in dieser Phase der Lernraum Berlin für alle Nutzer problemlos erreichbar ist."

Allerdings hat nicht nur Berlin im Lockdown Probleme mit seiner Online-Plattform für Fernunterricht: So war zuletzt auch immer wieder das landeseigene "mebis"-System in Bayern zusammengebrochen. Und zum Schulbeginn nach den Weihnachtsferien hatte auch Brandenburg mit der "Schulcloud" des Hasso-Plattner-Instituts zumindest punktuell Probleme.

Rückkehr zum Präsenzunterricht noch unklar

"Wir stehen am Anfang der Woche. Viele haben sich nach den Ferien einigermaßen motiviert und frisch vor den Computer gesetzt und dann festgestellt, das funktioniert alles nicht", sagte der Vorsitzende des Berliner Landeselternausschusses, Norman Heise, am Montag der Deutschen Presse-Agentur. "Es funktioniert nicht - Punkt. Und es muss funktionieren - Punkt.
Mehr kann man dazu aus Elternsicht nicht sagen."

Heise kritisierte außerdem, dass eine Wartung der Lernraum-Plattform unmittelbar vor dem Start am Montag angesetzt wurde: "Der Zeitpunkt für die Wartung war ungünstig, weil viele Lehrkräfte am Wochenende versucht haben, Unterlagen zu aktualisieren oder weitere hochzuladen, damit sie am Montag zur Verfügung stehen", sagte er. Es hätte auch getestet werden müssen, ob die Plattform nach der Wartung funktioniert.

Genau diese Tests - ob das System die vielen Zugriffe verarbeiten kann - sind in der Praxis allerdings schwierig. Laut rbb-Informationen wurden dies auch beim Lernraum immer wieder simuliert. Mit der Realität aber sei das kaum zu vergleichen, sagen IT-Experten.

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CDU: Präsenzunterricht nicht vor Ende der Winterferien

Die Kultusminister der Länder einigten sich am Montag derweil auf ein Stufenmodell, mit dem zum Präsenzunterricht zurückgekehrt werden soll. Zuerst sollen demnach die Grundschüler zurückkehren dürfen, außerdem Schüler von Abschlussklassen.

Vor dem Ende der Winterferien sehe ich das nicht", sagte der CDU-Bildungsexperte Dirk Stettner dem rbb. "Bis dahin sollten unsere Schulen geschlossen bleiben." Denn die Infektionszahlen seien weiterhin viel zu hoch, so Stettner, ein sicherer Schulbetrieb nicht möglich.

Auch die Kultusminister halten eine Rückkehr zum Präsenzunterricht erst machbar, wenn es die Pandemielage zulässt. Damit wird digitaler Fernunterricht noch länger zum Schulalltag gehören - und damit wohl auch Probleme mit den diversen Unterrichtsplattformen wie dem "Lernraum Berlin".


Sendung: Abendschau, 04.01.2021, 19:30 Uhr

Beitrag von Sebastian Schöbel

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