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Audio: Antenne Brandenburg | 27.03.2020 | Autor: John-Alexander Döring | Quelle: rbb / John-Alexander Döring

Polnische Grenzkontrollen wegen Corona

"Das ist doch kein Leben"

Weiter in Deutschland arbeiten oder nach Hause zur Familie: Diese Entscheidung müssen derzeit viele polnische Pendler fällen. Grund ist eine neue Quarantäne-Verordnung der polnischen Regierung. Was macht das mit Menschen und Unternehmen? Von Martin Adam

Joanna Hein geht jeden Tag spazieren. "Was soll man auch sonst machen mit der ganzen Zeit?", fragt sie. Hein wohnt direkt an der deutsch-polnischen Grenze in Słubice, in Sichtweite der Oder. Sonst überquert sie zweimal täglich den Fluss. Morgens fährt sie nach Berlin, wo sie ein Reinigungsteam in einem Hotel leitet, und spät abends wieder nach Hause, nach Polen. 

Polnische Pendler sorgen sich um Löhne

Eine Zeit lang habe sie wenigstens noch an zwei Tagen pro Woche fahren können, erzählt sie. Dann habe erst das Hotel geschlossen und jetzt sei auch die Grenze dicht. "Wie könnten zwar nach Deutschland fahren, aber wenn wir zurückkommen, müssten wir zwei Wochen in Quarantäne", sagt sie. Damit ist Pendeln unmöglich.

Auch Jacek Kotuła ist betroffen. Bisher ist der 50-Jährige jeden Tag aus Słubice zur Arbeit in ein Logistikzentrum nach Großbeeren gefahren. Er mache sich jetzt große Sorgen, sagt er, genau wie die vielen polnischen Kollegen, mit denen er sonst zusammenarbeitet: "Vor allem natürlich wegen der Gesundheit. Aber es geht auch darum, dass wir unsere Rechnungen bezahlen müssen. Wir wissen gerade nicht, wie das Leben weitergeht."

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Unternehmen geraten unter Druck

Die Stimmung sei merkwürdig, erzählen Hein und Kotuła. Niemand wisse, ob es überhaupt noch Geld gibt oder ob sie jetzt von ihrem Ersparten leben müssten. Zwar sei es richtig, die Grenzen zu schließen, um das Coronavirus einzudämmen. Aber gerade in der Doppelstadt Słubice-Frankfurt (Oder) habe man sich in den letzten Jahren sehr daran gewöhnt, dass die Grenze im Alltag nicht sichtbar sei, sagt Jacek Kotuła.

Daran hatten sich auch die Berliner Unternehmen gewöhnt, für die mehrere tausend Pendler jeden Tag nach Deutschland fahren. Dass jetzt zum Beispiel Logistik-Mitarbeiter wie Jacek Kotuła ausfallen, ist ein großes Problem für die Versorgung der Stadt, meint Nils Busch-Petersen vom Handelsverband Berlin-Brandenburg: "Die Berufspendler aus Polen sind nicht nur in den sozialen, medizinischen und Pflegeberufen für unsere Region sehr wichtig. In den Logistikzentren in und um Berlin haben wir über 1.000 Beschäftigte, die wir dringend brauchen."

Gerade jetzt sei der Bedarf groß, da Supermärkte und Drogerien mehr Nachschub ordern als sonst. Der Online-Handel sei dabei noch gar nicht eingerechnet, sagt Nils Busch-Petersen. "Sollten wirklich viele Mitarbeiter fehlen, wird es großer Anstrengungen bedürfen."

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Es dürfte schwer werden, Pendler davon zu überzeugen, vorerst in Deutschland zu bleiben. Zwar bietet Brandenburg inzwischen jedem, der bleibt, einen Zuschuss von 65 Euro pro Tag, aber damit lässt sich die Entfernung zur eigenen Familie kaum aufwiegen. Und auch in Polen steht Ostern an, der wichtigste Feiertag in dem katholisch geprägten Land. Dafür habe man natürlich Verständnis, sagt Manja Schreiner, genau wie für die Grenzschließung selbst. Schreiner ist Hauptgeschäftsführerin der "Fachgemeinschaft Bau", einem Branchenverband für Baufirmen.

Auch auf Baustellen fehlen jetzt polnische Mitarbeiter. Derzeit würden die Unternehmen ihre betroffenen Mitarbeiter fragen, ob sie vorübergehend in Deutschland bleiben und weiterarbeiten wollten. Manja Schreiner berichtet von Baufirmen, die den polnischen Angestellten eigene Immobilien zur Verfügung stellen. "Wir haben als Verband auch ein Hotel organisiert. Die Hotels sind ja selbst schwer gebeutelt durch die Situation", sagt Manja Schreiner. Mit den Mitgliedsunternehmen habe sie vereinbart, dass dort Zimmer zur Verfügung stehen, falls kurzfristig Mitarbeiter untergebracht werden müssten. Bisher steht das Hotel noch leer.

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Auch in Polen keine Perspektive

Joanna Hein hat in Słubice ihren Mann und zwei Kinder. Für die 39-Jährige ist in Deutschland zu bleiben keine Option. Ohnehin sei das Hotel wegen Corona auch geschlossen, sagt sie. Für sie sei die Situation sehr belastend: "Am Anfang ist das ja alles ganz nett. Man kann sich mal erholen, mehr Zeit mit der Familie verbringen. Aber dann? Das ist kein richtiges Leben, eher so ein Hinvegetieren." Sie sei so gewöhnt an ein Leben voller Arbeit, dass es ihr jetzt "auf dem Abstellgleis" nicht gut gehe.

In Polen einen Job für die Zwischenzeit zu suchen sei aber sinnlos, sagen sowohl Jacek Kotuła als auch Joanna Hein. Dort gehe es den Firmen im Moment ja auch nicht besser.

 

Sendung: Inforadio, 27.03.2020, 8.05 Uhr

Beitrag von Martin Adam

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