Interview mit Filmwissenschaftler Prof. Matthias Hurst, Bard College Berlin - Patrouillendienst am Rande der Unendlichkeit

Do 10.04.14 | 00:00 Uhr | Von Anna Behrend

Mit der TV-Serie "Raumpatrouille – Die phantastischen Abenteuer des Raumschiffes Orion" flimmerte 1966 die erste deutsche Science-Fiction-Serie über die Bildschirme. Bis heute genießt die "Raumpatrouille" Kultstatus – und das, obwohl die Abenteuer der Orion-Besatzung nicht gerade von Pazifismus zeugen. Ein Interview mit Matthias Hurst, Professor für Film- und Literaturwissenschaft am Bard College Berlin.

 

Herr Hurst, in Berlin findet diese Woche eine Konferenz statt, die sich mit der Militarisierung des Weltraums beschäftigt. Sie halten dort einen Vortrag über die "Raumpatrouille Orion". Warum sprechen Sie dort gerade über diese Serie?

In der Serie, die Zuschauer erinnern sich gewiss, geht es hauptsächlich um kriegerische Auseinandersetzungen. Insofern unterscheidet sie sich etwas von der sehr viel bekannteren amerikanischen Fernsehserie "Star Trek". Diese ist stärker von einer pazifistischen Ideologie getrieben. Das Raumschiff Enterprise dringt in Galaxien vor, wo nie ein Mensch gewesen ist und sucht Kontakt. Die Erforschung des Weltalls steht im Mittelpunkt. Bei "Raumpatrouille" geht es um Sicherung. Die Orion ist Teil eines Sicherheitssystems und macht an den Rändern des von Menschen besiedelten Raumes Patrouillendienst. Die Ausgangssituation ist also schon eine ganz andere.

Aber sind nicht auch Captain Kirk und seine Crew auf der Enterprise ständig in Konflikte verwickelt?

Auch bei "Star Trek" gibt es natürlich Feindbilder und kriegerische Auseinandersetzungen, aber nicht so extrem wie bei "Raumpatrouille". Bei Raumschiff Enterprise gibt es immer wieder Annäherungen und Kommunikationsversuche. Captain Kirk schießt nie zuerst. Das gibt es bei Raumpatrouille nicht. Ich war selbst erstaunt, als ich die Serie jetzt noch einmal angeschaut habe: Als die Besatzung der Orion das erste Mal der außerirdischen Spezies der Frogs begegnet, wird nicht einmal der Versuch unternommen zu sagen: "Hallo, wer seid ihr? Könnt ihr mit uns sprechen?". Es wird sofort geschossen.

In der Serie "Raumpatrouille" kämpft eine vereinte Menschheit gegen die feindlichen Frogs. Inwiefern passt dieses Bild in den historischen Kontext? Die Menschheit war in den Sechzigerjahren ja keineswegs vereint, sondern durch den kalten Krieg gespalten.

Das Ganze ist natürlich eine Unterhaltungsserie, eine Fiktion. Aber gerade bei solchen Serien spielt Realpolitisches und Sozialhistorisches immer mit hinein. Bei "Raumpatrouille" sehen wir ein sehr ambivalentes Reflektieren von zeitgenössischen Vorstellungen. Einerseits die friedliche Erkundung des Weltalls, eine vereinten Menschheit, also ein utopischer Gedanke, bei dem Amerikaner und Russen zusammenarbeiten. Andererseits aber - projiziert auch auf ein außerirdisches Feindbild - kriegerische Auseinandersetzungen bis hin zu Massenvernichtungswaffen. In einer der Folgen geht es um ein neuartiges Waffensystem namens Overkill, eine Präventivwaffe. Da wird ganz deutlich, wie auch in so einer unterhaltsamen Fernsehserie die reale Angst vor nuklearen Massenvernichtungswaffen eine Rolle spielt.

In der Serie "Star Trek" - so eine gängige Interpretation - stehen die außerirdischen Klingonen stellvertretend für die Russen. Für wen stehen die feindlichen Frogs bei "Raumpatrouille Orion"?

Es gibt unterschiedliche, teilweise auch psychoanalytische Interpretationen, was die Frogs darstellen könnten. Vom Aussehen her haben sie eine verschwommene, menschliche Form aber keine Gesichter. Sie sind also ideale Projektionsflächen für allerhand.

Mit Psychoanalyse lassen sich Science-Fiction-Filme analysieren?

Für die Fantastik in der Literatur und im Film, war seit jeher Psychoanalyse ein sehr dankbares Feld. Freud hat 1919 den berühmten Aufsatz über "das Unheimliche" geschrieben. Seit der Zeit werden für fantastische Geschichten immer wieder gerne psychoanalytische Theorien herbeigezogen. Was der Mensch ins Unbewusste verdrängt und nicht wahrhaben will, wird nach außen projiziert und kehrt als etwas Unheimliches zurück - seien das Vampire, Gespenster oder eben auch außerirdische Aggressoren. Wenn man diesen Theorien glaubt, kann man in den Frogs bei Raumpatrouille auch die Wiederkehr des Verdrängten sehen. Das wäre natürlich für den deutschen Kulturraum eine ganz spannende Deutung, denn es gab ja in Deutschland in den Fünfziger- und Sechzigerjahren, was militärische Aggression betrifft, noch einiges zu verdrängen.

Noch einmal zurück zu "Star Trek": Ist es nicht erstaunlich, dass gerade eine amerikanische Serie, die während des kalten Krieges entsteht, einen solchen friedlichen und erforschenden Ansatz hat?

Das kann mehrere Gründe haben. Einer könnte sein, dass die Idee des Überwindens von Grenzen, in dem Sinne wie sie bei "Star Trek" zu finden ist, ganz tief im amerikanischen Selbstbewusstsein verankert ist. Dieser Gedanke der "Frontier" taucht zum Beispiel in Western-Geschichten auf, aber eben auch bei "Star Trek". Im englischen Vorspann der Serie ist die Rede vom Weltraum als "Final Frontier", also als letzte Grenze.

Sind manche historischen Interpretationen nicht vielleicht überzogen? Waren die Ideen von Gene Roddenberry, dem Autor von "Star Trek", nicht vielleicht einfach visionärer als die von Rolf Honold, der das Buch für "Raumpatrouille Orion" schrieb?

Literatur-, Film- und Kulturwissenschaftler blicken gerne zurück und glauben, solche Dinge dann auch in einem Gesellschaftsbild verorten zu können. Ich denke, es ist legitim, dass man versucht, die unterschiedlichen Konnotationen der Serien auch auf die unterschiedlichen Ideologien und geschichtlichen Erfahrungen zu beziehen. Es gibt beispielsweise ganz interessante Interpretationen der Hauptfiguren von Raumschiff Orion. Commander MacLane wird zu Beginn der Serie aufgrund seines draufgängerischen Verhaltens strafversetzt. Im Laufe der sieben Episoden gewinnt MacLane das Vertrauen seiner Vorgesetzten zurück. Es ist in gewisser Weise das Rückgewinnen einer Sicherheit, einer Männlichkeit, eines militärischen Status, der verloren gegangen ist. Das kann man natürlich sehr schön auf Westdeutschland und die Wiederbewaffnung ab 1955 übertragen. Ich denke, es gibt viele Gründe für die unterschiedliche Konzeption der Serien. Die Kreativität der Autoren ist nur einer davon.

Beitrag von Anna Behrend

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