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Quelle: Audio: Inforadio | 16.04.2020 | Amelie Ernst

Geschäfte und Schulen öffnen wieder

Berlin und Brandenburg koordinieren Lockerung der Lockdowns

Sehr langsam und behutsam sollen die Maßnahmen zur Eindämmung der Corona-Pandemie zurückgefahren werden. Darauf haben sich Bund und Länder geeinigt. Berlin und Brandenburg wollen sich dabei eng abstimmen. Aus der Wirtschaft kommt erste Kritik.

Nach der Einigung von Bund und Ländern auf eine schrittweise Lockerung der Anti-Corona-Maßnahmen beraten am Donnerstag Berlin und Brandenburg jeweils über die Umsetzung. Im Mittelpunkt stehen die schrittweise Wiedereröffnung von Geschäften mit einer Verkaufsfläche bis zu 800 Quadratmetern und die teilweise Wiederaufnahme des Schulbetriebs ab dem 4. Mai.

Trotz erster Lockerungen haben der Regierende Bürgermeister von Berlin, Michael Müller, und der Brandenburger Ministerpräsident Dietmar Woidke (beide SPD) vor zu schnellen Aufhebungen der Maßnahmen gewarnt. "Wenn wir riskieren, dass durch die Lockerung wieder große Infektionswellen auf uns zukommen", sagte Müller, "war alles, was wir bisher gemacht haben, sinnlos." Woidke stimmte zu: "Wir sind nach wie vor weit von Normalität entfernt."

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SPD und Grüne in Brandenburg nicht einig

Zur geplanten Wiederaufnahme des Schulbetriebs sagte Woidke dem rbb, hier müssten hohe Hygienestandards erfüllt werden. Es sollten zunächst nur die Schülerinnen und Schüler wieder zum Unterricht kommen, die kurz vor einem Wechsel in eine andere Schulform stehen oder die Schule bald beenden werden, so Woidke in Brandenburg aktuell. Eine Öffnung der Kitas halte er dagegen für nicht verantwortbar.

Die Brandenburger Gesundheitsministerin Ursula Nonnemacher (Grüne) erklärte allerdings, aus ihrer Sicht hätten die Lockerungen "an manchen Stellen etwas mutiger hätten ausfallen können". Im Gesundheitssystem sei man "nicht im Entferntesten an irgendeiner Kapazitätsgrenze". Die Zahl der intensivmedizinischen Betten werde sogar noch weiter erhöht.

Die Landesregierung in Potsdam wird am Donnerstag die konkrete Umsetzung besprechen. Grundlage sei der Beschluss von Bund und Ländern, so Innenminister Michael Stübgen. Er deutete jedoch an, dass Brandenburg auch "in einzelnen Bereichen anders vorangehen" könne. In jedem Fall aber werde man sich eng mit Berlin abstimmen, sagte der CDU-Politiker.

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Berlin reagiert abwartend

Auch der rot-rot-grüne Berliner Senat berät am Donnerstag über eine Verlängerung der Beschränkungen wegen der Corona-Pandemie sowie über mögliche Lockerungen. Bei dem Treffen werde zu entscheiden sein, "wie und wo wir Bereiche der Stadt wieder hochfahren können und wo wir noch warten müssen - zum Schutz der Menschen", sagte Müller. "Die Gesundheit der Berlinerinnen und Berliner steht für mich bei diesen Entscheidungen im Vordergrund" betonte er.

Die Leitlinien für das weitere Vorgehen hatten Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) und die Länderchefs am Mittwoch bei einer Schaltkonferenz beschlossen. Sie verständigten sich darauf, die geltenden Kontaktverbote bis mindestens 3. Mai beizubehalten. Private Reisen bleiben ebenso untersagt wie Großveranstaltungen und Gottesdienste. Clubs, Kneipen und Restaurants bleiben dicht.

Die Abiturprüfungen in Berlin sollen dagegen wie geplant in der kommenden Woche beginnen, bestätigte Bildungssenatorin Sandra Scheeres (SPD) am Donnerstagmorgen dem rbb. Am 27. April werde außerdem der Unterricht für die 10. Klassen beginnen, damit sie ausreichend Zeit hätten, sich auf den Mittleren Schulabschluss (MSA) vorzubereiten, sagte die Senatorin im rbb-Inforadio. Scheeres kündigte an, dass die MSA-Prüfung im Fach Deutsch auf Anfang Juni verschoben werden solle.

Berliner Opposition lobt Entscheidung

Der Oppositionsführer im Berliner Abgeordnetenhaus, CDU-Fraktionschef Burkard Dregger, lobte die Kanzlerin und die Ministerpräsidenten der Länder – sie seien ihrer Verantwortung gerecht geworden. Dennoch beunruhige ihn die Situation der Berliner Wirtschaft. "Wir haben über fünfzig Prozent der Unternehmen, die lahmgelegt sind. Dreißig Prozent haben erklärt, dass sie insolvenzgefährdet sind." Dregger forderte den Senat auf, der Wirtschaft "eine Perspektive" zu schaffen.

Auch FDP-Fraktionschef Sebastian Czaja forderte, das politische Ziel müsse die Rückkehr zur Normalität sein. Der jetzt vereinbarte Fahrplan sei ein Stück in die richtige Richtung. Viele der Entscheidungen seien aber zu zögerlich und diffus. Ähnliche Maßstäbe wie für die Belebung der Innenstädte müssten auch im Gastronomie- und Hotellerie-Bereich angewendet werden. Auch Czaja sagte, das Tragen von Gesichtsmasken könne sinnvoll sein.

IHK unzufrieden

Die Brandenburger CDU-Bundestags- und Landtagsabgeordnete Saskia Ludwig hält die
geplanten Lockerungen nicht für ausreichend. "Die Öffnung geht definitiv zu langsam", sagte die frühere CDU-Landeschefin der Deutschen Presse-Agentur. "Ich hätte erwartet, dass wenigstens am Montag die Kontakt- und Reisebeschränkungen aufgehoben werden." Die Brandenburger hätten es verstanden, auf Hygiene und Abstand zu achten. Ludwig forderte, dass ab 20. April alle Unternehmen wieder wirtschaften können.

Die Industrie- und Handelskammer (IHK) Potsdam warnte ebenfalls vor zu langen Beschränkungen für die Wirtschaft. Es "muss darauf geachtet werden, dass derzeit tausende Existenzen unverschuldet auf dem Spiel stehen", sagte IHK-Präsident Peter Heydenbluth laut einer Mitteilung. Nötig seien verantwortungsvolle Pläne zum Wiederanfahren von Schulen, Wirtschaft und gesellschaftlichem Leben. Er forderte auch gleiche Regeln in Berlin und Brandenburg.

Der Beschluss von Bund und Ländern stößt auch beim Berliner Handel auf Kritik. "Geschäfte werden nach Kriterien geöffnet, die nicht unseren Anforderungen genügen", sagte der Hauptgeschäftsführer des Handelsverbands Berlin-Brandenburg, Nils-Busch Petersen. Der Verband habe stets gefordert, dass Entscheidungen sachlich begründet, transparent und nicht diskriminierend sein müssten. "Das ist nicht passiert", sagte Busch-Petersen.

Gastronomie bangt, Kfz-Gewerbe atmet auf

Besonders betroffen bleibt weiterhin die Gastronomie. Restaurants, Kneipen und Diskotheken müssen ebenfalls weiterhin geschlossen bleiben. Der Hauptgeschäftsführer des Berliner Branchen-Landesverbands Dehoga, Thomas Lengfelder, bezeichnete die Fortdauer der Schließungen als "Katastrophe". "Viele Betriebe stehen schon jetzt mit dem Rücken an der Wand." Die Soforthilfen von Bund und Ländern seien nur ein Tropfen auf den heißen Stein. "Viele Betriebe sind von der Insolvenz bedroht und damit natürlich auch sehr viele Arbeitsplätze."

Das Kraftfahrzeuggewerbe in Berlin und Brandenburg sieht die geplante Öffnung der Geschäfte in Stufen dagegen vorsichtig optimistisch. "Das Wichtigste ist, dass die Autohäuser wieder arbeiten können", sagte der Präsident des Landesverbandes des Kfz-Gewerbes Berlin-Brandenburg, Hans-Peter Lange, der dpa. Man müsse erst einmal sehen, wie die Kunden nach den vergangenen Wochen der Beschränkungen reagierten. Lange beschrieb die Lage im Kfz-Gewerbe als prekär.

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