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DRK-Mitarbeiter mit Corona-Test | Quelle: imago images / Lichtgut

Corona-Kontaktpersonen

Darum verlieren Berliner Gesundheitsämter zu viel Zeit

Beim Kampf gegen die Ausbreitung des Coronavirus kommt den Berliner Gesundheitsämter eine entscheidende Rolle zu. Die Mitarbeiter wachsen in der Krise über sich hinaus – und sind doch oft zu langsam, wenn es darum geht, Kontaktpersonen nachzuverfolgen. Von Robin Avram  

Karl begann, sich Sorgen zu machen, als er sich eine geöffnete Essigflasche direkt unter die Nase hielt – aber rein gar nichts mehr riechen konnte. "Ich hatte gelesen, dass der Verlust des Geruchssinns ein ziemlich sicheres Symptom einer Coronavirus-Infektion ist", erzählt Karl im Gespräch mit rbb|24. Jeden Abend skypt der 23-jährige Student nun mit seinem großen Freundeskreis, stundenlang. Die meisten sind wie er in häuslicher Quarantäne, weil sie vor zwei Wochen bei der Party in Karls Wohnung dabei waren – kurz bevor die Covid-19-Krankheit Karls Geruchssinn lahmlegte.

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Partys, auf denen sich potenziell viele Menschen gleichzeitig mit dem Coronavirus anstecken, gelten unter Infektionsschützern als Alptraum. Je länger die Gäste später frei herum laufen, desto größer ist die Gefahr, dass sie das Virus breit streuen. Doch Karls Freunde sind nicht in Quarantäne, weil die zuständigen Gesundheitsämter sie schnell kontaktiert und isoliert hätten - sondern weil Karl sie selbst warnte. Zwischen dem Zeitpunkt, als Karl sich testen ließ, und dem Versuch des Gesundheitsamts Berlin-Pankow, die Partygäste zu ermitteln, vergingen acht Tage.  

An Karls Geschichte lässt sich exemplarisch erklären, warum die Gesundheitsämter, auf die es bei der Bekämpfung der Corona-Ausbreitung am meisten ankommt, derzeit oft zu langsam sind.

Konsequente Isolierung gegen das Worst-Case-Szenario

Auch wenn es Spitzenpolitiker, Virologen und der Präsident des Robert-Koch-Instituts sind, die bei der Debatte über das Coronavirus oft im Scheinwerferlicht stehen – schlagen müssen diese Schlacht in erster Linie die Mitarbeiter der bezirklichen Gesundheitsämter. Vom Erfolg ihrer Arbeit hängt entscheidend ab, ob die Ärzte und Pflegekräfte auf den Intensivstationen der Berliner Krankenhäuser die Pandemie-Patienten in den nächsten Wochen und Monaten weiterhin gut behandeln können – oder ob sie, so wie in Nord-Italien, bald auch hierzulande entscheiden müssen, wer weiter beatmet werden kann und wer sterben muss.

Die Autoren eines Strategiepapiers des Innenministeriums formulieren es so: Nur mit konsequenter Isolierung infizierter Personen könne ein Worst-Case-Szenario der Pandemie noch abgewendet werden.

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Ausgerechnet die personell ausgedünnten Gesundheitsämter sollen nun möglichst jeden einzelnen Corona-Infizierten möglichst schnell kontaktieren und isolieren - und selbiges auch mit den engen Kontaktpersonen jedes Infizierten tun.

Zum Glück gibt es Menschen in Berlin, die diese Aufgabe sehr ernst nehmen – und alles tun, um ihr gerecht zu werden: "Wenn wir erfahren, dass jemand positiv getestet wurde, ist es unser Ziel, alle engen Kontaktpersonen ausfindig zu machen und ebenfalls in die Quarantäne zu schicken – und zwar noch am selben Tag ", sagt Patrick Larscheid, Amtsarzt in Reinickendorf.

Aus den Gesundheitsämtern werden Corona-Lagezentren

Um diesen Anspruch erfüllen zu können, hat Larscheid sein Gesundheitsamt in ein Corona-Lagezentrum verwandelt. Inzwischen sitzen auch dutzende Mitarbeiter aus anderen Abteilungen des Bezirksamts hier und helfen bei der Pandemie-Bekämpfung. "Wir haben hier quasi Kriegsrecht. Wenn ich sage, ich brauche noch zehn weitere Mitarbeiter aus dem Bauamt, dann bekomme ich die auch", sagt Larscheid.

Die Kollegen nehmen Anrufe entgegen, geben die Kontaktpersonen in ein Programm ein, schicken ihnen einen Bescheid zu, mit dem sie verpflichtet werden, 14 Tage in häuslicher Quarantäne zu bleiben. Die Kontaktpersonen, die zuhaus isoliert bleiben müssen, füllen ein Online-Gesundheits-Tagebuch. Sobald jemand Symptome meldet, die auf Covid-19 deuten, bekommt er Besuch von einem der drei Abstrich-Teams, die nun jeden Tag in Reinickendorf unterwegs sind. Sie fahren von Quarantäne-Haushalt zu Quarantäne-Haushalt.

Fast alle Bezirke haben inzwischen solche Lagezentren, das Robert-Koch-Institut und das Landesamt für Gesundheit unterstützen die Gesundheitsämter, wo sie können – mit Fachwissen, aber auch mit Medizin-Studierenden, die sich beim RKI freiwillig gemeldet haben, um die Callcenter der Ämter weiter zu verstärken. "Ich habe hier den tollsten Job der Welt", sagt Larscheid. Auch Bewerbungen für offene Stellen bekomme er nun wieder. Er sieht die Krise auch als Chance.

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Erster Flaschenhals: überlastete Labore

Wie lässt sich trotz all dieser Anstrengungen dann Karls Fall erklären? Am Dienstag, dem 17. März lässt er sich in der Coronavirus-Abklärungsstelle des ehemaligen Vivantes-Klinikums Prenzlauer Berg testen. Bis das Testergebnis aus dem Labor zurückkommt, dauert es vier Tage. Und das ist kein Einzelfall.

"Im Augenblick ist es so, dass es eben durchaus die drei, vier Tage dauert, bis uns die Labore die Testergebnisse übermitteln", sagt Pankows Gesundheitsstadtrat Michael Kühne (CDU). Sein Amt war für Karls Fall zuständig, weil Karl im Bezirk Pankow gemeldet ist. In Charlottenburg-Wilmersdorf, das besonders viele Corona-Infizierte zählt, müsse man inzwischen sogar bis zu sechs Tage auf die Testergebnisse warten, sagt der dortige Stadtrat Detlef Wagner (CDU).

Der Grund: Die wenigen Labore, die in Berlin den sogenannten PCR-Test auf das Coronavirus durchführen können, sind heillos überlastet. Rund 3.000 solcher Tests könnten die Berliner Labore gegenwärtig pro Tag durchführen, sagte Gesundheitssenatorin Dilek Kalayci (SPD) Anfang der Woche im Gesundheitsausschuss. Die Nachfrage nach Tests liegt weit höher – und so stapeln sich in den Laboren die unbearbeiteten Abstriche.

Auch die Eperten im Bundesinnenministerium wissen, dass die Engpässe bei den Tests die konsequente Isolierung von Kontaktpersonen entscheidend verlangsamen. Bis Ende April sollen die Testkapazitäten deshalb laut Plänen des BMI ungefähr verdreifacht werden. Das strebt auch Kalayci in Berlin an. Ob das wirklich so schnell funktionieren wird, ist aber ungewiss.

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"Die Kollegen können auch nur arbeiten"

Für die überlasteten Labore können die Gesundheitsämter nichts. Für interne Pannen aber schon. Warum rief die Mitarbeiterin des Pankower Gesundheitsamts erst vier Tage nach dem positiven Testergebnis bei Karl an, um die Kontaktpersonen aufzuspüren – obwohl dieser Anruf laut dem Reinickendorfer Amtsarzt noch am gleichen Tag hätte kommen müssen    ?

Damit konfrontiert, windet sich Gesundheitsstadtrat Kühne. Die Angaben des Patienten seien nicht ganz plausibel, so genau ließe sich das in der Kürze der Zeit nicht recherchieren. "Grundsätzlich ist es so: Wenn die Kollegen Infizierte kontaktieren, bitten sie natürlich um die Liste der Kontaktpersonen", sagt Kühne.

Nach weiteren Nachfragen antwortet Kühne schließlich: “Wir haben mittlerweile Tausende Kontaktpersonen allein im Bezirk Pankow, insofern muss ich ehrlicherweise sagen: Die Kollegen können auch nur arbeiten."

Pankow hat trotz dieser hohen Anzahl an Kontaktpersonen derzeit nur ein Abstrich-Team auf den Straßen, welches die Kontaktpersonen zu Hause besucht und Tests durchführt. In Reinickendorf sind es drei Teams – bei weit weniger Kontaktpersonen. Pankow scheint also sich also bislang weniger gut auf die Krise eingestellt zu haben.

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Zweiter Flaschenhals: fehlendes Zentralregister

Organisatorische Probleme bei der Verfolgung der Kontaktpersonen kommen hinzu. So gibt es zwar eine von allen Gesundheitsämtern genutzte Software, in der alle Infizierten und deren Kontaktpersonen gespeichert sind. Doch jedes Amt könne aus Datenschutzgründen nur die Daten derjenigen Personen einsehen, die auch in dem jeweiligen Bezirk gemeldet sind – alle anderen Daten nicht. Ein Zentralregister gibt es nicht - das erschwert die Zusammenarbeit zwischen den Bezirken.

Eine weitere Vorschrift verhindere effektives Arbeiten, sagt der Reinickendorfer Amtsarzt Patrick Larscheid: "Wenn wir von einer Party in Reinickendorf wissen, bei der potentiell 15 Leute angesteckt wurden, würde ich diese 15 Leute gerne selbst in Quarantäne schicken und überwachen. Das geht aber nur, wenn alle Partygäste auch in Reinickendorf wohnen. Wenn drei in Mitte wohnen und zwei andere in Pankow, müssen wir diese Fälle abgeben an die anderen Bezirke. Bescheide darf nur der Bezirk ausstellen, in dem die Menschen wohnen." Deshalb wechseln täglich unzählige Mails mit Kontaktpersonen, die angerufen und in Quarantäne gestellt werden müssten, zwischen den Gesundheitsämtern hin und her.

Auch wegen solcher unnötiger Bürokratie verrinnt viel zu oft wertvolle Zeit bei der Verfolgung von Kontaktpersonen. Es wäre Aufgabe des Berliner Senats, dieses Wirrwarr schleunigst zu beseitigen.

Die meisten Infizierten warnen ihre Kontaktpersonen selbst vor

Karl hat nicht gewartet, bis das Gesundheitsamt ihn nach seinen Kontaktpersonen gefragt hat. Er hat alle seine Freunde, die auf seiner Party waren, schon angerufen, als er sich aufgrund seiner Symptome testen ließ. "Die meisten haben danach ihre Kontakte von sich aus deutlich eingeschränkt", erzählt er.

So wie Karl machen es inzwischen viele Berliner, die Covid-19 bekommen, berichtet der Pankower Stadtrat Kühne: "Wenn die Kollegen bei Kontaktpersonen anrufen, sind die meisten von ihren infizierten Bekannten bereits vorgewarnt und informiert."

Doch ob alle diese Menschen auch ohne offizielle Strafanordnung einer Inquarantänestellung wirklich konsequent zu Hause bleiben? Von der Antwort auf diese Frage wird nun auch abhängen, ob Berlin den Worst Case verhindern kann.

Beitrag von Robin Avram

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