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Audio: Inforadio | 26.03.2020 | Kirsten Buchmann | Quelle: dpa/Britta Pedersen

Regierungserklärung im Abgeordnetenhaus Berlin

"Wir leben in einer Ausnahmesituation"

In seiner Regierungserklärung im Abgeordnetenhaus erinnert Berlins Regierender Bürgermeister Müller an andere Krisen, die die Stadt schon gemeistert hat - und dankt allen Beteiligten: "Wir werden um jedes Leben kämpfen". Man sei aber nicht im Krieg.

In seiner Regierungserklärung zur Corona-Krise hat Berlins Regierender Bürgermeister Michael Müller (SPD) am Donnerstagvormittag auf Krisen wie die Blockade der Stadt oder auch den Mauerbau verwiesen, die Berlin "in seiner wechselvollen Geschichte" schon gemeistert hat. Dabei hätten die Berliner stets bewiesen, was Zusammenhalt bedeutet.

Es werde jetzt zwar keine Mauer gebaut - nun sei aber jeder aufgerufen, eine unsichtbare Mauer um sich selbst zu ziehen. Es gehe, wie auch beim Breitscheidplatz-Anschlag 2016, durchaus um Leben und Tod, betonte Müller. Man werde aber "um jedes Leben kämpfen". Er wisse, wie bitter es sei, dass man jetzt nicht zusammenrücken könne, um sich in den Arm zu nehmen: "Corona verbietet es uns." Doch das hätten die meisten Bürger jetzt verstanden. Die Uneinsichtigen seien die Ausnahme.

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"Es ist kein Kriegszustand"

Diese Zeit werde "uns noch lange wirtschaftlich und gesellschaftlich" beschäftigen, so Müller weiter. "Doch wir leben in keinem Kriegs- oder Nachkriegszustand", sagte der Regierende. Haltung, Respekt und Zuversicht seien gefragt – und keine "Kriegsrhetorik".

Niemand wisse derzeit, wie lange das gewohnte Leben noch eingeschränkt sei. Was heute richtig sei, könne sich morgen auch schon als falsch erweisen. Man müsse auch etwaige Irrtümer zugeben können und "den Mut aufbringen zu prüfen, ob unsere Maßnahmen Wirkungen zeigen, bevor wir neue beschließen."

Müller bedankte sich bei allen Abgeordneten, auch der Opposition, für die konstruktive Zusammenarbeit sowie dem Virologen Professor Christian Drosten von der Charité und seinem Team sowie dem Robert-Koch-Institut. "Diese Expertise ist für uns extrem wichtig."

Dankende Worte fand der Regierende auch für die Bundeswehr und Projektleiter Albrecht Broemme für die Zusammenarbeit beim neuen Corona-Krankenhaus. "Die beste Nachricht wird sein, wenn wir diese Betten nicht brauchen. Aber es ist gut, vorbereitet zu sein."

Generelle Ausgangssperren weiter "allerletztes" Mittel

In seiner Rede appellierte Müller auch an die Moral der Bürger. "Wer in Krankenhäusern Desinfektionsmittel entwendet oder zu Partys einlädt, gefährdet Menschenleben", so Müller. Auch solle nur eingekauft werden, was tatsächlich gebraucht würde. Die Versorgung sei gewährleistet. "Wir werden gestärkt aus der Krise hervorgehen", sagte Müller abschließend. Man werde sich vieles zurückerobern und Liegengebliebenes abarbeiten müssen. "Wir werden wieder unser Berlin leben" danach, sagte Müller. Dafür lohne es sich jetzt, gemeinsam zu kämpfen. 

Eine generelle Ausgangssperre hält Berlins Regierender weiterhin für das "allerletzte Mittel", das er vermeiden wolle, weil dann "schwere psychische Folgen" möglich seien. 

Es gebe für Ältere ein höheres Risiko, an diesem Virus schwer krank zu werden. "Bitte nehmen Sie ernst, wenn wir Ältere warnen." Müller sagte zu, die Kältehilfe für Obdachlose zu verlängern. Er bat die Berliner auch, Mitglied in ihren Sportvereinen zu bleiben. "Der Sport kann uns nach der Krise schnell wieder zusammenführen."

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Corona ist größer als Parteigezänk und Spielchen

CDU-Fraktionschef Burkhard Dregger sagte, nach seinem Dank für alle Helfer, Berlins Regierendem weitere Unterstützung zu. Die Maßnahmen des Senats seien allerdings "zögerlich" gekommen, kritisierte er. Doch Berlin stehe nun zusammen. "Wir lassen niemanden zurück." Er forderte Müller auf, finanzielle Ressourcen gezielt einzusetzen. Für "Klientelpolitik" dürfe jetzt kein Geld mehr ausgegeben werden. 

Carola Bluhm (Linke) sagte, es sei richtig, die Schuldenbremse in dieser Zeit auszusetzen. Sie verwies auch auf die unterschiedliche soziale Situation der betroffenen Berliner. "Es macht einen großen Unterschied, ob ich mich in einem Haus mit Garten in Isolation begebe oder in einer zu kleinen Wohnung ohne Balkon in einem Hochhaus."

Dass man derzeit mit Maßnahmen lebe, die man sich noch vor kurzem nicht hätte vorstellen können, sagte Sebastian Czaja (FDP). "Die Freiheitseinschränkungen dürfen nicht länger als unbedingt möglich bestehen bleiben. Im Moment sind sie richtig, auf Dauer unerträglich." Neben dem Virus sei der größte Feind die Ungewissheit. Georg Pazderski (AfD) sagte, die Lage sei ein Stresstest für die Demokratie. 

Grünen-Fraktionschefin Silke Gebel appellierte, man müsse die "paar Wochen Vorsprung", die Deutschland habe, nutzen. Die Welle der Solidarität, die in Berlin zu spüren sei, mache ihr aber Hoffnung. Corona sei größer als Parteigezänk und politische Spielchen.

Verdi sieht jetzt Arbeitsleben beeinträchtigt

Die Verdi-Landesbezirksleitung begrüßte in einer Pressemeldung die schon jetzt beschlossenen und vom Regierenden Bürgermeister in seiner Rede erwähnten Stützungsmaßnahmen für die Wirtschaft und auch die Solo-Selbstständigen.

Frank Wolf, Leiter von Verdi Berlin-Brandenburg sagte, man sähe bereits jetzt "dass die Krise das Wirtschafts- und Arbeitsleben in unserer Region nachhaltig beeinträchtigen und auch schädigen wird". "Wir gehen aber davon aus, dass, so wie es Michael Müller angeboten hat, noch nachgesteuert werden muss und kann."

Wichtig sei hierbei die Erhöhung des Kurzarbeitergeldes. Dieses reiche in der jetzigen Höhe nicht aus und bringe viele Beschäftigte in eine unverschuldete Notlage, sagte Wolfs Vertreterin Andrea Kühnemann. Aber auch auf die Beschäftigten im öffentlichen Dienst müsse man ein Augenmerk haben. "Es darf nicht passieren, dass systemrelevante Bereiche wie Gesundheits- oder Meldeämter aber auch Kitas und Feuerwehr durch massenhafte Infektionen ausfallen", so Kühnemann. 

Aktuelle Stunde entfiel

Die Aktuelle Stunde, mit der die Sitzung üblicherweise beginnt, entfiel zuvor. Müller hatte seine Rede mit dem Titel "Die Corona-Krise gemeinsam meistern - solidarisch, konsequent, unbürokratisch" überschrieben. 

Die Regierungserklärung war ursprünglich schon für Donnerstag der vergangenen Woche geplant. Müller konnte sie nicht halten, weil die Plenarsitzung abgesagt wurde. Der Grund war, dass zahlreiche Abgeordnete, darunter auch Müller selbst, Kontakt zu dem positiv getesteten israelischen Botschafter Jeremy Issacharoff hatten. Kurz darauf gab es Entwarnung, nachdem sich herausgestellt hatte, dass der Diplomat zum Zeitpunkt des Treffens noch nicht angesteckt war. 

In dieser Woche wurde bekannt, dass zwei Abgeordnete mit Sars-CoV-2 infiziert sind, je einer der SPD und der AfD.

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