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Audio: rbb | 09.10.2020 | Statement Charité-Vorstand Ulrich Frei | Quelle: dpa/Kay Nietfeld

Engpässe auf Intensivstationen

Charité verschiebt wegen Corona erneut Eingriffe

Die Zahl der Corona-Neuinfektionen in Berlin sind in den vergangenen Tagen stark angestiegen. Experten erwarten, dass wieder mehr Covid-Patienten in Kliniken behandelt werden müssen. Gemeinsam mit Berlins Regierendem warnen sie am Freitag vor Engpässen.

Berlins Regierender Bürgermeister Michael Müller hat am Freitag gemeinsam mit Wissenschaftlern vor Engpässen bei der Betreuung von Corona-Patienten gewarnt. Müller schloss dabei nicht aus, dass Berlin seine medizinischen Notfall-Plätze noch erweitern könnte.

Engpässe auf Intensivstationen der Charité

In einer gemeinsamen Pressekonferenz mit Müller sagte Charité-Vorstand Ulrich Frei: "Wir haben den Ansatz eines exponentiellen Wachstums". Mit "großer Sicherheit" werde die Zahl der Covid19-Patienten in den Kliniken mit einer zeitlichen Verzögerung steigen. Zurzeit aber seien die Intensivstationen voll, auch weil Behandlungen aus der Frühphase der Pandemie nachgezogen würden.

Es gebe zwar viele Intensivbetten, sagte Frei - es fehlten aber Pflegekräfte. "Wir haben einen absoluten Mangel an Intensivpflegekräften", sagte Frei. Die Lage werde zurzeit dadurch verschärft, dass die Zahl der Infektionen unter den oft jungen Pflegekräften stiegen - danach würden weitere als Kontaktpersonen an den Kliniken ausfallen. "Dies führt dazu, dass wir erneut (...) die planbaren Eingriffe oder Untersuchungen verschieben oder aussetzen müssen. Und wir müssen versuchen, die Intensivstationen für Covid-Patienten freizubekommen." Das sei schwierig, denn die Patienten seien ja schwer krank.

Frei zufolge sollte jetzt über Änderungen bei den Behandlungsauflagen diskutiert werden. "Und wir müssen auf eine Diskussion führen, wie wir mit den anderen Patienten, die auf ihre Operation warten, die herzkrank oder tumorkrank sind etc. - wie wir mit denen umgehen. Das ist durchaus eine schwierige ethische Frage."

Der Vorstandsvorsitzende der Berliner Charité, Heyo Kroemer, zeigte sich überzeugt, dass die Zahlen der Patienten, die intensivmedizinisch behandelt werden müssen, mit zeitlicher Verzögerung steige. Um die Pandemie einzudämmen sei jetzt - "bei allem Respekt für Föderalismus" - ein gemeinsames Vorgehen der Bundesländer vonnöten.

Die Vivantes-Kliniken teilten rbb|24 auf Anfrage mit, dass mit Stand Freitag 13 Covid-Patienten auf der Intensivstation lägen, 16 weitere Intensivbetten seien noch frei. Seit einem knappen Monat würden sich die steigenden Infektionszahlen auch in der stärkeren Auslastung der Intensivkapazität von Vivantes zeigen.

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Der Berliner Virologe Christian Drosten bekräftigte seine Einschätzung einer in Deutschland höheren Sterblichkeit durch das Coronavirus, wegen des vergleichsweise hohen Alters der Bevölkerung. Die Infektionssterblichkeit liege bei "einem Prozent oder etwas mehr" in Deutschland. Das wäre eine etwa 20 Mal höhere Sterblichkeit als bei der Grippe.

Noch sei Deutschland in einer besseren Situation als andere Länder, "weil wir frühzeitig auf die Bremse gegangen sind im Frühjahr", so Drosten. "Jetzt müssen wir aufpassen, dass wir den Kredit, den man damals gewonnen hat, nicht verspielt."

Inzwischen gebe es aber deutlich mehr Informationen über das Virus als zu Beginn der Pandemie. Daher könnte gezielt reagiert werden. "Viele Dinge haben sich eher geschärft als geändert in wissenschaftlicher Betrachtung." Als sehr wichtig habe sich beispielsweise das Maskentragen herausgestellt. Drosten äußerte sich zuversichtlich, dass durch gezielte Aktionen ein erneuter Lockdown vermieden werden könne. Müller ergänzte, dieser werde aber natürlich "mitgedacht".

Feiern im Fokus - große und kleine

Müller rechtfertigte vor diesem Hintergrund die neuen Corona-Regeln in der Hauptstadt wie die Sperrstunde. In der jetzigen Lage seien schnelle und gezielte Einschränkungen gefordert, um hohe Infektionszahlen und dramatische Einschränkungen des soziales Lebens zu verhindern, sagte er. Die Berliner Sperrstunde sei einfach umsetzbar und gut kontrollierbar.

Die jüngsten Reisebeschränkungen in Deutschland kritisierte Müller dagegen: Die Regelungen seien unnötig kompliziert, würden enorme Personalkapazitäten binden und die Auflage, negative Testergebnisse vorzulegen, blocke wichtige Testkapazitäten.

"Ich weiß, dass wir in Berlin immer unter verschärfter Beobachtung sind", sagte Müller mit Blick auf Kritik von Bundesseite und aus anderen Bundesländern. Der Senat sei aber schon frühzeitig und auch jetzt wieder eingeschritten. Müller betonte, dass die Corona-Infektionen bundesweit ansteigen, auch in anderen Großstädten. Zu möglichen Auslösern für den Anstieg der Infektionszahlen verwies Müller auf "das Feiern in großen Gruppen - egal ob drinnen oder draußen" und kleinere Feiern in Innenräumen, bei denen nicht ausreichend auf Hygiene- und Abstandsregeln geachtet werde. Mit Feiern verbunden seien meist anhaltende, enge Kontakte.

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Treffen der Bürgermeister und Oberbürgermeister

Am Freitag berät zudem Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) mit den Verantwortlichen der elf größten deutschen Städte über die Lage. An der Videokonferenz beteiligen sich nach Angaben eines Regierungssprechers neben Michael Müller als Regierendem Bürgermeister von Berlin (SPD) auch die Oberbürgermeister und Bürgermeister von Hamburg, Bremen, München, Frankfurt am Main, Köln, Düsseldorf, Dortmund, Essen, Leipzig und Stuttgart.

Die Corona-Entwicklung gerade in den Großstädten besorgt die Politik zunehmend. Auch in Frankfurt am Main und weiteren Städten wie Bremen hat die sogenannte 7-Tage-Inzidenz den kritischen 50er-Wert überschritten.

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