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Audio: Inforadio | 23.09.2020 | Nina Amin | Quelle: imago images/Paul Weisflog

Steigende Infektionszahlen

Clubs wollen nicht zum Corona-Sündenbock gemacht werden

Weil die Zahl der Corona-Neuinfektionen in Berlin steigt, wollen Gesundheitssenatorin Kalayci und die besonders betroffenen Bezirke die Clubszene stärker kontrollieren. Doch die Betreiber fühlen sich ungerecht behandelt. Auch der rot-rot-grüne Senat ist in der Sache nicht einig.

In der Debatte über die gestiegenen Corona-Infektionszahlen sehen sich die Berliner Clubs zu
Unrecht als Verursacher abgestempelt. "Da muss man differenzieren", sagte Lutz Leichsenring vom Dachverband Clubcommission am Mittwoch der Deutschen Presse-Agentur. "Da wird alles in einen Topf geworfen."

Das Clubleben findet derzeit Leichsenring zufolge hauptsächlich in den Außenbereichen statt. Dort seien die Clubs die "striktesten Umsetzer" der Hygienemaßnahmen. Sie seien angesichts des Aufgebots der Ordnungsämter "ein bisschen sprachlos" und sähen sich als "Sündenbock".

Hintergrund

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Strengere Kontrollen der Clubszene angekündigt

Am Dienstag hatte Gesundheitssenatorin Dilek Kalayci (SPD) nach einem Treffen mit Vertretern der besonders stark betroffenen Bezirke Mitte, Friedrichshain-Kreuzberg und Neukölln schärfere Kontrollen von Clubs und Partygängern angekündigt. "Wir, das heißt, die drei Bezirke und ich, haben uns zu einer konzertierten Kontroll-Aktion zu den Clubs verabredet, wo manches illegal läuft", so Kalayci. Man habe sich insbesondere über private Zusammenkünfte und das "Clubgeschehen" beraten. "Beides treibt die Infektionszahlen", so die Senatorin. Am Freitag sollen die Beratungen dazu weitergehen.

Zuspruch bekam Kalayci vom Reinickendorfer Amtsarzt Patrick Larscheid. Er sprach sich wegen der Zunahme von Infektionen für neue Kontaktbeschränkungen aus. "Wenn der Senat es ernst meint, müsste er jede Form von Party oder Feier untersagen", sagte Larscheid am Dienstag der Zeitung "B.Z." (Online). Demnach sollte die Grenze für Zusammenkünfte wieder bei acht bis zwölf Menschen liegen - aus höchstens drei Haushalten. Der Neuköllner Gesundheitsstadtrat Falko Liecke (CDU) forderte im rbb, dass Hundertschaften der Polizei als Brennpunkt-Streife an Hotspots eingesetzt werden um die Einhaltung der Hygieneregeln zu überwachen. "Party ist jetzt nicht", so Liecke.

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Die Clubszene wies die Vorwürfe allerdings zurück. Private Feiern, illegale Raves, Bars und Restaurants sind demnach etwas anderes, aus den Clubs seien keine großen Ausbrüche oder Superspreader bekannt, sagte Leichsenring. Die Kontrolleure der Ordnungsämter gingen derzeit "ein und aus". Neulich habe es bei einer Veranstaltung Lob für die Hygienemaßnahmen gegeben und dennoch sei kurze Zeit später die Polizei angerückt.

Konkrete Zahlen zu Neuinfektionen, die in Verbindung zu Clubs stehen, haben weder die Gesundheitsverwaltung noch die Bezirke bisher vorgelegt. Kalaycis Kritik an den Clubs stieß dann auch auf Widerspruch von Linken und Grünen. Kultursenator Klaus Lederer (Linke) schrieb auf Twitter: "Clubs zum Buhmann zu machen ist hilflos und schräg." Viele Betreiber gingen mit der Situation verantwortungsvoll um, so Lederer, zudem gebe es aktuell gar keinen regulären Clubbetrieb.

Fraktionschefin der Grünen spricht von blindem Aktionismus

Kontrollen in der Gastronomie seien weiterhin notwendig, so Lederer. "Und wo in der Gastronomie die Regeln nicht eingehalten werden, bin ich für deutliche Reaktionen."

Auch die Fraktionsvorsitzende der Grünen, Antje Kapek, äußerte Kritik am Vorgehen von Kalayci und den Bezirken. Es müsse ermittelt werden, woher genau die Neuinfektionen kommen und wer die sogenannten Superspreader sind, so Kapek. Dafür brauche es aber mehr Personal in den Gesundheitsämtern, um die Ansteckungsketten akribisch nachzuverfolgen. Wenn die SPD-Gesundheitssenatorin das liefere, könnten die Grünen Überlegungen wie eine Sperrstunde und Alkoholverbot mitragen. Blinden Aktionismus, so Kapek, trage sie aber nicht mit.

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Ein Alkoholverbot für Kneipen und Bars in bestimmten Straßen hatte Kalayci schon einmal im August ins Spiel gebracht, stieß bei Lederer aber auf Ablehnung. Stattdessen sollten die Ordnungsamt-Kontrollen verstärkt werden, weil sich in den Szenekiezen über den Sommer häufig die Menschen auf den Straßen drängten. Im Volkspark Hasenheide in Neukölln etwa, wo teils Tausende Menschen illegale Partys feierten, zeigten Polizei und Ordnungsamt verstärkt Präsenz. Es war aber nicht das Ende der Partys: Die Szene trifft sich nun eben an anderen Orten; immer wieder muss die Polizei große Zusammenkünfte auflösen, zuletzt gleich zweimal am vergangenen Wochenende im James-Simon-Park in Mitte.

Die Berliner Clubszene mit rund 9.000 Beschäftigten kämpft ums Überleben und ist auf Hilfsprogramme angewiesen. Zu den Mitgliedern der Clubcommission gehören Adressen wie das "About Blank", "Cassiopeia", das "Gretchen" und "Holzmarkt 25".

Im Vergleich der Bundesländer liegt Berlin bei den Corona-Neuinfektionen innerhalb von sieben Tagen pro 100.000 Einwohner an der Spitze: mit einem Wert von 22,9, wie aus Daten des Robert Koch-Instiuts von Mittwoch hervorgeht. Verglichen mit zum Beispiel München steht Berlin aber besser da: Laut RKI-Dashboard werden in der bayrischen Großstadt 44,5 Fälle pro 100.000 Einwohner in sieben Tagen erfasst. Das liegt näher am Wert, den der Bezirk Friedrichshain-Kreuzberg erreicht: 46,8. Befürchtet wird, dass sich im Zuge der Ausbreitung bei Jüngeren auch wieder vermehrt Ältere mit Sars CoV-2 anstecken, was eine Zunahme der Krankenhaus- und Todesfälle nach sich ziehen kann.

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