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Video: Abendschau | 26.03.2020 | S. Wassermann | Quelle: imago images

Kommentar | Michael Müller zu Corona

Das Gesicht der Krise

So etwas wie das Coronavirus hat Berlin noch nicht erlebt und stellt die Regierung vor enorme Herausforderungen. Michael Müller zeigt nun, warum er vielleicht gerade jetzt der richtige Mann für den Job des Regierenden ist. Von Sebastian Schöbel

Michael Müllers Mimik tendiert zur Ernsthaftigkeit, mit schmalen Lippen, hängenden Mundwinkeln und einer stets gerunzelten Stirn. Manchmal sieht er damit aus wie ein strenger Vater, dessen Geduld eigentlich schon vor fünf Minuten restlos aufgebraucht war. Manchmal wirkt er aber auch wie ein Arzt, der Angehörigen die schlimmste aller Nachrichten beibringen muss.

Michael Müllers Gesicht bei seiner Regierungserklärung am Donnerstag ist das, was Berlin jetzt braucht.

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"Wir werden um jedes Leben kämpfen"

Ausgerechnet die "Stadt der Freiheit", wie der Regierende Berlin nennt, die für ihre zum Teil ausartende Lebensfreude weltberühmt ist, braucht jetzt einen, dem man restlos abnimmt, dass der Spaß vorbei ist, dass es jetzt hart wird, für alle. Der ausgerechnet in Berlin Sätze sagen kann wie diesen: "Diesmal ist jeder von uns aufgerufen, eine unsichtbare Mauer um sich selbst zu ziehen."

Müller klingt nicht heroisch, wenn er in seiner Regierungserklärung sagt: "Wir werden um jedes Leben kämpfen". Er klingt ehrlich verzweifelt. Der Regierende kennt die Prognosen der Experten von Charité und Robert-Koch-Institut, er weiß, wie schlimm es werden kann. Experten, die ihm Krisenpläne vorlegen in denen steht, dass die Intensivbetten mit Beatmungsgeräten wohl nicht reichen werden. Weswegen es nun ausgerechnet an dem ohnehin unbeliebten Müller und seinem viel kritisierten Senat ist, der boomenden Berliner Wirtschaft mit drakonischen Maßnahmen den Boden unter den Füßen wegzuziehen, ihre einzigartige Kunst- und Gastronomieszene zum Erliegen zu bringen.

Die Opposition hat vor allem: Forderungen

Dass er all das nicht tut, ohne die Folgen zu kennen, weiß Müller und sagt es auch: Soziale Isolation und Vereinsamung, häusliche Gewalt, Arbeitslosigkeit und eine egoistischere Gesellschaft drohen als Langzeitschaden der Anti-Corona-Maßnahmen. "Niemand macht es sich einfach", sagt der SPD-Politiker.  

Die Opposition in Berlin muss derweil noch unter Beweis stellen, dass auch sie den Ernst der Lage begriffen hat. CDU-Fraktionschef Burkard Dregger etwa nutzt seine Gegenrede im Parlament, um sich am Vorkaufsrecht und der rot-rot-grünen Mietenpolitik abzuarbeiten - ein denkbar ungünstiger Zeitpunkt. Seine Liste an "22 Vorschlägen für 22 Bereiche, in denen es nicht gut läuft" sind zum Teil möglicherweise sinnvoll. Allerdings trägt Dregger sie vor wie ein Mann, der neben einem brennenden Haus steht und den Feuerwehrleuten erklärt, wie sie es besser löschen würden.

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Unpassende Vergleiche und Krisen-Nationalismus

FDP-Fraktionschef Sebastian Czaja wiederum könnte noch seine Aussage bereuen, die Wirtschaft stehe "wenige Wochen davor, der nächste Beatmungspatient in unserem Land zu werden". Denn bis es soweit ist, werden noch ganz reale Menschen an den Beatmungsgeräten hängen – und einige von ihnen sterben. Zudem ist die Forderung, alles müsse schneller und effektiver laufen, von der relativen Bequemlichkeit der Oppositionsbank leicht gestellt.

Georg Pazderski von der AfD räumt sogar ein, dass es "nicht immer leicht ist, zwischen dem Schutz der Berliner, den Einschränkungen der Freiheit und der Verhinderung wirtschaftlicher Schäden den richtigen Kurs zu halten". Dann aber geht dem Ex-Offizier selbst die vernünftige Orientierung verloren, weil er gegen die vermeintliche "Abschaffung der Abiprüfungen" (die niemand gefordert hat) wettert, sich über Tempo-30-Pläne von "linken Lobbyisten" ärgert und die Debatte über eine temporäre Schließung des Flughafens Tegel als "Missbrauch" der Coronakrise bezeichnet. Einen völligen Blindflug legt Pazderski schließlich hin, als er behauptet, "national unterschiedliche Entwicklungen können nur von Nationen gelöst werden. Die EU ist dazu nicht fähig", so Pazderski. International vernetzte Corona-Labore und europäische Wissenschaftler, die gemeinsam das Virus bekämpfen, strafen ihn Lügen.

Dass die EU zudem Milliardenhilfen in Aussicht gestellt und zum Beispiel die Zulassung von Medikamenten vereinfacht hat, ignoriert der AfD-Politiker. Genauso wie den Fakt, dass es die EU-Mitglieder waren, die Brüssel nie Mitspracherecht bei den nationalen Gesundheitspolitiken eingeräumt haben: Den Vorteil einer zentralisierten Krisenreaktion erlebt man aber ausgerechnet jetzt in Berlin, wo die Charité im Kampf gegen das Coronavirus die gesamte Berliner Krankenhauslandschaft steuert – und niemand auf die Idee käme, das falsch zu finden.

"Wir hören auf die Schlauen, nicht auf die Schlaumeier"

Michael Müller begegnet der Kritik derzeit - zumindest öffentlich - mit seiner stoischen Krisenmimik. Ob es auch das Gesicht sein sollte, mit dem Berlin nach der Corona-Krise den Neuanfang wagt, kann man bezweifeln. Vielleicht braucht es dann jemanden, der mehr Optimismus versprüht, mehr Begeisterung, mehr von diesem Berliner Größenwahn.

Aber soweit ist Berlin noch nicht. Und so ist es gut, dass es Michael Müller ist, der glaubhaft vom "Berliner Trotz" im Angesicht der Krise spricht. Und der sagt: "Wir hören auf die Schlauen, nicht auf die Schlaumeier."

Beitrag von Sebastian Schöbel

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