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Audio: Inforadio | 07.01.2022 | Andreas Rausch | Quelle: dpa/Frank Hammerschmidt

Proteste gegen Corona-Maßnahmen in Cottbus

Warum schweigt die "schweigende Mehrheit"?

Seit Wochen gehen in Brandenburg Gegner der Corona-Maßnahmen auf die Straße. Ein Hotspot ist Cottbus. Die Demonstranten treten teils aggressiv auf und verbreiten Lügen. Wo ist die Zivilgesellschaft? Von Andreas Rausch und Florian Ludwig

Mitte Dezember erlebten die Proteste gegen die geltenden Corona-Maßnahmen und gegen eine mögliche Impfpflicht in ihrer Intensität und Gewaltbereitschaft einen traurigen Höhepunkt in Cottbus. Zwei Veranstaltungen mit jeweils 1.000 Menschen waren angemeldet - Hunderte standen an den Zäunen rund um die Veranstaltungsflächen. Als die Demonstrationen von den Veranstaltern beendet worden waren, brachen bei einigen Teilnehmenden alle Dämme: Polizisten wurden beleidigt, bedroht und vereinzelt attackiert. Es gab Aufrufe, ein Reporter-Team des rbb zu jagen, und in der Folge auch verbale und körperliche Angriffe auf die Journalisten.

Die Demonstranten, die vorsorglich getrennt worden waren, kamen zu einer gemeinsamen Großdemonstration mit etwa 3.500 Teilnehmern zusammen: entgegen der geltenden Auflagen, meist ohne Abstand und ohne Masken. Die Polizei hatte die Kontrolle über den Abend dabei längst verloren. Etwa ein Dutzend Teilnehmer zündete Pyrotechnik und wurde vorläufig festgenommen - laut Polizei dem rechtsextremen Spektrum zugehörig.

Um die Corona-Politik ging es vielen Demonstranten an diesem Abend nicht. Offen wurde zum Umsturz aufgerufen, ein Banner mit der Aufschrift "Woidke muss weg" wurde hochgehalten.

Kommentar | Demonstrationen in Cottbus

Corona wurde an diesem Abend zur Nebensache

Zwei Demonstrationen sind am Samstagabend in Cottbus eskaliert. Beide richteten sich laut Anmelder gegen die Corona-Maßnahmen – die spielten dann aber vor Ort kaum noch eine Rolle. Von Sebastian Schiller

AfD spielt Ereignisse herunter

Aufgerufen zu den Protesten hatte die Cottbuser AfD mit ihrem Vorsitzenden Jean-Pascal Hohm. Videoaufnahmen in den sozialen Netzwerken, die auch Parteimitglieder zeigen, offenbaren, dass die Eskalation offenbar gezielt herbeigeführt werden sollte. Im Nachhinein spielten die Anmelder und auch die Brandenburger AfD die Geschehnisse allerdings herunter. Der Fraktionsvorsitzende der AfD im Brandenburger Landtag, Christoph Bernd, erklärte im Nachgang auf Twitter sogar noch, er sei stolz auf die Cottbuser Demonstranten.

Wo waren die Akteure der Zivilgesellschaft an diesem Abend? Häufig wird die sogenannte "schweigende Mehrheit" beschworen, die sich zwar an alle Regeln hält, aber keine Gegenveranstaltungen durchführt. Eine rbb-Recherche in Cottbus zeigt nun: Die Proteste werden in der Stadt durchaus kritisch gesehen - und fehlende Gegendemonstrationen sind teilweise sogar Absicht.

Hunderte Unterzeichner bei offenem Brief

Rund um die außer Kontrolle geratenen Demonstrationen an diesem Samstagabend wurde in Cottbus ein offener Brief veröffentlicht. Der Verein "Cottbuser Aufbruch" hatte den Brief auf seine Internetseite gestellt. In dem Brief zeigen sich die Verfasser solidarisch mit allen Menschen, die sich wortlos an die Corona-Regeln halten, ihre Masken tragen und sich impfen lassen. Das Schriftstück lässt sich als Dankesschreiben für diese Menschen verstehen. "Und auch wenn wir das nicht auf öffentlichen Plätzen zeigen: Wir sind die Mehrheit", heißt es darin.

Zahlreiche Akteure des öffentlichen Lebens, Vertreter von Gewerkschaften und Unternehmen, von Kultur und Bildung und aus dem Gesundheitswesen unterzeichneten den offenen Brief. Doch während sich weiter mehr als 1.000 Menschen zu den sogenannten "Montagsspaziergängen" gegen die Corona-Maßnahmen treffen, hat der Brief, Stand Freitag, gerade mal knapp mehr als 800 Unterzeichner.

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Stadtspitze hält sich zurück

Verfasst hat den Brief die neugewählte Bundestagsabgeordnete für Cottbus und Spree-Neiße, Maja Wallstein (SPD). "Das ist so normal eigentlich, dass es schon absurd ist, so einen Brief zu schreiben", sagt sie dem rbb. "Er ist aber ein wichtiges Zeichen, gerade in einer Stadt wie Cottbus", so die Bundestagsabgeordnete. Vertreter zahlreicher Parteien und Institutionen haben sich ihren Worten angeschlossen. Es sei nicht die Zeit für "politisches Blabla", so Wallstein. "Jetzt heißt es Butter bei die Fische und konkrete Haltung zeigen. Wenn man das macht, dann stärkt man auch die, die ich für die Mehrheit halte", erklärt die Abgeordnete ihre Intention den Brief zu schreiben.

Doch klare Haltung sucht man, zumindest an der Stadtspitze, bislang vergeblich. Wie schon 2017, als Tausende bei rassistischen Demos durch Cottbus zogen, hält sich Oberbürgermeister Holger Kelch (CDU) mit Äußerungen zurück. In der jüngsten Stadtverordnetenversammlung verurteilte Kelch zwar Gewalt, sagte aber auch, das Demonstrationsrecht sei ein hohes Gut - Einschränkungen der Proteste sind von Seiten der Stadt demnach nicht zu erwarten.

"Ich würde nicht sagen, dass ich mich zurückhalte mit öffentlichen Äußerungen", so Kelch gegenüber dem rbb. Ihm sei es wichtig, den Ursachen der Proteste auf den Grund zu gehen. Der Staat müsse Lösungen dafür finden. Den offenen Brief hat er zwar mitunterzeichnet - sonst gab es allerdings kaum Statements des Oberbürgermeisters.

Cottbus sei allein wegen seiner Größe ein Demonstrationsschwerpunkt, so Kelch. Allerdings auch deshalb, weil sich "ein Verein aus der Spreewaldregion" (gemeint ist wohl der rechtsextreme Verein "Zukunft Heimat", Anm. d. Red.) Cottbus als Protestort ausgesucht habe. Außerdem gebe es eine gute Kommunikationsstruktur.

Die meisten Demonstranten stammten aus dem bürgerlichen Spektrum, so Kelch weiter. Diese müsse man erreichen, um sie in den demokratischen Strukturen zu halten.

Kommentar | Übergriffe auf Journalisten in Cottbus

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Laute Minderheit verschreckt Zuzügler

Es ist nicht so, dass all diejenigen, die nicht demonstrieren, die Corona-Maßnahmen mögen. Sie scheinen einfach die Notwendigkeit der Regeln eingesehen zu haben. So sagt es etwa Andrea Staritz, Bewohnerin des Cottbuser Stadtteils Sachsendorf bei einer rbb-Straßenumfrage. "Ich kann es nicht nachvollziehen, dass man auf die Straße geht und für solche Sachen demonstriert. Es müsste eigentlich jedem klar sein, dass das notwendig ist", sagt sie.

Doch auch wenn die Demonstranten nicht die Cottbuser Mehrheit repräsentieren: Die Außenwirkung bleibe, sagt Marcel Linge, der mit seiner Zukunftsagentur junge Unternehmen in der Stadt berät. "Natürlich ist es, wie in jedem Bereich: Die, die dagegen sind, schreien immer lauter als die, die unterstützen. Was erschreckend ist, sind die Bilder, die nach außen gelangen: Demonstranten, die schwarz gekleidet mit Fackeln und Bannern durch Straßen und Gassen ziehen", so Linge.

"Dann könnten wir auch alle tanzen gehen"

Die direkt von den Corona-Einschränkungen Betroffenen halten sich meist eher zurück. So auch Philipp Gärtner, der in Cottbus unter anderem das Lokal "Scandale" betreibt. Darauf angesprochen, warum aus der Cottbuser Kulturszene keine Impulse für Gegenveranstaltungen kommen, äußert er eine klare Meinung: "Wir machen unseren Laden dicht, obwohl wir vielleicht ein Schlupfloch finden könnten, damit wir diese Pandemie eingedämmt bekommen", erklärt er. "Deshalb werden wir auch nicht zu irgendeiner Gegendemo aufrufen. Dann könnten wir auch alle wieder tanzen gehen", so Gärtner.

Der Großteil der Cottbuser akzeptiert die geltenden Regeln, dieses Bild wird immer deutlicher. Dennoch werden montags weiterhin Hunderte "spazierengehen". Doch ein Weg aus der Pandemie ist das nicht - wie auch Ludwig Domrös vom Cottbuser Bündnis "Unteilbar" feststellt: "Wenn man die ganze Zeit die Maßnahmen kritisiert, muss man auch mal einen konstruktiven Gegenvorschlag bringen und darauf hinarbeiten, wie es denn besser funktionieren kann", sagt er.

Sendung: Antenne Brandenburg, 07.01.2022, 17:10 Uhr

 

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Beitrag von Andreas Rausch und Florian Ludwig

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