rbb24
  1. rbb|24
  2. Politik
Video: Abendschau | 12.10.2020 | Deutschmann/Wendling | Gespräch mit Burkhard Kieker | Quelle: imago images

IHK Berlin übt scharfe Kritik

"Beherbergungsverbote sind für Betriebe eine Katastrophe"

Die Kritik an den Beherbergungsverboten reißt nicht ab. Die Chefin der Berliner IHK warnt im rbb vor weiteren massiven wirtschaftlichen Folgen, auch durch die Sperrstunde. Der Regierende Bürgermeister will das Beherbergungsverbot auf den Prüfstand stellen.

Die Berliner Industrie- und Handelskammer (IHK) übt scharfe Kritik sowohl an der Sperrstunde in der Hauptstadt als auch an Beherbergungsverboten während der Herbstferien. IHK-Präsidentin Beatrice Kramm sagte am Montagmorgen im Inforadio des rbb, beide Regelungen seien nicht zielführend und fügten der Berliner Wirtschaft noch stärkere Schäden zu.

Mehr zum Thema

Erste Bilanz aus der Nacht

Berliner Polizei musste Sperrstunde mehrmals durchsetzen

Die meisten Gastronomen und Bars in Berlin hätten sich viele Gedanken gemacht und Hygienekonzepte erstellt. "Da fragt man sich natürlich schon, warum jetzt alle von der Sperrstunde betroffen sind, obwohl sich so viele von ihnen wahnsinnig viel Mühe gegeben haben und sich an alles gehalten haben, was von ihnen verlangt wurde. Und wir wissen auch alle: Partys lassen sich überall feiern", sagte Kramm. Die verhängte Sperrstunde in Berlin sei letztlich nicht zielführend.

Dass der Senat Hilfen für diese Betriebe angeboten habe, sei gut, aber: "Der Senat muss genau hinschauen, wo diese Hilfen erforderlich sind. Hilfen per Gießkanne sind nicht unser Ziel", so die IHK-Präsidentin. Den Gastwirten müsse mit konkreten Maßnahmen geholfen werden, beispielsweise mit Miethilfen.

Mehr zum Thema

Entscheidung erst nächste Woche

Berliner Bars wollen Sperrstunde mit Eilantrag kippen

IHK-Chefin warnt vor Stigmatisierung

Auch die von den meisten Bundesländern verhängten Beherbergungsverbote lehnte Kramm entschieden ab: "Das ist für die Betriebe eine Katastrophe. Im Sommer war ein bisschen Erholung möglich, zuvor lagen die Stornierungen bei über 80 Prozent. Die Tourismusbranche hat auf die Herbstferien gehofft, und jetzt gibt es mehr Stornierungen als Neubuchungen. Das ist auch eine Katastrophe für viele andere, zum Beispiel für Dienstleistungsunternehmen, Busunternehmen, Museen und andere Attraktionen", so die Berliner IHK-Präsidentin. Hinzu komme: Beherbergungsverbote führten zur Stigmatisierung von Berlinerinnen und Berlinern.

"Klar ist natürlich: Der Gesundheitsschutz und die Eindämmung der Infektionszahlen haben immer Priorität, aber Verordnungen allein reichen nicht. Man muss sich auch andere Wege ausdenken", so Kramm weiter. Sie forderte eine Politik der kleinen und behutsamen Schritte.

Mehr zum Thema

Beherbergungsverbot

Berliner brauchen für Urlaub in Brandenburg jetzt negativen Corona-Test

Laut Dehoga verheerende Lage in Brandenburg

Auch aus Brandenburg kommt deutliche Kritik. Der Präsident des dortigen Hotel- und Gaststättenverbands (Dehoga), Olaf Schöpe, sprach am Montag im rbb von einer "Katastrophe für unsere Hoteliers". Sie müssten nun mit "enormen Stornoquoten" rechnen, und das zu Beginn der Herbstferien, in die große Hoffnungen gesetzt worden seien.

Schöpe leitet selbst ein Hotel in Peitz (Spree-Neiße). Im Sommer habe er "volle Bücher" gehabt, auch der Oktober sei bei ihm gut gebucht gewesen. "Die vollen Bücher haben sich inzwischen dramatisch geleert, meine Storno-Quote liegt bei 60 Prozent", so Schöpe. So wie ihm gehe es der gesamten Hotellerie in Brandenburg. Laut einer Erhebung aus dem September seien zwei Drittel der Brandenburger Tourismusbetriebe in Existenznöten. "Jetzt müssen wir hier mit einer Pleitewelle rechnen.", so der Dehoga-Präsident. Und weiter: "Ich wünsche mir mehr Weitblick seitens derer, die Beschlüsse fassen."

Dehoga erwägt juristische Schritte

Lücke kündigte an, juristische Schritte gegen das Beherbergungsverbot zu prüfen. "Wir werden prüfen (...), dass wir eine einstweilige Verfügung für Brandenburg ansetzen gegen das Beherbergungsverbot", sagte er der Deutschen Presse-Agentur. Es sei nicht sinnvoll, wenn Gäste tagsüber eine Hochzeitsfeier feiern könnten, aber nicht übernachten dürften, wo sie niemanden ansteckten.

In Brandenburg gilt seit Freitag ein Beherbergungsverbot für Touristen aus Berlin und anderen Corona-Hotspots in Deutschland. Tabu sind Übernachtungen in Hotels, Pensionen, Ferienwohnungen oder auf Campingplätzen.

Mehr zum Thema

Verdacht unbegründet

Anonymer Hinweisgeber meldet Ferienhaus-Bewohner der Polizei

Brandenburger Regierung verteidigt Regelung

Auch in der Brandenburger Politik wird über das Für und Wider des Beherbergungsverbots diskutiert. SPD-Landtagsfraktionschef Erik Stohn äußerte Zweifel am Übernachtungsverbot der eigenen Koalition für Gäste aus deutschen Corona-Hotspots. "Wenn die Infektionen vor allem bei privaten Feiern entstehen oder durch Ausbrüche in Krankenhäusern, dann sollten Besuchsregeln in den Einrichtungen wirksamer sein als ein Übernachtungsverbot für urlaubende Familien", sagte Stohn am Montag in Potsdam laut Mitteilung. Ein abgesagter Urlaub senke auf dem Land nicht die Zahl der Infektionen im privaten Umfeld. "Wir sollten die Maßnahmen deswegen den aktuellen Entwicklungen anpassen und das Beherbergungsverbot überprüfen."

Die rot-schwarz-grüne Brandenburger Landesregierung verteidigte das Übernachtungsverbot jedoch gegen wachsende Kritik. "Wir verstehen, dass das Beherbergungsverbot für viele eine enorme Belastung darstellt", sagte Vize-Regierungssprecher Simon Zunk auf Anfrage. "Angesichts der rasant steigenden Zahlen von Neuinfektionen gilt es aber, alles zu tun, um die Verbreitung einzudämmen."

Das Verbot für Gäste aus Gebieten mit mehr als 50 Neuinfektionen je 100.000 Einwohner in den vergangenen sieben Tagen gebe es in Brandenburg seit Juni. Es sei zwischen den Ländern damals so vereinbart worden.

Mehr zum Thema

"Das macht alles keinen Sinn"

Müller kritisiert Beherbergungsverbote

Auch Müller sieht Beherbergungsverbot kritisch

Der Berliner Regierende Bürgermeister Michael Müller (SPD) kündigte an, dass die Beherbergungsverbote bei der Ministerpräsidentenkonferenz am Mittwoch noch einmal beraten werden. "Jetzt sehen wir bundesweit, wie die Zahlen mindestens insgesamt in allen Großstädten nach oben gehen. Beherbergungsverbote zum Beispiel zwischen Berlin und Brandenburg machen doch gar keinen Sinn", sagte er am Sonntagabend in der ZDF-Sendung "Berlin direkt".

"Wir haben Hunderttausende Pendler jeden Tag. Die begegnen sich im Einzelhandel, im Nahverkehr, auf der Arbeit. Und dann darf ein Berliner aber zwei Tage nicht im Spreewald übernachten. Das macht alles keinen Sinn."

Die meisten Bundesländer hatten am Mittwoch beschlossen, dass Bürger aus Orten mit sehr hohen Corona-Infektionszahlen bei Reisen innerhalb von Deutschland nur dann beherbergt werden dürfen, wenn sie einen höchstens 48 Stunden alten negativen Corona-Test vorlegen können. Greifen soll dies für Reisende aus Gebieten mit mehr als 50 Neuinfektionen je 100.000 Einwohnern binnen sieben Tagen. An dieser Regelung gibt es jedoch vermehrt Kritik.

Sendung: Inforadio, 12.10.2020, 7:05 Uhr

Artikel im mobilen Angebot lesen