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Quelle: dpa/Markus Gilliar

Lockdown im Weihnachtsgeschäft

Wie kann der Einzelhandel bei Schließungen entschädigt werden?

Angesichts dramatisch steigender Todeszahlen in Verbindung mit Covid-19 und mitten im Weihnachtsgeschäft, liegen die Nerven blank. Die Frage scheint nicht mehr ob, sondern wann der harte Lockdown kommt. Wie der Einzelhandel dann entschädigt würde, ist unklar. Von Oliver Noffke

"Wie viele Tote sind uns denn jetzt ganz konkret ein Shopping-Erlebnis wert?" Michael Müllers emotionale Rede im Berliner Abgeordnetenhaus hat am Donnerstag bundesweit Wellen geschlagen. Er komme jeden Tag wieder zu dem Ergebnis, so der Regierende Berliner Bürgermeister (SPD), dass ihm die Gesundheit der Bevölkerung wichtiger sei als der Konsum. Mit Blick auf das Infektionsgeschehen, müsse Deutschland in einen harten Lockdown gehen. Ab dem 20. Dezember solle das geschehen, sagte Müller am Abend in der ZDF-Talkshow von Markus Lanz.

Die Aussagen des SPD-Politikers lassen sich also wie folgt zusammenfassen: Die Lage ist jetzt ernst. Also ändern wir unser Verhalten in neun Tagen.

Ob in den Kommentarspalten der Zeitungen oder in Diskussionen in sozialen Netzwerken, wie etwa in unserem Forum, überwiegend lautet die Kritik dieser Denkweise: Entweder ist die Lage ernst oder uns bleibt noch Zeit. Beides gleichzeitig kann nicht gleichzeitig der Fall sein. Niemand ruft die Feuerwehr, zehn Tage nachdem das Haus abgebrannt ist.

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"Wir hatten faktisch gar kein Weihnachtsgeschäft bisher"

Im ZDF ging Müller tiefer auf das Problem ein: "Ich finde, man muss auch mit Einzelhändlern oder Bratwurstverkäufern ordentlich umgehen." Zwar sei der Einzelhandel in großen Teilen nicht systemrelevant, aber die Politik müsse den Unternehmern zumindest sagen können, wie es weitergeht. "Wenn wir den Verkauf nicht zulassen, müssen entsprechende Wirtschaftshilfen formuliert sein", sagte er.

"Für uns heißt ordentlicher Umgang, dass man im Dezember eine vergleichbare Regelung für die geschlossenen Geschäfte finden muss, wie für alle Wirtschaftszweige", sagt Nils Busch-Petersen, Hauptgeschäftsführer des Handelsverbands Berlin Brandenburg (HBB) auf Anfrage. "So oder so, wir brauchen auf jeden Fall Hilfen und das ist nicht mit weiteren Krediten oder dem bisherigen Konstrukt der Überbrückungshilfen erledigt."

Für die Gastronomie und andere Branchen, die seit Anfang November geschlossen sein müssen, ist bis Ende des Jahres eine Entschädigung klar geregelt. Sie können bis zu 75 Prozent des Umsatzes des Vorjahresmonats einfordern. Unter der Bedingung, dass sie derzeit einen Ausfall von mindestens 80 Prozent haben. Dies gilt sowohl im November als auch im Dezember.

Würde diese Regel auf den Einzelhandel angewendet, wäre das für die Unternehmer eine Katastrophe. Zwar laufe das Geschäft im Einzelhandel derzeit deutlich schlechter als im Vorjahr, sagt Busch-Petersen. "Textilbekleidung, Schuhe, Uhren, Schmuck, Spielwaren, zwischen 20, 40 bis 60 Prozent Frequenz- und Umsatzrückgang. Je nach Lage." Am stärksten sei der Rückgang demnach in den Innenstädten, wohnortnahe Betriebe seien nicht ganz so schlimm getroffen. "Aber insgesamt verheerende Zahlen", so Busch-Petersen. "Wir hatten faktisch gar kein Weihnachtsgeschäft bisher."

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Dennoch ist es unwahrscheinlich, dass bis 19. Dezember die Umsätze in den Innenstädten 20 Prozent des Vorjahres nicht überschreiten. "Man kann das ja dann auf den Tag runterrechnen", sagt der HBB-Hauptvorsitzende. "Angenommen es ereilt und das sächsische Schicksal, was ich nicht hoffe, und es geht schon am Montag los oder Dienstag, wäre ja klar, wie viele Tage man rausrechnen müsste."

Chaotische Zustände in Sachsen

Abgesehen von Supermärkten, Apotheken und anderen Geschäften, die als systemrelevant gelten, muss der Einzelhandel in Sachsen am Montag schließen. Der harte Lockdown, über den man im Rest der Republik noch diskutiert, wird dort kommen. Sachsen hat seit Tagen eine 7-Tages-Inzidens von deutlich über 300 Neuinfektionen auf 100.000. Mittlerweile gibt es dort mehr Todesfälle in Verbindung mit Covid-19 als in Berlin und Brandenburg zusammen - jeden Tag in der vergangenen Woche, aber auch insgesamt [mdr.de/sachsen] - obwohl in Sachsen deutlich weniger Menschen leben als hier in der Region.

Mit den weiteren Einschränkungen übertrifft Sachsen die Empfehlung der Wissenschaftsakademie Leopoldina, wonach ab dem 14. Dezember private und berufliche Kontakte weitestgehend eingeschränkt und spätestens ab dem 24. Dezember Geschäfte geschlossen werden sollten [leopoldina.org]. "Jetzt gibt es vereinzelt schon wieder einen verstärkten Run auf die Läden, genau das, was die Politik nicht wollte", sagt Busch-Petersen. Sein Kollege in Sachsen habe chaotische Zustände beobachtet. "Weil die Leute sich sagen, ich habe jetzt nur 48 Stunden, um einzukaufen."

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Am Sonntag treffen sich Vertreter von Bund und Ländern, um über weitere Maßnahmen zu beraten. Dann wird es auch um milliardenschwere Entschädigungspakete gehen. Die Überrückungshilfen für die Gastronomie und andere bereits geschlossene Branchen orientieren sich ab Januar nicht mehr am Vorjahr. Einen pauschalen Ersatz von 75 Prozent des Umsatzes soll es dann nicht mehr geben, stattdessen sollen sich die Ausgleichszahlungen an den Fixkosten orientieren.

Diese Regelung könne nicht einfach auf den Einzelhandel übertragen werden, sagt der HBB-Hauptvorsitzen, wenn eine neue Regelung gelten solle, müsse man mitverhandeln können. Und natürlich gebe es immer juristische Mittel. "Es steht ja unseren Mitgliedern verwaltungsgerichtlich frei, bestimmte Dinge auf ihre Wirksamkeit, vor allem aber auf ihre Berechtigung prüfen zu lassen." In jedem Fall erwartet Nils Busch-Petersen mehr Unterstützung von der Politik. Müllers Vergleich zwischen Weihnachtseinkauf und Covid-19-Sterbefällen sei in dieser Hinsicht ein Totalausfall gewesen: "Jetzt einzelne Wirtschaftszweige zu konnotieren mit Totenzahlen, dass ist unverantwortlich."

Beitrag von Oliver Noffke

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