Proteste gegen Corona-Maßnahmen in Cottbus - Warum schweigt die "schweigende Mehrheit"?

Fr 07.01.22 | 14:26 Uhr | Von Andreas Rausch und Florian Ludwig
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Demonstranten treffen sich zu einem nicht angemeldeten "Spaziergang" in der Innenstadt, um gegen die Corona-Maßnahmen zu protestieren. (Quelle: Frank Hammerschmidt/dpa)
Audio: Inforadio | 07.01.2022 | Andreas Rausch | Bild: dpa/Frank Hammerschmidt

Seit Wochen gehen in Brandenburg Gegner der Corona-Maßnahmen auf die Straße. Ein Hotspot ist Cottbus. Die Demonstranten treten teils aggressiv auf und verbreiten Lügen. Wo ist die Zivilgesellschaft? Von Andreas Rausch und Florian Ludwig

Mitte Dezember erlebten die Proteste gegen die geltenden Corona-Maßnahmen und gegen eine mögliche Impfpflicht in ihrer Intensität und Gewaltbereitschaft einen traurigen Höhepunkt in Cottbus. Zwei Veranstaltungen mit jeweils 1.000 Menschen waren angemeldet - Hunderte standen an den Zäunen rund um die Veranstaltungsflächen. Als die Demonstrationen von den Veranstaltern beendet worden waren, brachen bei einigen Teilnehmenden alle Dämme: Polizisten wurden beleidigt, bedroht und vereinzelt attackiert. Es gab Aufrufe, ein Reporter-Team des rbb zu jagen, und in der Folge auch verbale und körperliche Angriffe auf die Journalisten.

Die Demonstranten, die vorsorglich getrennt worden waren, kamen zu einer gemeinsamen Großdemonstration mit etwa 3.500 Teilnehmern zusammen: entgegen der geltenden Auflagen, meist ohne Abstand und ohne Masken. Die Polizei hatte die Kontrolle über den Abend dabei längst verloren. Etwa ein Dutzend Teilnehmer zündete Pyrotechnik und wurde vorläufig festgenommen - laut Polizei dem rechtsextremen Spektrum zugehörig.

Um die Corona-Politik ging es vielen Demonstranten an diesem Abend nicht. Offen wurde zum Umsturz aufgerufen, ein Banner mit der Aufschrift "Woidke muss weg" wurde hochgehalten.

AfD spielt Ereignisse herunter

Aufgerufen zu den Protesten hatte die Cottbuser AfD mit ihrem Vorsitzenden Jean-Pascal Hohm. Videoaufnahmen in den sozialen Netzwerken, die auch Parteimitglieder zeigen, offenbaren, dass die Eskalation offenbar gezielt herbeigeführt werden sollte. Im Nachhinein spielten die Anmelder und auch die Brandenburger AfD die Geschehnisse allerdings herunter. Der Fraktionsvorsitzende der AfD im Brandenburger Landtag, Christoph Bernd, erklärte im Nachgang auf Twitter sogar noch, er sei stolz auf die Cottbuser Demonstranten.

Wo waren die Akteure der Zivilgesellschaft an diesem Abend? Häufig wird die sogenannte "schweigende Mehrheit" beschworen, die sich zwar an alle Regeln hält, aber keine Gegenveranstaltungen durchführt. Eine rbb-Recherche in Cottbus zeigt nun: Die Proteste werden in der Stadt durchaus kritisch gesehen - und fehlende Gegendemonstrationen sind teilweise sogar Absicht.

Hunderte Unterzeichner bei offenem Brief

Rund um die außer Kontrolle geratenen Demonstrationen an diesem Samstagabend wurde in Cottbus ein offener Brief veröffentlicht. Der Verein "Cottbuser Aufbruch" hatte den Brief auf seine Internetseite gestellt. In dem Brief zeigen sich die Verfasser solidarisch mit allen Menschen, die sich wortlos an die Corona-Regeln halten, ihre Masken tragen und sich impfen lassen. Das Schriftstück lässt sich als Dankesschreiben für diese Menschen verstehen. "Und auch wenn wir das nicht auf öffentlichen Plätzen zeigen: Wir sind die Mehrheit", heißt es darin.

Zahlreiche Akteure des öffentlichen Lebens, Vertreter von Gewerkschaften und Unternehmen, von Kultur und Bildung und aus dem Gesundheitswesen unterzeichneten den offenen Brief. Doch während sich weiter mehr als 1.000 Menschen zu den sogenannten "Montagsspaziergängen" gegen die Corona-Maßnahmen treffen, hat der Brief, Stand Freitag, gerade mal knapp mehr als 800 Unterzeichner.

Stadtspitze hält sich zurück

Verfasst hat den Brief die neugewählte Bundestagsabgeordnete für Cottbus und Spree-Neiße, Maja Wallstein (SPD). "Das ist so normal eigentlich, dass es schon absurd ist, so einen Brief zu schreiben", sagt sie dem rbb. "Er ist aber ein wichtiges Zeichen, gerade in einer Stadt wie Cottbus", so die Bundestagsabgeordnete. Vertreter zahlreicher Parteien und Institutionen haben sich ihren Worten angeschlossen. Es sei nicht die Zeit für "politisches Blabla", so Wallstein. "Jetzt heißt es Butter bei die Fische und konkrete Haltung zeigen. Wenn man das macht, dann stärkt man auch die, die ich für die Mehrheit halte", erklärt die Abgeordnete ihre Intention den Brief zu schreiben.

Doch klare Haltung sucht man, zumindest an der Stadtspitze, bislang vergeblich. Wie schon 2017, als Tausende bei rassistischen Demos durch Cottbus zogen, hält sich Oberbürgermeister Holger Kelch (CDU) mit Äußerungen zurück. In der jüngsten Stadtverordnetenversammlung verurteilte Kelch zwar Gewalt, sagte aber auch, das Demonstrationsrecht sei ein hohes Gut - Einschränkungen der Proteste sind von Seiten der Stadt demnach nicht zu erwarten.

"Ich würde nicht sagen, dass ich mich zurückhalte mit öffentlichen Äußerungen", so Kelch gegenüber dem rbb. Ihm sei es wichtig, den Ursachen der Proteste auf den Grund zu gehen. Der Staat müsse Lösungen dafür finden. Den offenen Brief hat er zwar mitunterzeichnet - sonst gab es allerdings kaum Statements des Oberbürgermeisters.

Cottbus sei allein wegen seiner Größe ein Demonstrationsschwerpunkt, so Kelch. Allerdings auch deshalb, weil sich "ein Verein aus der Spreewaldregion" (gemeint ist wohl der rechtsextreme Verein "Zukunft Heimat", Anm. d. Red.) Cottbus als Protestort ausgesucht habe. Außerdem gebe es eine gute Kommunikationsstruktur.

Die meisten Demonstranten stammten aus dem bürgerlichen Spektrum, so Kelch weiter. Diese müsse man erreichen, um sie in den demokratischen Strukturen zu halten.

Laute Minderheit verschreckt Zuzügler

Es ist nicht so, dass all diejenigen, die nicht demonstrieren, die Corona-Maßnahmen mögen. Sie scheinen einfach die Notwendigkeit der Regeln eingesehen zu haben. So sagt es etwa Andrea Staritz, Bewohnerin des Cottbuser Stadtteils Sachsendorf bei einer rbb-Straßenumfrage. "Ich kann es nicht nachvollziehen, dass man auf die Straße geht und für solche Sachen demonstriert. Es müsste eigentlich jedem klar sein, dass das notwendig ist", sagt sie.

Doch auch wenn die Demonstranten nicht die Cottbuser Mehrheit repräsentieren: Die Außenwirkung bleibe, sagt Marcel Linge, der mit seiner Zukunftsagentur junge Unternehmen in der Stadt berät. "Natürlich ist es, wie in jedem Bereich: Die, die dagegen sind, schreien immer lauter als die, die unterstützen. Was erschreckend ist, sind die Bilder, die nach außen gelangen: Demonstranten, die schwarz gekleidet mit Fackeln und Bannern durch Straßen und Gassen ziehen", so Linge.

"Dann könnten wir auch alle tanzen gehen"

Die direkt von den Corona-Einschränkungen Betroffenen halten sich meist eher zurück. So auch Philipp Gärtner, der in Cottbus unter anderem das Lokal "Scandale" betreibt. Darauf angesprochen, warum aus der Cottbuser Kulturszene keine Impulse für Gegenveranstaltungen kommen, äußert er eine klare Meinung: "Wir machen unseren Laden dicht, obwohl wir vielleicht ein Schlupfloch finden könnten, damit wir diese Pandemie eingedämmt bekommen", erklärt er. "Deshalb werden wir auch nicht zu irgendeiner Gegendemo aufrufen. Dann könnten wir auch alle wieder tanzen gehen", so Gärtner.

Der Großteil der Cottbuser akzeptiert die geltenden Regeln, dieses Bild wird immer deutlicher. Dennoch werden montags weiterhin Hunderte "spazierengehen". Doch ein Weg aus der Pandemie ist das nicht - wie auch Ludwig Domrös vom Cottbuser Bündnis "Unteilbar" feststellt: "Wenn man die ganze Zeit die Maßnahmen kritisiert, muss man auch mal einen konstruktiven Gegenvorschlag bringen und darauf hinarbeiten, wie es denn besser funktionieren kann", sagt er.

Sendung: Antenne Brandenburg, 07.01.2022, 17:10 Uhr

 

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Beitrag von Andreas Rausch und Florian Ludwig

79 Kommentare

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  1. 79.

    Ich sehe, die RBB Angestellten sind mit den Cottbussern nicht zufrieden.

  2. 78.

    Sprechen Sie hier für 83.000.000 Bürger? So entsteht Hetze und Unwahrheit und deshalb muss man laut sein gegen diese Lügen. Keiner will diese Hassenden, nicht einer.

  3. 77.

    Auf den Punkt. Die Mehrheit, die zu Kommerzialisierung des Kranken und Pflegebereichs, Alters und Kinderarmut, Lobbyismus und Steuervermeidung schweigt. Die Mehrheit, die ein Rentenniveau von 45 %als Leistung beklatscht. Mit dieser Mehrheit sind Wirtschaft und Politik bisher sehr gut gefahren, da alles hin genommen wurde, und nun wird erwartet, daß diese Mehrheit aktiv wird. Herrlich!!. Solange das Kilo Schnitzel 3,95 kostet, und der Ball rollt, wird sich da nichts bewegen.

  4. 76.

    @ Nadine, das ist ja das ... Beispiel für eine Impfung, die man finden kann. Eine Tollwut-Impfung ist nur bei Kontakt zu Tollwut notwendig, dann aber alternativlos. Aber Sie können im Zweifelsfall auf eine Impfung verzichten. Letalitätsrate 100% bei Infektion.

  5. 75.

    Es fehlt auch an öffentlichen Aufrufen zur Teilnahme an Gegenveranstaltungen. Der größte Teil der Bevölkerung treibt sich halt nicht auf Telegram herum.
    Man kann auch in größeren Gruppen mit Maske und Abstand demonstrieren. Und man wird dabei auch wahr und ernst genommen.
    Ich wäre sofort dabei!

  6. 74.

    "Unsere Regierung sollte froh sein, dass die "schweigende Mehrheit " schweigt.....zu vielen Themen."
    Wie wahr, wie wahr!
    Einige wachen erst etwas später auf......

  7. 73.

    <<<Welche Energiepolitik wäre denn die richtige für die man demonstrieren müsse?>>>

    Eine von der auch die Ärmsten vernünftig leben können und nicht Angst haben müssen das ihnen schon morgen der Strom/Heizung abgestellt wird weil Energie unbezahlbar wird.
    Wir sind nicht alle mit dem goldenen Löffel um den Hals geboren worden.

  8. 72.

    Genau so ist. Warum soll man sich über diese Berufsdemonstranten einen Kopf machen. Es geht ihnen nur ums „Dagegensein“. Die finden auch nach Corona wieder ein neues Thema.

  9. 71.

    Wie soll man auf so einen Quatsch auch adäquat reagieren? Lauter schreien? Noch gewalttätiger sein? offene Briefe unterschreiben und von Kloppsköpfen bedroht werden? Wenn ich mich jetzt mit anderen auf die Straße stelle um eine Gegendemo zu machen, fülle ich die Straßen auch nur unnötig, wo man Kontakte einschränken soll. Ausserdem sind mir viele dieser "Spaziergänger" ob ihrer Haltung zuwider. Im Privaten sage ich meine Meinung, aber da gibt es wenige, die ich bekehren muss. Die meisten sehen im Großen und Ganzen die Maßnahmen als sinnvoll an. Deswegen ist mein Gefühl, dass es eine schweigende Mehrheit gibt.
    Ein weiteres Indiz für mich ist der Ausgang der Wahlen. In der Mehrheit wurden Parteien gewählt, die sich für Maßnahmen und Impfung aussprechen.
    Und rein psychologisch: es wird sich gern laut beschwert, loben liegt den meisten nicht und wenn, dann macht man das nicht aggressiv.

  10. 70.

    Wie respektlos doch mit diesen Menschen umgegangen wird, ist kaum zu glauben. Diese Leute gehen dort schließlich auch für EURE Grundrechte auf die Straße, nicht nur für ihre eigenen. Und wenn man sich mal mit den so genannten Querdenkern unterhält, was ich schon oft getan habe, dann merkt man schnell, wie solidarisch sie eigentlich sind und das sie politisch motiviert in eine gewisse Ecke gedrängt werden sollen. Dafür sollten sich Politik und Medien in Grund und Boden schämen.

  11. 69.

    "Offen wurde zum Umsturz aufgerufen, ein Banner mit der Aufschrift "Woidke muss weg" wurde hochgehalten."

    So ein Regierungschef ist kien absoluter Herrscher, und der Ruf nach einem Wechsel ist urdemokratisch und von der Verfassung gedeckt.

  12. 68.

    Der Mehrheit sind diese Leute zuwider. Leider sind das vernünftige und kluge Leute, wenig laut, denn Lautstärke verbinde ich nicht mit Intelligenz. Aber wir sollten laut sein gegen Hass und Hetze und zeigen, was für ein einfältiger kleiner Haufen in der Kapsel des Hasses festsitzt. Wir sind fast 83.000.000 Millionen, wieviele Tausend waren auf der Straße? Verschwindend wenige.

  13. 67.

    Dieses Ossi-Argument muß wohl für jeden Klamauk herhalten. Das sage ich als "Ossi". Tal der Ahnungslosen - wie damals.

  14. 66.

    Herzlchen Glückwunsch an die Cottbusser. „Menschen in Ostdeutschland sind auf ihre Art radikalere Demokraten“
    schreibt die WELT.

  15. 65.

    Sie faseln von Diffamierung der Maßnahmengegner und Zensur, und dann bezeichnen Sie andere als undemoltatische Schwurbler?!? Sie scheinen ein sehr eigenwilliges Demokratieverständnis zu haben...

  16. 64.

    Unsere Regierung sollte froh sein, dass die "schweigende Mehrheit " schweigt.....zu vielen Themen.

  17. 63.

    Die Demonstrant:innen bilden einen Teil der vielbeschworenen Zivilgesellschaft. Auch heißt ein großer Teil der schweigenden Menge die Proteste willkommen. Das will sicherlich nicht jede:r wahrhaben, ist aber so.

  18. 62.

    Nun mal sachlich bleiben. Lassen sie sich nicht so schnell hopp nehmen.
    Man geht gegenwärtig von folgenden Überlegungen aus:
    - Die aktuelle Mutante könnte einen Ausweg bieten. Man nennt das ENDEMIE.
    - Kühne Prognosen stellen sie dann mit einer Influenza gleich.
    - Möglich wäre das, wenn eine Grundimmuniiserung gegeben ist, auch der 15% Impfunwilligen.
    - Bis dahin wird geimpft, damit die Verluste an Menschenleben überschaubar bleiben.
    - Sollte (irgendwann) dieser Influenzastatus erreicht sein, KÖNNTE im Zusammenhang mit der Grippeschutzimpfung (4 Säulen) eine fünfte enthalten sein. Es können dann immer noch Menschen sterben, aber das passiert bei der Influenza auch. Und jetzt sehen sie zu, dass sie diesen Endpunkt erreichen und reiben sie sich dabei nicht auf. Immer locker bleiben.

  19. 61.

    Eigentlich ist es zur Zeit besser, wenn doch möglichst viele Menschen zu Hause bleiben.
    Ich lasse mich nicht von Journalisten auf eine Gegendemo locken.
    Nachher stecke ich womöglich noch in einer Massenschlägerei.
    BEIM SPORT WAR ES GERADE SCHÖN. ALLES ENTSPANNTE LEUTE. KEINER IDEOLOGISCH AUFGELADEN. UND GESUND AUCH NOCH.

  20. 60.

    Da werden Sie nicht der erste geimpfte sein, glauben se mir. Genau wie dort auch geimpfte und ungeimpfte Lehrer, Ärzte und Geschäftsführer sowie Staatsbedienste mitlaufen...siehe Israel es wird nicht aufhören mit dem Impfen.

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