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Video: rbb|24 | 02.08.2020 | Material: rbb24 | Quelle: dpa/ZB/Paul Zinken

Demo Corona-Leugner am Samstag

Westdeutsche "Querdenker" vereinigen sich mit Pegida

Bei der entfesselten Demonstration von Corona-Leugnern vereinen sich in Berlin erstmals Protestmilieus aus Ost und West über die gemeinsame Ablehnung von Staat und Medien. Eine Analyse von Olaf Sundermeyer

Viele von denen, die am Samstag zur Demo auf der Straße des 17. Juni mit dabei waren, kommen in den vergangenen Jahren immer wieder nach Berlin, um zu demonstrieren: dass Merkel wegmüsse, die Presse lüge, und dass sie das Volk seien. Zahlreiche Reichsbürger, Pegida-Anhänger, radikale AfD-Sympathisanten und andere Rechtsextremisten, die seit den Tagen der Flüchtlingskrise zu einer Bewegung zusammengefunden haben.

Männer aus dem Osten voller Hass

Jeweiliger Anlass oder Motto, unter dem eingeladen wird, ist austauschbar, ja egal. Dafür reisen sie dann aus dem Osten an: Vor allem Männer vom Land um Berlin herum, verbittert und voller Wut, die oft in Hass umschlägt.

Hauptstadt ihrer Bewegung ist eigentlich Dresden, wo sie auf dem Höhepunkt der Pegida-Proteste mit Menschen in ähnlicher Zahl zusammengekommen sind, wie an diesem Wochenende in Berlin.

Hintergrund

Protest und Gegenprotest in Berlin

Kundgebung der Corona-Leugner am Brandenburger Tor aufgelöst

Im Südwesten haben Verschwörungsideologen ihre Hochburg

Die tausenden demonstrierenden Corona-Leugner, die am sogenannten "Tag der Freiheit" das "Ende der Pandemie" proklamierten, speisten sich doch vor allem aus Gruppen, die aus dem Westen Deutschlands angereist waren: aus Freiburg, Stuttgart, Frankfurt, Düsseldorf oder Osnabrück. Darunter sehr viele Frauen, Familien mit Kindern, friedlich, fröhlich und entrückt.

Eingeladen und mobilisiert von einer Initiative, die sonst Proteste wie ein Open-Air-Konzert oder ein Sportevent organisiert, mit professioneller Veranstaltungstechnik und Merchandising-Vertrieb: Die "Querdenker", ein Netzwerk mit rund 130 bundesweiten lokalen Knotenpunkten, das in der Corona-Krise in Stuttgart zusammengefunden hatte. Im Südwesten haben deutsche Impfgegner, Esoteriker und Verschwörungsideologen ihre Hochburg.

Feindlich gegen jeden, der sie in Frage gestellt hat

Binnen weniger Monate hat das Organisationsteam der "Querdenker" um einen IT-Unternehmer eine Gemeinschaft geformt, die wie eine Sekte funktioniert: verbunden in dem Glauben, dass Corona eine Lüge ist. Gestärkt durch den inneren Zusammenhalt eine Erkenntnis zu teilen, die frei ist von der angeblichen Manipulation durch Politik und Medien, wie sie Deutschland ihrem Glauben nach erfasst hat.

Ihr Resonanzraum ist die wachsende alternative Gegenöffentlichkeit dutzender Youtube-Kanäle aus der eigenen Bewegung: etablierte Medien von Spiegel bis ARD werden abgelehnt und in sämtlichen Redebeiträgen geschmäht, so wie Pegida es seit Jahren vorgemacht hat.

Journalisten wurden auf der Demonstration der Corona-Leugner in gleicher Weise angefeindet wie auf den rechtsextremen Kundgebungen von Pegida, AfD und Co. So war die Berliner Großdemo friedlich nach innen, aber feindlich nach außen gegen jeden, der sie infrage gestellt hat.

Weitere Infos

Corona-Demos in Berlin

Wanderzirkus der Corona-Leugner kommt in die Stadt

Größenwahnsinn ist hier Programm

Während Medienvertreter und Polizei rund 20.000 Teilnehmer zählten, verkündeten sie selbst eine Zahl von 1,3 Millionen auf der Bühne, die sich über die eigenen Kanäle im Netz verbreitet. Der Größenwahn ist hier Programm, wie schon bei der Ankündigung der Veranstalter, mit 500.000 Menschen in Berlin zu demonstrieren, oder eine "Mitmachpartei" mit dem Namen "Widerstand 2020" gegründet zu haben, die bereits 100.000 Mitglieder habe, die es aber als Partei faktisch nicht gibt. Dahinter steckt die Behauptung, eine Massenbewegung zu sein: Ganz im Sinne einer Prophezeiung, die sich durch eine mediale Verstärkung selbst erfüllen möge.

Bislang tut sie das nicht, denn eine Massenbewegung sind diese Corona-Leugner mitnichten. Sie haben 20.000 Menschen in Berlin auf die Straße gebracht. Das ist alles. Eine Demonstration in einer Größenordnung, die in der Hauptstadt nichts Ungewöhnliches ist. Als Nächstes kommen wieder die Biker oder die Bauern zu Tausenden nach Berlin, um auf der Hauptstadtbühne ihr Anliegen vorzutragen.

Widerstand gegen das System eint

Aber mit ihrem vereinigten rücksichtslosen Ost-West-Protest in Zeiten der Pandemie haben die Corona-Leugner die Polizei am Samstag herausgefordert: ohne Abstand und ohne Maske haben sie den Staat vorgeführt, der kein Mittel fand gegen die friedliche Demonstration mitten im Regierungsviertel.

Die Auflösung durch die Versammlungsbehörde fand kaum Gehör. Die selbstverständliche Verweigerung der Hygieneregeln war der eigentliche Ausdruck ihres Protests: Wie schon bei anderen Szenarien erweist sich der Staat im Kampf gegen die Pandemie als machtlos in der Durchsetzung der eigenen Regeln, wenn Menschen sich bewusst nicht daran halten wollen: Wie etwa bei der riesigen Silent-Demo von "Black Lives Matter" Anfang Juni auf dem Alexanderplatz oder den Massenpartys, die in vielen Städten immer wieder stattfinden.

So kam es auch zu dieser entfesselten Großdemo auf der Straße des 17. Juni in Berlin: Demonstranten aus dem Westen, die Widerstand als fröhliches Happening sahen, dem keine Repression entgegenzusetzen ist, die auf ihre Mitstreiter aus dem Osten mit ihren bekannten Botschaften trafen: dass Merkel wegmüsse, die Presse lüge, und dass sie das Volk seien. Was beide Gruppen eint, ist sich im Widerstand gegen das System zu sehen.

Sendung: Tagesthemen, 01.08.2020, 23.15 Uhr

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