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Interview | Cottbuser Mikrobiologin

"Da ist keine Durchseuchung im Gange"

Brandenburg steht vor weitreichenden Lockerungen der Corona-Maßnahmen, trotz hoher Inzidenz. Im Interview spricht die Cottbuser Mikrobiologin Heidrun Peltroche darüber, ob sich nun alle infizieren werden und welche Maßnahmen weitergelten sollten.

rbb24: Frau Peltroche, die Landesregierung plant weitere Lockerungen der Corona-Maßnahmen. Sie sind die Chefärztin der Mikrobiologie am Cottbuser Thiem-Klinikum - sollten die Regeln jetzt, angesichts der weiterhin hohen Infektionszahlen, gelockert werden?

Heidrun Peltroche: Was man jetzt auch schon sieht: Durch anderes Verhalten bei wärmerem Wetter gehen die Zahlen runter, das ist zu erwarten. Vielleicht noch nicht gleich im April, vielleicht im Mai oder Juni, wir werden also ein paar bessere Monate bekommen. Insofern kann man sicherlich draußen - außerhalb von Räumen, und da, wo man Abstand halten kann - auch einige Maßnahmen fallen lassen.

Auch die Maskenpflicht an Schulen soll abgeschafft werden. Wie stehen Sie dazu?

Ich halte Masken für wenig beeinträchtigend. Es beeinträchtigt nicht die Lernleistung der Kinder. Natürlich ist das unangenehm. Es sagt ja keiner, dass die Pandemie ein komfortabler Spaziergang ist. Es ist aber in Studien nachgewiesen worden: Masken sind eine der wirksamsten Maßnahmen, um die Verbreitung zu verringern. Das ist auch in Schulen wichtig.

Die Omikron-Variante ist hochansteckend. Man bekommt das Gefühl, jeder, der Corona noch nicht hatte, bekommt es jetzt. Inwiefern ist da schon eine Durchseuchung im Gange?

Da ist keine Durchseuchung im Gange. Das sollte man sich nicht falsch vorstellen. Eine Bevölkerung von über 80 Millionen Menschen zu durchseuchen, würde Jahre dauern, vielleicht Jahrzehnte. Und es ist auch eine falsche Vorstellung, dass man denkt, wenn man ein Mal infiziert war, zum Beispiel jetzt mit Omikron, dann sei man irgendwie geschützt. Mitnichten. Die Antikörper, die man bildet - nach einer Infektion, ohne eine Impfung gehabt zu haben -, die verschwinden doch recht schnell. Die schützen auch nicht vor neuen Varianten. Der richtige Weg ist, dass man sich impfen lässt, gerne auch drei Mal, und dass man dann sich gegebenenfalls auch mal natürlich infiziert. Dann hat man etwas getan für seinen Immunschutz und möglicherweise auch gegen zukünftige Varianten.

Sonder-Gesundheitsministerkonferenz

Bundesweite Corona-Maßnahmen laufen wie geplant aus

Obwohl die Infektionszahlen hoch sind, fallen die meisten Corona-Beschränkungen Anfang April weg. Mehrere Länder scheiterten bei der Gesundheitsministerkonferenz mit dem Vorstoß, die bundesweiten Regelungen zu verlängern.

Die Impfquote in Brandenburg stagniert, auch der Impfstoff von Novavax konnte keinen größeren Schwung in die Kampagne bringen. Betrachten Sie diese Entwicklung mit Sorge?

Nicht nur mit Sorge, ich kann mich auch darüber ärgern. Ich kann es nicht nachvollziehen. Für mich ist das sehr schwer verständlich, mit einem fachlichen Hintergrund, warum die Menschen diese Impfung, die wirklich das beste und wirksamste Mittel gegen diese Pandemie und die Weiterverbreitung des Virus ist, nicht annehmen. Da ist das Risiko im Vergleich zu einer Infektion wirklich minimal. Ja, es ist nicht bei null, die Schutzwirkung für einen selbst ist nicht 100 Prozent und es ist alles relativ, aber trotzdem ist die Impfung auf jeden Fall das Wichtigste gegen die Weiterverbreitung des Virus. Es ist einfach schade, dass das hier nicht funktioniert. Vielleicht müsste die Politik noch mal eine Kampagne starten, damit man noch mehr Bürger überzeugt. Ansonsten stehen wir im Winter wieder da. Dann haben wir die nächste Welle, können im Krankenhaus wieder nicht arbeiten - so, wie es aktuell auch immer noch ist.

Kritiker sagen: Trotz Impfung kann man sich infizieren, also scheint die Impfung nicht besonders wirksam zu sein.

Die Impfung schafft keinen 100-prozentigen Schutz. Aber der persönliche Schutz ist auch in der Pandemie nicht das oberste Ziel. Es geht darum, die Weiterverbreitung zu verlangsamen und die Pandemie-Folgen abzuschwächen. Das schafft die Impfung. Außerdem schafft sie es, dass die Erkrankung für den Einzelnen möglicherweise nicht mehr so schwer verläuft. Aber nichts ist hier bei 100 Prozent, es sind alles relative Risiken.

Es geht bei der Impfung darum, die Pandemie irgendwie zu überwinden und dafür braucht man eine Grundimmunisierung. Dann kann man sich gerne infizieren, dann wird die Infektion anders sein - und nicht zu einem Krankenhausaufenthalt führen, nicht auf die Intensivstation und zu einer Sauerstoffversorgung. Viele, die geimpft sind und sich infiziert haben, sind auch zehn Tage lang krank. Aber die liegen nicht auf der Intensivstation und werden beatmet, so, wie wir das am Anfang gesehen haben.

Mit Blick auf Ostern und den Sommer, was für einen Pandemie-Verlauf erwarten Sie?

Es wird besser werden - vielleicht noch nicht Ostern. Wir werden uns ein bisschen entspannen und erholen. Wir dürfen aber nicht vergessen, dass wir weiterhin in der Pandemie sind. Man kann sich das nicht schönreden. Das Virus wird sich nicht so verhalten, wie wir das möchten. Das Virus will sich verbreiten, und es wird sich jeden suchen, der nicht genügend Antikörper hat. Das wird vielleicht noch im Sommer so sein, das wird auch im Winter wieder so sein.

Die große Unbekannte ist das Virus: Was passiert noch, welche Varianten gibt es da noch? Die Prognosen von Wissenschaftlern sind nicht so schlecht. Sehr vieles, was das Virus in seiner Veränderungsfähigkeit tun kann, hat es schon getan. Aber es ist zum Beispiel auch eine weitere Delta-Welle denkbar.

Vielen Dank für das Gespräch!

Das Interview führte Daniel Mastow für Antenne Brandenburg. Der Text ist eine gekürzte und redigierte Fassung. Das komplette Gespräch können Sie im Audio-Player nachhören.

Sendung: Antenne Brandenburg, 29.03.2022, 14.10 Uhr

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