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Video: rbb spezial | 29.08.2020 | Quelle: dpa/Michael Kappeler

Proteste in Berlin

Fast 40.000 Menschen bei Corona-Demos - Sperren am Reichstag durchbrochen

Zehntausende haben am Samstag in Berlin gegen die Corona-Maßnahmen demonstriert. Eine Großkundgebung an der Siegessäule verlief friedlich. Zuvor wurde jedoch eine Demo aufgelöst - und auch am Reichstag musste die Polizei einschreiten.

- Rund 38.000 Menschen sind am Samstag in Berlin gegen die Corona-Politik auf die Straße gegangen.

- Gerichte hatten zuvor ein Verbot gekippt.

- Am Vormittag versammelten sich rund 18.000 Menschen in Berlin-Mitte. Weil gegen Abstandsregeln und eine verhängte Maskenpflicht verstoßen wurde, löste die Polizei diese Demonstration auf.

- Zu einer Kundgebung auf der Straße des 17. Juni und am Großen Stern am Nachmittag kamen rund 30.000 Teilnehmer.

- Vor der russischen Botschaft und am Reichstag demonstrierten "Reichsbürger" und Rechtsextremisten.

- Am Abend durchbrachen Demonstranten Sperren vor dem Reichstagsgebäude und stürmten die Treppen hoch.

Absperrungen zum Reichstag durchbrochen

Zehntausende Menschen haben am Samstag in Berlin mit mehreren Demonstrationen gegen die Corona-Maßnahmen des Bundes und der Länder protestiert. Die Behörden schätzten die Zahl der Teilnehmer auf insgesamt 38.000.

Protestierende versammelten sich auch am Reichstagsgebäude. Dort eskalierte am Abend die Lage, mehr als 100 Personen durchbrachen die Absperrungen der Polizei und stürmten auf die Treppen zum Eingang. Viele von ihnen schwenkten Reichsflaggen. In das Gebäude seien die Menschen aber nicht gelangt, twitterte die Polizei. Die Beamten vor Ort hätten die Demonstranten abgedrängt und dabei auch Pfefferspray eingesetzt, sagte eine Polizeisprecherin. Später am Abend sei vor dem Sitz des Bundestags Ruhe eingekehrt. Zu möglichen Festnahmen konnte sie zunächst keine Angaben machen.

Polizeisprecher: "Wir können nicht immer überall präsent sein"

Videos, die im Internet kursieren, zeigen, wie die Menschen direkt vor der Tür des Reichstagsgebäudes standen. Kurzzeitig standen ihnen nur drei Polizisten noch im Weg. Polizeisprecher Thilo Cablitz erklärte später: "Wir können nicht immer überall präsent sein, genau diese Lücke wurde genutzt, um hier die Absperrung zu übersteigen, zu durchbrechen, um dann auf die Treppe vor dem Reichstag zu kommen."

Bereits am Morgen hatten Rechtsextremisten und "Reichsbürger" vor Kanzleramt und Reichstag demonstriert. Auf einer Bühne vor dem Reichstag hatte unter anderem Attila Hildmann gesprochen, der immer wieder Verschwörungsmythen verbreitet. Er wurde später bei einer Versammlung von Rechten vor der russischen Botschaft festgenommen, bei der es zu Zusammenstößen zwischen Polizei und Demonstranten gekommen war. Insgesamt nahm die Polizei dort rund 200 Personen fest.

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30.000 bei Kundgebung an der Siegessäule

Die größte Kundgebung gegen die Corona-Maßnahmen fand ab dem Nachmittag rund um die Siegessäule statt. Laut Innensenator Andreas Geisel (SPD) nahmen bis zu 30.000 Demonstranten an dieser Kundgebung teil. Die Veranstalter hatten 22.000 Teilnehmer erwartet.

Gegen 19 Uhr fingen viele Teilnehmer laut Polizei an, die bis 21 Uhr angemeldete Veranstaltung zu verlassen. "Das sorgt auch dafür, dass die Abstände inzwischen besser eingehalten werden. Das ist sehr erfreulich", twitterte die Polizei. Auf der Straße des 17. Juni zwischen Brandenburger Tor und Siegessäule hatten die Menschen nach Informationen von rbb-Reportern am Mittag zunächst noch dicht an dicht gestanden. Die Polizei teilte daraufhin gegen 15 Uhr über Twitter mit, sie habe den Versammlungsleiter gefragt, ob er unter diesen Umständen seine Veranstaltung überhaupt beginnen wolle. Diese startete dann aber.

Teimnehmer der "Querdenker"-Demo am Samstagmittag in Berlin | Quelle: rbb

Redner fordern Abdankung der Bundesregierung

Bei der Kundgebung an der Siegessäule forderte Michael Ballweg von der Stuttgarter Initiative "Querdenken", alle Gesetze aufzuheben, die wegen der Corona-Pandemie erlassen wurden. Außerdem forderte er die Bundesregierung auf, sofort abzudanken.

Unter den Rednern war auch der Neffe des früheren US-Präsidenten John F. Kennedy. Der Rechtsanwalt, Umweltaktivist und Impfgegner Robert Francis Kennedy junior wandte sich in seiner Rede auf der Kundgebung gegen den Aufbau des neuen 5G-Mobilfunknetzes, warnte vor einer Totalüberwachung und attackierte in diesem Zusammenhang unter anderem Microsoft-Gründer Bill Gates.

Liveticker:

Auflagen nicht eingehalten - Polizei löst Demonstrationszug auf

Eine andere Demonstration, die am Vormittag gestartet war, löste die Polizei hingegen am frühen Nachmittag auf. Im Zentrum der Hauptstadt hatten sich nach Polizeiangaben rund 18.000 Menschen versammelt, der verordnete Mindestabstand wurde jedoch vielfach unterschritten. Daraufhin ordnete die Polizei die Verwendung einer Mund-Nasen-Bedeckung an, was ebenfalls nur vereinzelt befolgt wurde. Als Konsequenz teilte die Polizei dem Veranstaltungsleiter mit, dass die Demonstration aufgelöst werde.

Viele Demonstrierende weigerten sich jedoch, den Anordnungen der Polizei Folge zu leisten und Straßen und Plätze zu verlassen. Vereinzelt wurden Menschen von der Straße getragen. Nach Angaben der Polizei kam es zu Unmutsbekundungen und Flaschenwürfen. Die Polizei forderte nach eigenen Angaben auch einen Hubschrauber zur Unterstützung an.

Die Abstandsregelung wurde nicht eingehalten | Quelle: dpa/Zinken

Rechtsextreme, "Reichsbürger" und Familien unter den Demonstranten

Bereits am Morgen hatten sich zahlreiche Menschen auf beiden Seiten des Brandenburger Tors versammelt. rbb-Reporter berichteten von einer aufgeheizten Stimmung unter den Demonstranten dort. Demonstrierende riefen "Tor auf" und skandierten "Wir sind das Volk". Zu sehen waren vielfach Flaggen in den Farben des Deutschen Reichs und unter Rechtsextremen beliebte Symbole und Zahlencodes. Eine große Deutschlandflagge wurde auf dem Boden vor dem Brandenburger Tor. Es gab eine Festnahme wegen des Verwendens verfassungsfeindlicher Kennzeichen. Auch vor der russischen Botschaft an der Straße Unter den Linden versammelten sich Rechtsextreme und "Reichsbürger".

Im Laufe des Vormittags strömten dann Tausende in die Stadtmitte. Viele Teilnehmer trugen "Querdenken"-T-Shirts, andere auch Symbole der Verschwörungsbewegung "Qanon". Auf Transparenten forderten Demonstranten den Rücktritt der Bundesregierung und eine Ende der Corona-Maßnahmen. Immer wieder riefen sie "Widerstand" und "Wir sind das Volk". Insgesamt versammelte sich eine breite Mischung von Bürgern, darunter Junge und Alte sowie auch Familien mit Kindern.

Kommentar

Kommentar | Verbot von Corona-Demos gekippt

Niederlage des Innensenators zeigt die Stärke der Demokratie

Demo-Zug kam nicht in Gang

Die offizielle Route des Demonstrationszuges am Vormittag sollte von der Kreuzung Friedrichstraße/Unter den Linden durch die Leipziger und Dorotheenstraße zum Brandenburger Tor führen. Von dort wollten die Demonstranten über die Straße des 17. Juni zum Großen Stern ziehen.

Die Polizei wollte dem Demonstrationszug allerdings erst dann erlauben, sich in Bewegung zu setzen, wenn die Abstände im Versammlungsbereich eingehalten würden. Die Teilnehmenden stauten sich zunächst dicht gedrängt zurück bis zum Brandenburger Tor, in der Friedrichstraße reichte der Rückstau bis zur Torstraße. Schließlich kündigte die Polizei die Auflösung der Demonstration an.

Im Laufe des Tages wurden auch Straßen vorübergehend blockiert, Absperrungen durchbrochen und ein Baucontainer angezündet, wie die Polizei weiter mitteilte. Sie war mit rund 3.000 Beamten im Einsatz. Ein Hubschrauber lieferte der Einsatzleitung Bilder aus der Luft. Es gab auch Gegenproteste, unter anderem aus der linken Szene auf dem Bebelplatz.

Geisel bleibt bei Position zu Demo-Verbot

Berlins Innensenator Andreas Geisel (SPD) bedankte sich in einer ersten Bilanz am Abend bei den Polizeieinsatzkräften. Die Auseinandersetzungen vor der russischen Botschaft, bei denen Polizisten mit Flaschen und Steinen beworfen wurden, nannte er eine "sehr aufgeheizte Situation".

In der rbb-Abendschau sagte Geisel, er würde sich wieder für ein Verbot eine Demonstration gegen die Corona-Regeln in Berlin entschieden. Er habe eine Abwägung treffen müssen zwischen dem Versammlungsrecht und Recht auf Leben und Gesundheit. Er habe sich für Leben und Gesundheit entschieden, das hätten die Richter anders gesehen. Das sei in der Demokratie so, und damit könne er umgehen.

Unter den Demonstranten seien nicht nur Corona-Leugner, fügte Geisel hinzu. Dort waren auch "Reichsbürger" und Rechtsextremisten, diese seien Gegner der freiheitlich-demokratischen Grundordnung: "Da hilft es nicht, wenn ich die einfach demonstrieren lasse, dann ändern die nicht ihre Gesinnung. Ich muss Haltung zeigen. Und ich denke, wir brauchen eine wehrhafte Demokratie." Später sagte er im rbb Spezial: "Ich denke, dass wir das hier nicht nur mit Verboten regeln können." Es sei ein politischer Dialog erforderlich.

Verbot durch Versammlungsbehörde von Gerichten kassiert

Bis zuletzt hatte es eine juristische Auseinandersetzung um die Zulassung der "Querdenken"-Demonstrationen gegeben. Die Versammlungsbehörde der Berliner Polizei hatte die Demonstrationen am Mittwoch unter Hinweis auf das Infektionsschutzgesetz verboten. Dagegen legten die Veranstalter Einspruch beim Berliner Verwaltungsgericht ein - mit Erfolg: Die Richter kippten das Demo-Verbot. Die Berliner Polizei rief mit dem Oberverwaltungsgericht die nächste Instanz an. Dieses bestätigte die Entscheidung des Verwaltungsgerichts in der Nacht zum Samstag.

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