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Audio: Antenne Brandenburg | 26.11.2021 | Christian Matthée | Quelle: IMAGO / MiS

Interview | Neue Corona-Variante aus Südafrika

"Man muss erstmal genau die Daten analysieren, bevor man Panik macht"

In Südafrika ist eine neue Corona-Variante entdeckt worden, die ansteckender sein könnte als die Delta-Variante. Kanzleramtsminister Braun sagte, sie mache ihm "sehr große Sorgen". Die Cottbuser Mikrobiologin Heidrun Peltroche warnt jedoch vor Panikmache.

Es gibt eine neue, möglicherweise gefährliche Variante des Coronavirus: B.1.1.529. Sie wurde vor Kurzem erstmals im Süden Afrikas nachgewiesen, in Botswana. Besonders viele Fälle wurden dann in der Provinz Gauteng nachgewiesen.

Als Vorsichtsmaßnahme hat das Bundesgesundheitsministerium am Freitag entschieden, den Flugverkehr aus Südafrika einzuschränken [tagesschau.de]. Ab der Nacht zum Samstag dürfen nur noch deutsche Staatsbürger aus Südafrika einreisen.

rbb|24: Frau Peltroche, Sie untersuchen im Cottbuser Carl-Thiem Klinikum in einem Referenzlabor Mutationen des Corona-Virus. Was ist an dieser neuen Virus-Variante - im Vergleich zu bisherigen - anders?

Heidrun Peltroche: Ich glaube, man muss sich erstmal klarmachen, dass wir in der ganzen Welt die neuen Varianten suchen. Das ist die Aufgabe der Genom-Sequenzierung, die weltweit aufgesetzt wurde - damit wir uns die Veränderungen des Virus schnell angucken können. Genau das hat man auch in Südafrika gemacht - dort gab es in der Provinz Gauteng wieder vermehrt Fälle. Und auch die [dortigen Wissenschaftler] sammeln ihre Stämme und sequenzieren einen Anteil. Dabei hat man gesehen, dass es eine Variante gibt, die besonders viele Mutationen hat, insbesondere auch im Spike-Protein [Das Spike-Protein ist der Teil des Virus, mit dem es an menschliche Zellen bindet. Anm.d.Red.].

Warum ist diese Variante jetzt noch einmal ansteckender?

Ich denke, dass man das noch nicht zu 100 Prozent weiß. 77 Fälle gab es im Norden in der Provinz Gauteng, soweit ich weiß, vier Fälle in Botswana und ein Fall war ein Einreisender aus Hongkong. Möglicherweise ist diese Variante eben nicht nur dort verbreitet.

Jetzt schaut man, wo sie Veränderungen in diesem Buchstabencode hat - vor allen Dingen für dieses Spike-Protein. Und da hat sie besonders viele. Wenn man es mal vergleicht: Die Delta-Variante hatte vier Veränderungen in Aminosäuren im Spike-Protein, diese neue Variante hat 30 Veränderungen im Spike-Protein. Bei der besonderen, feinen Stelle im Spike-Protein, die dafür da ist, um an Zellen anzudocken, hat die neue Variante tatsächlich zehn Mutationen, und die Delta-Variante hatte nur zwei.

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Ist die neue Variante damit leichter übertragbar?

Möglicherweise. Ich wäre da sehr vorsichtig. Wir kennen einige dieser Veränderungen - sie sind auch in der Delta-Variante, einige auch in der Alpha-Variante gewesen. Und wir wissen, dass einige dieser Veränderungen tatsächlich damit einhergehen, dass das Virus übertragbarer und infektiöser wird und möglicherweise - das ist ja das, was wir ganz wichtig wissen wollen - auch dem Impfstoff entkommen können und dass vielleicht die Wirksamkeit unserer Impfstoffe nicht mehr gegeben ist.

Aber ich denke, man muss da langsam und vernünftig rangehen und erstmal genau die Daten analysieren, bevor man jetzt Panik macht.

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Sie haben gesagt, dass die neue Variante aufgefallen ist, weil Sequenzierungen gemacht werden. Wie verändert sich jetzt auch ihre Arbeit hier in Cottbus. Geht sie normal weiter, oder suchen Sie jetzt spezieller nach dieser neuen Variante?

Wir wissen, wo die Mutationen in diesem neuen Varianten-Virus sind, und wir sequenzieren auch das Ganz-Genom und würden jetzt auf keinen Fall diese Variante übersehen. Nicht nur unsere Aufmerksamkeit ist geschärft, sondern das ist in ganz Deutschland so. Wir laden unsere Ganz-Genom-Sequenzen auf eine Informationsplattform hoch, die vom Robert-Koch-Institut geführt wird. Dort laden auch alle anderen ihre Genom-Sequenzen hoch. Man kann jetzt definitiv sagen, dass diese Variante bei uns noch nicht vorgekommen ist.

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Wie schnell kann die Variante zu uns kommen - und was bringt es, jetzt den Flugverkehr teilweise einzustellen?

Das finde ich übertrieben. Wenn wir in Deutschland sehen, dass wir im Moment pro Tag um die 70.000 neue Infektionen haben, dann reden wir hier [bei der neuen Variante, d. Red.] von einer weitaus geringeren Zahl an Neuinfektionen. Man muss sicherlich - und das tun die Menschen in Südafrika - die Hygienemaßnahmen steigern. Man muss alles, was wir an Maßnahmen umsetzen können, mit Masken und Atemschutz, einführen. Aber sofort alle Flüge zu stoppen, halte ich für ein bisschen über das Ziel geschossen.

Man muss also keine große Angst haben, dass die neue Virus-Variante eingeschleppt wird?

Das ist eine schwierige Frage. Angst sollte man eigentlich nicht haben. Wir müssen hier in der Pandemie vernünftig weitermachen. Selbstverständlich kann es passieren, dass das Virus hier herkommt. Es kann passieren, dass wir dadurch eine Übernahme erleben, so wie wir das von Delta kennen, dass das Virus wirklich fitter ist, infektiöser. Das kann alles passieren, aber es ist ja noch nicht passiert.

Es kann auch passieren, dass der Impfstoff wieder schwächer ist. Aber wir wissen auch, dass der mRNA-Impfstoff schnell veränderbar und anpassbar ist. Dann wird man einen neuen Impfstoff entwickeln.

Alle die, die sich jetzt impfen lassen und die dritte Impfung haben, bekommen dann vielleicht als vierte im nächsten Jahr eine Impfung, die möglicherweise auf die neue Variante angepasst ist. Aber da sind wir noch nicht. Das sind alle Szenarien, Alptraum-Szenarien. Die sind aber noch nicht eingetreten, das ist mir ganz wichtig.

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Ergibt es nicht Sinn, schon vorher zu reagieren?

"Vorher reagieren" würde bedeuten, dass sich jetzt wirklich jeder Deutsche erstmal impfen lässt. "Vorher reagieren" hätte auch bedeutet, dass das alle schon im Sommer getan hätten. Denn da haben wir auch schon gewusst, dass wir den Impfschutz und eine Impfquote brauchen, die weit über 90 Prozent liegen muss, weil wir die Delta-Variante bekommen haben.

Dass wir der Pandemie hinterherrennen, finde ich eigentlich nicht. Wir sind mit diesen Sequenzierungen, die auch in Südafrika sehr gut laufen, eigentlich der Verbreitung voraus. Wir wissen im Vorfeld, dass es etwas Neues gibt. Wenn man das nicht weltweit gemacht hätte, würden wir das gar nicht wissen. Dann würde sich das unerkannt verbreiten, und wir würden das nicht mitbekommen.

Wie könnte sich der Einfluss der neuen Variante auf die vierte Welle oder den weiteren Verlauf der Pandemie auswirken?

Das weiß ich nicht. Ich möchte mich wirklich gegen Endzeitszenarien verwahren: Wir müssen das abwarten. Die Südafrikaner haben es extra der Welt kundgetan und es offiziell gemacht. Sie haben diese Stämme seit Anfang November. Vom 12. November stammen die ersten Isolate dieses Virus'. Sie haben das gesammelt, sequenziert und uns allen in der Welt mitgeteilt.

Aber Panikmache ist wirklich nicht angesagt, sondern man muss diese Staaten unterstützen. Man muss denen auch Impfstoff geben, damit sie dafür sorgen können, ihre Bevölkerung durchzuimpfen. Sie müssen auch mit Materialien unterstützt werden. Man muss dafür sorgen, dass auch dort alle Maßnahmen ergriffen werden, die möglich sind. Dann kann man es bestimmt auch vermeiden, dass das bei uns in Deutschland nicht die fünfte Welle wird.

Frau Peltroche, vielen Dank für das Gespräch!

Das Interview führte Aline Lepsch für Antenne Brandenburg. Der Text ist eine gekürzte und redigierte Fassung.

Sendung: Antenne Brandenburg, 26.11.2021, 14:10

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