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Audio: Inforadio | 12.11.2020 | Interview mit Jens Spahn (CDU) | Quelle: dpa/Wolfgang Kumm

Interview | Gesundheitsminister Jens Spahn

"Weihnachtsfeiern mit mehr als 15 Personen sehe ich in diesem Winter nicht"

Von einem Teil-Lockdown im November versprechen sich Bund und Länder ein Brechen der zweiten Corona-Welle. Im rbb-Interview mahnt Gesundheitsminister Spahn zu Geduld, spricht über den Pflegemangel und frühere Weihnachtsferien.

rbb: Herr Spahn, die Kurve der Neuinfektionen ist etwas abgeflacht in den letzten Tagen. Trotzdem sind es heute 21.866 Neuinfektionen, vor einer Woche waren es deutlich weniger. Wie bewerten Sie die Lage? Sieht man schon Auswirkungen des Lockdowns oder nicht?

Jens Spahn: Wenn man jetzt nicht nur von gestern auf heute schaut, sondern in einem längeren Zeitraum über ein, zwei Wochen, sehen wir, dass die Dynamik nachlässt - sie steigt aber noch. Und das reicht noch nicht. Wir müssen ja die Zahlen runterbringen, weil mit den Infektionszahlen jetzt - das sehen wir auf den Intensivstationen - steigt auch zeitversetzt der Behandlungsbedarf von Covid-19-Patienten auf Intensivstationen. In Deutschland haben wir so viele wie noch nie in der Pandemie.

Und auf die Frage, ob wir die [Auswirkungen der] Maßnahmen jetzt schon sehen: Wenn, dann fängt es jetzt in der zweiten Wochenhälfte an. Wir haben ja seit Montag letzter Woche verstärkte Beschränkungen neu in Kraft gesetzt. Das braucht immer ein bis zwei Wochen, bis man das tatsächlich sieht. Dieses Virus hat eine sehr lange Bremsspur, das ist das Problem und das verlangt uns jetzt eben auch Geduld ab in diesen Tagen.

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Gesundheitsämter scheitern an der Kontaktnachverfolgung

Kann man denn angesichts dessen überhaupt schon sagen, auf was die Menschen sich einstellen müssen, wann die Kontaktbeschränkungen und die Schließung wieder gelockert werden können?

Das kann man jetzt abschließend noch nicht sagen. Das gehört einfach auch zu einer ehrlichen, transparenten Kommunikation dazu. Wir werden in der nächsten Woche eine erste gute belastbarere Einschätzung geben können. Aber eins ist mir wichtig: Dieser November ist ein besonders schwerer für uns, alle Kontakte zu beschränken, auf vieles im Privaten, in der Freizeit zu verzichten. Bei Kunst und Kultur und für die, die sie betreiben, geht es ja auch um wirtschaftliche Existenz.

Aber wenn wir da durch sein sollten und die Zahlen runterbrächten, heißt das ja nicht ab Dezember, Januar kann es wieder richtig losgehen mit Hochzeitsfeiern oder Weihnachtsfeiern, als wäre nichts gewesen. Das wird nicht funktionieren, sondern wir müssen miteinander schaffen, durch diesen Winter zu kommen, mit niedrigeren Zahlen auf einem niedrigeren Niveau. Und deswegen finde ich schon jetzt die Botschaft wichtig: Veranstaltungen mit mehr als zehn 15 Personen, also Weihnachtsfeiern oder andere Arten von Geselligkeit, die sehe ich in diesem Winter nicht mehr.

Sie haben gesagt, die Intensivstationen füllen sich. Damit wird auch die prekäre Situation des Pflegepersonals wieder sichtbarer. Der Deutsche Pflegerat hat Sie kritisiert, dass Sie auf dem Feld längst für Verbesserungen hätten sorgen müssen, das sagt dessen Präsident Franz Wagner. Was antworten Sie ihm?

Dass ich sehe, dass wir an bestimmten Stellen besser werden müssen. An vielen Stellen sehen wir im Alltag sehr klar die Notlage. Die Probleme, die es in der Pflege vor Corona gab, die sind jetzt noch einmal verstärkt durch die Krise. Allerdings habe ich mit Herrn Wagner, dem Präsidenten des Pflegerates, auch schon oft darüber gesprochen in den letzten Monaten, dass wir in der Pflege in den letzten zwei Jahren mehr bewegt haben als in 20 Jahren zuvor. Endlich ist das Geld für die Stellen zumindest mal da. Ja, sie können nicht alle gleich besetzt werden. Der Arbeitsmarkt ist leergefegt, aber die Stellen sind endlich mal finanziert.

Aber es geht ja um die akute Lage jetzt und wie man aktuell die Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen dort entlasten kann. Was planen Sie ganz konkret, wie man das im Moment schaffen kann?

Wir haben Ausnahmeregelungen geschaffen, was Dokumentation, was Aufwand, Bürokratie und Nachweispflichten angeht. Wir können mithelfen, dass an bestimmten Stellen das Gesundheitswesen bei planbaren Operationen weniger Macht - ohne dass wirtschaftlicher Schaden dadurch entsteht - damit sich mehr auf Covid-19-Patienten konzentriert wird. Wir können aber nicht innerhalb von sechs, sieben Monaten Pflegefachkräfte ausbilden oder sogar Pflegeintensivfachkräfte.

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Mögliche Verlängerung von Winterferien stößt auf viel Kritik

Wenn wir auf die Schulen blicken, ist da eine Maßnahme im Gespräch, die ziemlich konkret und einfach klingt, nämlich die Weihnachtsferien zu verlängern. Nordrhein-Westfalen will genau das machen, dass die Ferien am Montag vor Weihnachten schon beginnen. Dann hat man theoretisch fünf Tage vor Heiligabend, wo man sich in eine Art freiwillige Quarantäne begeben kann, um die Großeltern zu sehen. Würden Sie das auch anderen Bundesländern empfehlen?

Das muss jedes Land für sich, auch nach Infektionslage entscheiden. Ich finde es aber einen pragmatischen Ansatz, der sicherlich auch eine Rolle spielen wird. Was mir wichtig ist, das muss die Überschrift sein, bei allem, was wir tun: Bei Schule und Kita muss es Planbarkeit geben für Eltern, Kinder, Lehrerinnen und Lehrer, Erzieherinnen und Erzieher. So etwas wie im Frühjahr über Monate zu schließen und es ist nicht klar, wann wieder geöffnet wird, das war eine echte, harte Belastung für alle. Und eine Maßnahme, wo man weiß, es geht um soundsoviel Tage zu einem bestimmten Zeitpunkt, um die Dinge zu entschleunigen, um Infektionsherde zu erkennen, damit denke ich, können alle besser umgehen.

Vielen Dank für das Gespräch!

Das Interview führte Dörte Nath für Inforadio. Es handelt sich um eine gekürzte und redigierte Fassung. Das komplette Interview können Sie mit Klick auf den Playbutton im Beitragsbild hören.

Sendung: Inforadio, 12.11.2020, 7.40 Uhr

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