rbb24
  1. rbb|24
  2. Wirtschaft
Video: Abendschau | 15.12.2020 | Martin Küper | Quelle: dpa/Kappeler

Lockdown im Weihnachtsgeschäft

"Es wäre mir lieber, sie hätten uns im November zugemacht"

Nach einem desaströsen Jahr hatte der Einzelhandel große Hoffnungen auf das Weihnachtsgeschäft gesetzt. Nun liegen die Nerven durch den harten Lockdown blank. Bund und Länder versprechen finanzielle Hilfen. Die Frage ist, ob das reicht. Von Efthymis Angeloudis

Der letzte verkaufsoffene Tag vor dem harten Lockdown hat noch einmal Verbraucher zum Einkaufen in die Berliner Innenstadt gelockt. Ab Mittwoch den 16. Dezember müssen Geschäfte schließen, auch Friseure, Kosmetiksalons oder Möbelgeschäfte. Doch trotz der Last-Minute-Käufer machten sich viele Einzelhändler keine Hoffnung, mit dem letzten Kundenansturm noch das Weihnachtsgeschäft retten zu können. "Im Dezember mache ich normalerweise ein großen Teil meines Jahresumsatzes", sagte Astrid Tillmann, die ein Modegeschäft im Kreuzberger Wrangelkiez betreibt, dem rbb. "Und das ist jetzt einfach auf Null."

Mehr zum Thema

Lockdown im Weihnachtsgeschäft

Wie kann der Einzelhandel bei Schließungen entschädigt werden?

HDE: Hunderttausende Jobs gefährdet

Wie Tillmann geht es vielen Händlern. Der neue Lockdown gefährdet dem Handelsverband Deutschland (HDE) zufolge Hunderttausende Arbeitsplätze im Innenstadt-Handel. "Der Dezember ist unter normalen Umständen der wichtigste Monat im Jahr - in der Pandemie ist er ein Totalausfall", bilanzierte HDE-Hauptgeschäftsführer Stefan Genth [tagesschau.de]. Von den rund 560.000 Stellen im innerstädtischen Einzelhandel seien zwischen 150.000 und 250.000 "akut bedroht".

Berlin kündigte Hilfen an. Der Einzelhandel werde in die sogenannte Überbrückungshilfe III aufgenommen, sagte Wirtschaftssenatorin Ramona Pop (Grüne) am Dienstag. Statt der bisher geltenden Höchstfördersumme von 200.000 Euro sollen es sogar 500.000 Euro sein. Doch selbst das, so die Befürchtungen im Handel, könnte nicht reichen.

"Keiner kann uns erklären, wieso man den Einzelhandel anders behandelt als andere Branchen", sagte Hauptgeschäftsführer des Handelsverbands Berlin Brandenburg (HBB), Nils Busch-Petersen, am Montag rbb|24. "Die Programme schließen viele Geschäfte aus - während jeder Gastronom Hilfe bekommt." Dazu komme noch ein großes Manko der Überbrückungshilfe III: "Wer mehr als 500 Millionen Euro Umsatz macht, bekommt nichts." Das heißt, große Handelsketten wie Galeria-Karstadt-Kaufhof, die noch diesen Sommer mühsam gerettet worden sind, gehen leer aus.

Millionen Kleidungsstücke unverkauft

Seit dem ersten Lockdown im März blieben täglich mehr als zehn Millionen Kleidungsstücke unverkauft, heißt es von Textilverbänden. Und da im Modehandel eine kontinuierliche Warenbelieferung die Regel ist, bekommen die Geschäfte in den nächsten Wochen vertragsgemäß weiterhin neue Ware geliefert - trotz geschlossener Läden.

Bei Textilbekleidung, Schuhen, Uhren, Schmuck oder Spielwaren verzeichnen Händler laut Busch-Petersen teils Umsatzrückgänge bis zu 60 Prozent, und das über das ganze Jahr. Auch dabei: das Modegeschäft von Astrid Tillmann. "Beim ersten Lockdown im März, als es gar keine Maske gab, konnte ich ein bisschen Umsatz mit den Mund-Nasen-Bedeckungen abfangen", schildert Tillmann. Aber ab Mitte April sei auch hier der Absatz abgeflacht. Das Weihnachtsgeschäft sollte nach dem traditionell "handelsschwachen" November diese Verluste abfangen - dann kam der Lockdown.

Mehr zum Thema

Harter Lockdown ab Mittwoch

Neue Corona-Verordnung: So geht Berlin in den Lockdown

Händler: Lieber ein harter Lockdown im November

Genau aus diesem Grund hätten viele Händler einen harten Lockdown bereits im November gefordert, sagen Busch-Petersen und auch Tillmann. "Es wäre mir lieber, sie hätten uns im November zugemacht", so Tillmann. "Wären die [Infektions-]Zahlen weiter runtergegangen, hätten wir jetzt wenigstens das Weihnachtsgeschäft”, sagte die Händlerin rbb|24. "Die Bundeskanzlerin wollte das ja, aber anscheinend können nicht alle Politiker exponentiell denken."

Man habe lange die Verantwortung vor sich hergeschoben, sagt auch Busch-Petersen. "Mit Krokodilstränen hat man gesagt, der Handel soll sein Weihnachtsgeschäft machen." Man habe allerdings nicht verstanden, wie eine Stadt funktioniere. "Einen Innenstadt ist wie ein Symphonie-Orchester: Streicher sind die Kultur, Bläser die Gastronomie. Wenn man das alles schließt und nur noch die Pauke-Einzelhandel übrig ist, kann die nur schlecht die 9. Symphonie von Beethoven spielen", erklärt der Hauptgeschäftsführer des HBB. Eine zwangsweise Schließung wäre vorzuziehen. Jedes zweite Geschäft sei nun von Schließung bedroht. "Das ist ein Tod auf Raten."

Innenstädte im Wandel

Dieser "Tod" könnte auch den Niedergang der Innenstädte befördern. "Ich frage mich, wie Fußgängerzonen in Berlin im Februar wohl aussehen werden", grübelt Tillmann. "Wenn jeder zweite Laden leer steht, drückt das noch mehr ins Internet und hat zur Folge, dass die großen größer werden", sagt die Händlerin in Hinsicht auf große Online-Händler. Die DNA der Stadt werde sich verändern, ist auch Busch-Petersen überzeugt. "Wir werden ein anderes Berlin sehen", deutlich weniger Händler würden am Ende der Krise noch da sein.

Händlerin Tillmann hat inzwischen Geldsorgen - denn die privaten Kosten würden weiter anfallen, sagt sie. "Die Hilfen, die bis jetzt möglich waren, habe ich beantragt - aber das Geld reicht nicht aus." Mit Vermietern sei nicht viel zu verhandeln und die Beiträge für die Krankenversicherung würden auch nicht gestundet. Tillmann hat sich noch nicht an die Bilanz getraut, wie es am Ende des Jahres um das kleine Modegeschäft stehen könnte. "Es ist zu deprimierend, aber der Jahresumsatz müsste um die Hälfte eingebrochen sein."

Beitrag von Efthymis Angeloudis

Artikel im mobilen Angebot lesen