rbb24
  1. rbb|24
  2. Politik
Quelle: dpa/Julian Stratenschulte

Lockdown und Kinderbetreuung

Berliner Eltern hadern mit Corona-Lockerungen

In den kommenden Wochen will der Berliner Senat die Kinderbetreuung wieder ausweiten. Allerdings bleibt die Lage für viele Eltern schwierig. Neben finanziellen Sorgen befürchten viele, sich mit dem Virus anzustecken. Von Roberto Jurkschat  

Für Marion Kramp könnte sich der Ausnahmezustand in der eigenen Wohnung ab dem nächsten Montag etwas entschärfen: Die 34-jährige Simultandolmetscherin für Gehörlose lebt mit ihrem Mann und den beiden Söhnen in Berlin-Charlottenburg, "auf kleinem Raum" wie sie sagt, in einer Wohnung mit zwei Zimmern. 

Seit mehr als fünf Wochen verzichten die Kramps wegen der Corona-Krise auf die Kinderbetreuung, aber weil ihr Mann in einer Werkstatt für Menschen mit Behinderung arbeitet, greift für die Familie die Ein-Elternteilregelung für systemrelevante Berufsgruppen. Damit steht der Familie in der Evangelischen Luisenkita am Charlottenburger Gierkeplatz Notfallbetreuung für ihre beiden Söhne zu, die jetzt drei und fünf Jahre alt sind. Zweimal pro Woche wollen die Kramps diese Notfallbetreuung ab dem 20. April in Anspruch nehmen. "Es muss nicht direkt ein Vollzeitangebot sein, aber für unsere Nerven wäre es schon eine riesen Erleichterung, wenn wir zumindest mal ab und zu ein bisschen mehr Ruhe hätten", sagt die Berlinerin im Gespräch mit rbb|24.

Mehr zum Thema

Erste Lockerungen beschlossen

Senat verlängert Ausgangsbeschränkungen um eine Woche

  

"Wir wissen nicht, wie lange wir noch aushalten müssen"

Dass die Kramps auf so kleinem Raum leben, sei einerseits natürlich eine "große Belastung", denn das Dolmetschen per Videoschalte aus dem Homeoffice sei mit zwei Kindern kaum mehr möglich. Andererseits spricht Marion Kramp von einem "Glücksfall", dass die Familie noch in dieser Wohnung lebt. "Vor Corona waren wir auf der Suche nach einer größeren Wohnung, die würden wir uns jetzt vielleicht gar nicht mehr leisten könnten", sagt Kramp. Denn während ihr Ehemann noch Vollzeit in der Werkstatt arbeiten könne, sei die Lage für sie deutlich schwieriger geworden. "Bei der Gehörlosen-Hilfe in Schulen und im Arbeitsbereich ist an Aufträgen fast alles weggebrochen, und wir wissen nicht, wie lange wir die Situation noch aushalten müssen." 

Für kleine Betriebe und Selbständige hatte die Berliner Senatsverwaltung über die Investitionsbank IBB bereits mehr als eine Milliarde Euro an Finanzhilfen ausgezahlt. Doch um an solche Fördermittel zu kommen, müssen laufende Betriebskosten nachgewiesen werden. "Das traf bei mir so nicht zu, deshalb habe ich keine Hilfsmittel beantragt", sagt Kramp. Für sie stehe nur Arbeitslosengeld zur Verfügung. Für Angestellte, die zu Hause auf ihre Kinder aufpassen, gelten andere Regeln: das neue Infektionsschutzgesetz der Bundesregierung sieht Entschädigungen von 67 Prozent des Nettogehalts vor für alle die ein Kind unter zwölf Jahren zu Hause betreuen - allerdings gibt es diese Hilfen nur sechs Wochen lang. 

Bisher nutzen 8.000 bis 9.000 Kinder die Notbetreuung

Nach fünf Wochen Corona-Beschränkungen kommt in Berlin nun wieder einiges in Bewegung. Am Donnerstag hatte der Senat beschlossen, einige Corona-Regeln zu lockern, kleinere Geschäfte mit einer Verkaufsfläche von bis zu 800 Quadratmetern sollen dann wieder öffnen können. Bildungssenatorin Sandra Scheeres (SPD) bekräftigte, dass auch der Unterricht an Schulen schrittweise wieder beginnen soll, Abiturprüfungen werden geschrieben, Zehntklässler sollen auch unterrichtet werden. Weil mit den Lockerungen wieder mehr Eltern ihre Wohnungen verlassen müssen, weitet Berlin ab dem 27. April auch die Notbetreuung der Kitas aus. 

Von den rund 170.000 Kitakindern in Berlin hatten laut Familiensenatsverwaltung bisher etwa  20.000 Kinder einen Anspruch auf Betreuung, also etwa zwölf Prozent. Tatsächlich sind etwa 8.000 bis 9.000 Kinder in der Notbetreuung, jedoch nicht alle jeden Tag.

Mehr zum Thema

Geschäfte und Schulen öffnen wieder

Berlin und Brandenburg koordinieren Lockerung der Lockdowns

  

Senat baut Notfallbetreuung in Berliner Kitas aus

Voraussetzung für einen Betreuungsplatz ist bisher, dass beide Eltern Berufsgruppen angehören, die die Verwaltung als systemrelevant einstuft [berlin.de]. In einigen Fällen genügt es auch, dass ein Elternteil in einem solchen Bereich tätig ist. Bislang galt das etwa für Ärzte, Altenpfleger, Psychologen, Busfahrer, Polizisten oder Feuerwehrmitarbeiter. Genau das will die Verwaltung jetzt ändern. 

"Die Berufsgruppen, die unter die Ein-Elternregelung fallen, sollen ab dem 27. April auf alle systemrelevanten Berufe erweitert werden", sagt die Sprecherin der Bildungsverwaltung, Iris Brennberger rbb|24 am Freitag. Dazu gehören etwa Lehrer, Erzieher, Journalisten, Gebäudereiniger oder Mitarbeiter im Groß- und Einzelhandel. 

Dasselbe gilt für Alleinerziehende in "herausfordernder Situationen". Sie dürfen ihre Kinder unabhängig von einem systemrelevanten Beruf in die Kita geben. "Als besonders schwierig kann etwa gelten, dass erwerbstätige Alleinerziehende nicht arbeiten können, weil sie keine andere Kinderbetreuung organisieren können", erklärte Brennberger. Ebenso soll das Angebot für Auszubildende gelten, die keine anderen Betreuungsmöglichkeiten haben. Der Regelbetrieb in den Kitas wird in Berlin für August angestrebt. Kinder im Vorschulalter gehören auch zu denen, die noch vor August zurück in die Kitas sollen - wann genau, steht noch nicht fest.

Eltern wünschen sich Flexibilität bei den Lockerungen

Laut einer Befragung, die der Landeselternausschuss Kita (LEAK Berlin) unter Berliner Eltern durchführt, bereitet die Pandemie aber vielen noch so große Sorgen, dass sie im Moment lieber auf ein Betreuungsangebot verzichten wollen. "Die eine Hälfte fordert, dass ihre Kinder so schnell wie möglich wieder in die Kita dürfen, die andere Hälfte findet den Zeitpunkt zu früh und macht sich Sorgen, dass eine mögliche Corona-Infektion für Familienmitglieder gefährlich werden könnte", sagte LEAK-Vorsitzende Corinna Balkow rbb|24.

"Für viele wäre es eine große Hilfe, Geld zu bekommen, für andere wären flexible Angebote wichtig, damit wieder Möglichkeiten zur Freizeitgestaltung geschaffen werden." Viele Berliner Eltern würden sich etwa für eine Öffnung von Spielplätzen aussprechen. Bei anderen wiederum herrsche große Verunsicherung, weil sie nicht wissen, wie schwer sich eine Corona-Infektion bei ihren Kindern oder Angehörigen entwickeln könne.

Entwarnung erst, wenn es einen Impfstoff gibt

Die Sorge treibt auch Filmproduzentin Meike Martens aus Schöneberg um. Ihre vierjährige Tochter Holly wolle sie vorerst nicht in die Kinderbetreuung geben. Davon hätten ihr auch Mediziner abgeraten. "Unsere Tochter hat Trisomie 21 und wurde noch im März wegen einer Bronchitis behandelt, zwei Ärzte haben uns gesagt, dass unsere Tochter gefährdet ist", sagt die Berlinerin. Was ihr in der jetzigen Debatte um Lockerungen zu kurz komme, sei, dass nicht nur ältere Männer zur Covid-Risikogruppe zählen. "Es gibt andere Menschen, die gefährdet sind, die in der öffentlichen Wahrnehmung aber unter den Tisch fallen."

Martens fordert, dass der Senat Berlinern ein Angebot macht, die trotz Lockerungen weiter mit Einschränkungen leben müssen. "Im Moment können wir diesen Zustand noch aushalten, aber je länger die Unsicherheit anhält, desto schwerer wird es", sagt die Filmproduzentin. "Einem Kind kann man kaum vermitteln, dass es seine Freunde so lange nicht sehen darf. Und wir befürchten, dass die Kita für uns erst wieder in ein bis zwei Jahren infrage kommt, nämlich dann wenn es einen Impfstoff gibt."

"Es wird noch bittere Tränen geben"

"Was das richtige für eine Familie ist, hängt sehr stark vom Einzelfall ab, deswegen muss der Senat sich bei der Suche nach Lösungen auch flexibel zeigen", sagt der Vorsitzende des Verbands der kleinen und mittleren Kitaträger Berlins, Lars Békési gegenüber rbb|24. Er könne sich den Weg in den Regelbetrieb über ein Teilzeitmodell vorstellen, in dem feste Kindergruppen abwechselnd jeweils an zwei Tagen pro Woche in die Kita kommen.

Vorher müsse die Senatsverwaltung allerdings für eine entsprechende Hygieneausrüstung sorgen, die derzeit überall Mangelware ist. "Einzelne Kitas haben auf dem Markt derzeit keine Chance, so etwas wie Desinfektionsmittel oder Atemmasken auf Vorrat zu beschaffen", so Békési.

Der Verbandsvorsitzende rechnet nicht damit, dass in Berlin vor Ende des Sommers mehr als 50.000 Kinder zurück in den Kitas sind. "Es geht nicht so schnell, es wird sehr bittere Tränen geben", sagt Békési. Mehr als zwei Drittel aller Kinder müssten demnach bis zu Beginn des neuen Kitajahres Anfang August noch zu Hause bleiben. "Das Wichtigste ist deshalb, dass die Verwaltung bei den Eltern keine übertrieben Hoffnungen weckt und allen Betroffenen reinen Wein einschenkt."

Beitrag von Roberto Jurkschat

Artikel im mobilen Angebot lesen