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Quelle: dpa

Corona-Krise in Berlin

Trotz Millionen neuer Masken: Pfleger beklagen "hochriskante Zustände"

Auch wegen des Maskenmangels haben sich mehr als 500 Berliner Gesundheits-Beschäftigte mit Covid-19 angesteckt. Gelöst ist das Maskenproblem noch nicht - Krankenhauspfleger klagen weiter über "hochriskante" Zustände. Von Robin Avram und Sebastian Schneider

In verwaisten Shoppingmalls öffnen wieder die Geschäfte. Familien dürfen bald Pandas gucken im Zoo, Kinder bald wieder Klettergerüste besteigen. Die ersten Lockerungen in der Corona-Krise sind beschlossen, auch bei der Schutzausrüstung scheint sich die Lage vorsichtig zu verbessern: Das Land Berlin hat wieder OP-Masken auf Lager.

Fünf Millionen Stück Mund-Nasen-Schutz trafen vergangene Woche in der Hauptstadt ein, Logistiker des Technischen Hilfswerks und der Bundeswehr verteilten sie an Kliniken, Arztpraxen, Altenheime. "Es gelingt uns als Land Berlin mehr und mehr, auf dem internationalen Markt Schutzmaterial zu bekommen", vermeldete die Gesundheitssenatorin Dilek Kalayci (SPD).

Ist Berlin beim Schutz vor Corona so langsam aus dem Gröbsten heraus? Und wie lange reichen fünf OP-Millionen Masken überhaupt, um den Bedarf zu decken? rbb|24 hat interne Dokumente gesichtet, mit Krankenpflegern und Hygienefachleuten gesprochen - und viel mehr Anfragen stellen müssen als erwartet, um Antworten von den Verantwortlichen zu bekommen.

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Dringend benötigter Nachschub für Kliniken

Rund sieben Millionen neue Masken eingetroffen

Maskenmangel begünstigte wohl Ausbrüche in Krankenhäusern und Pflegeheimen

Die bisherige Bilanz: Laut internem Lagebericht des Berliner Krisenstabs haben sich mehr als 500 Berliner Ärzte, Pflegekräfte und andere Beschäftigte in Gesundheitsberufen mit Covid-19 angesteckt. Bei wievielen Helfern die Krankheit einen schweren Verlauf nahm, besagt die Statistik nicht.

Allein in den Berliner Pflegeheimen starben bislang 38 Patienten, infizierten sich 95 Mitarbeiter. Viele Ausbrüche hätten sich laut Robert-Koch-Institut wohl vermeiden lassen, wenn Regierung, Behörden und Arbeitgeber in der Lage gewesen wären, ausreichend Schutzmaterial zu beschaffen und vorrätig zu halten. "Ein Zusammenhang zwischen fehlenden Masken und der Verbreitung gerade dieser Atemwegsinfektion ist natürlich sehr wahrscheinlich“, bestätigt Peter Walger, Sprecher der Deutschen Gesellschaft für Krankenhaushygiene (DGKH).

Quelle: LaGeSo II B 3

Nicht nur in den Pflegeheimen mit ihren am meisten von Covid-19 gefährdeten Bewohnern mangelt es an Schutzausrüstung, auch in der ambulanten Pflege und in den Kliniken werden die Masken noch immer strikt rationiert. "Wenn man momentan die strengsten Standards anlegen würde, nach jedem Klienten, den man versorgt, immer eine neue Maske nehmen würde, dann wäre es nicht machbar. Man muss in der momentanen Marktsituation unheimlich erfinderisch sein", sagt Thomas Gleißner, Sprecher der Berliner Caritas rbb|24, über die ambulante Altenpflege. Inzwischen aber fühle man sich ganz gut vorbereitet.

Auch wenn sich die Vorratslager inzwischen langsam wieder füllen: Die fünf Millionen jüngst eingetroffenen OP-Masken reichen laut rbb-Recherchen gerade einmal zwölf Tage lang, um den Bedarf der hiesigen Gesundheitseinrichtungen zu decken. Die in den Kliniken noch dringender benötigten FFP2-Masken – nur die schützen den Träger zuverlässig vor Ansteckung - sind weiter Mangelware. "Es gibt keinen Grund zur Entwarnung", sagte auch der verantwortliche Gesundheits-Staatssekretär Martin Matz (SPD) vergangene Woche im Gesundheitsausschuss des Abgeordnetenhauses. Die genauen Vorratszahlen veröffentlichte die Behörde bislang jedoch nicht.

So hoch ist der monatliche Bedarf - und so viel hatte Berlin laut internem Lagebericht am 21. April auf Lager:

OP-Schwester klagt: Nur einfache OP-Maske bei riskanten Behandlungen

Claudia Meiers* Stimme kann weich und einfühlsam klingen, das gehört zu ihrem Job: Patienten die Angst vor der Operation nehmen, sie sanft auf die gleich einsetzende Vollnarkose vorbereiten. Dabei hat Meier seit Beginn der Corona-Pandemie selbst mit der Angst zu kämpfen, wenn ihre Patienten in die Bewusstlosigkeit gleiten und für die Operation intubiert werden müssen.

Wer wie sie mithilft, Menschen einen Beatmungsschlauch in den Hals zu schieben, begibt sich in die Covid-19-Risikozone. "Intensivschwestern assistieren bei der Intubation oder bei der Bronchoskopie in ganz enger Nähe zum Gesicht eines Patienten. Da ist eine FFP2-Maske absolut notwendig", sagt der DGKH-Experte Walger, der selbst den Fachbereich Hygiene eines Klinikverbunds leitet.

Trotzdem hätten Meier und ihre Kolleginnen ihre Arbeit einige Wochen lang statt mit FFP2-Masken oft mit einfachen OP-Masken verrichten müssen. "Das widerspricht klar den aktuellen Vorgaben des Robert Koch-Instituts", sagt Meier. Vivantes bestreitet Meiers Schilderung auf Anfrage nicht. Inzwischen habe sich die Situation aber geändert: "Nun lautet die Arbeitsanweisung: Es sollen grundsätzlich beim Intubieren FFP2-Masken verwendet werden, bei Covid-Patient*innen FFP3-Masken."

Die OP-Schwester Meier bestätigt: Ja, die Leitung habe inzwischen wieder das Tragen von FFP-Masken angeordnet. Aber erst, nachdem mehrere ihrer Kolleginnen ausfielen, die eine einfache OP-Maske getragen hatten. Sie hatten sich mit Covid-19 angesteckt.

*Name geändert

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Berliner Charité

Unbekannte stehlen Atemschutzmasken von Kinder-Intensivstation

  

"Nach wie vor kürzen Lieferanten die angeforderten Mengen"

Fairerweise muss man sagen: Die Krankenhäuser führten die strenge Rationierung aus purer Not ein. Zum einen wurde viel Schutzmaterial geklaut – selbst aus der Kinderkrebs-Station der Charité - und zum anderen hat die weltweit enorm gestiegene Nachfrage die Beschaffung von persönlicher Schutzausrüstung erheblich komplizierter gemacht. "Nach wie vor kontingentieren und kürzen die Lieferanten die angeforderten Mengen an Schutzausrüstung. Zugesagte Lieferungen verzögern sich durch Grenzschließungen oder kommen gar nicht erst an", heißt es in einer internen Mitteilung an Vivantes-Mitarbeiter, die rbb|24 vorliegt. 

Laut Senatsverwaltung würden gerade Preise aufgerufen, die fünf bis siebenmal höher lägen als normal. Nicht immer entspreche die Qualität den Erwartungen. Bis signifikante Mengen an Ausrüstung in Deutschland produziert werden können, werden wohl noch Monate vergehen. Der Bundeswirtschaftsminister Peter Altmaier (CDU) sagte, der Bedarf an Schutzausrüstung werde "dauerhaft ansteigen und für lange Zeit hoch bleiben".

Vivantes-Geschäftsführer holte Lieferung persönlich in Frankfurt ab

Noch immer kommt fast die gesamte Ware aus Asien: Mitte April zum Beispiel erhielt der Senat eine Lieferung aus der Fabrik von "Zigong Weikang Medical Equipment" in der chinesischen Provinz Sichuan. Der Vivantes-Geschäftsführer Eibo Krahmer persönlich holte die Ware am Frankfurter Flughafen ab und brachte sie begleitet von Polizisten nach Berlin. Auf den Kartons aus China klebten Zettel mit einem Zitat von Friedrich Nietzsche: "Die Hoffnung ist der Regenbogen über den herabstürzenden Bach des Lebens."

Doch nur auf das Prinzip Hoffnung will sich Vivantes nicht verlassen. Die Situation entwickele sich derzeit sehr dynamisch. "Eine Prognose, wie lange die Einwegmaterialien noch ausreichen, hätte daher nur begrenzte Aussagekraft." Die Konsequenz: "Um noch möglichst lange für alle Bereiche Schutzausrüstung zu haben, sind unsere Beschäftigten aufgerufen, sparsam mit Einwegartikeln wie Masken, Kitteln oder Schutzbrillen umzugehen, aber zugleich auf den persönlichen Schutz zu achten."

"Das ist hochriskant und fahrlässig"

Bei der Charité waren Pflegekräfte so frustriert über den Mangel, dass sie ganz offen darüber sprachen. David Wetzel, Pflegekraft auf einer onkologischen Station, sagte vergangene Woche in einem von ihm auf Facebook geposteten Video: "Momentan ist es so, dass ich pro Schicht, achteinhalb Stunden lang, einen Mundschutz trage. Einen Mundschutz, um elf Patienten, mich und meine Familie zu schützen. (...) Das ist nicht nur hochriskant und fahrlässig, sondern das ist auch absolut verantwortungslos."

Die Charité erwidert auf Anfrage, man habe bei Schutzmaterialien eine Freigabeschleife eingebaut, um einen besseren Überblick zu erhalten. Kontaminierte Masken dürften jedoch nicht mehr getragen, sie müssten gewechselt werden. Die Frage, ob die Charité jederzeit den Wechsel von Schutzmasken ermöglichte, bleibt unbeantwortet.

Auch auf Intensivstationen der Charité, in denen Covid-19-Patienten versorgt werden, ist das Schutzmaterial laut der Krankenschwester Dana Lützkendorf rationiert worden. "Was sonst nicht üblich ist: dass in einer Schicht nur eine FFP2-Maske oder ein Mund-Nasenschutz genutzt wird, oder das medizinische Material knapp wird. Die Kolleginnen stehen gerade enorm unter Druck besonders sparsam mit dem zur Verfügung stehenden Material zu arbeiten", sagte Lützkendorf laut Redemanuskript bei einer Videokonferenz der Beschäftigten von Vivantes und Charité am vergangenen Freitag.

"Grundsätzlich kann eine FFP2 Maske mehrmals verwendet werden, sofern die Hygienevorgaben eingehalten wurden", entgegnet die Charité.

Beschäftigte fordern ausreichend Schutzmaterial

Ein Mundschutz pro Schicht könne prinzipiell ausreichen, bestätigt der Krankenhaus-Hygieniker Walger. Wenn die Maske jedoch durchfeuchtet oder verschmutzt sei, müsse sie zwingend gewechselt werden. Walger zeigt Verständnis für die Sorgen des Personals: "Das ist eine ganz konkrete Angst vor Ansteckung, und das in Situation eines Maskenmangels, das ist natürlich eine fürchterliche Belastung."

Rund 4.500 Beschäftigte von Charité und Vivantes unterschrieben eine Petition an den Berliner Senat, in der sie mehr Geld und bessere Arbeitsbedingungen fordern. Ganz oben auf der Forderungsliste steht jedoch: "Es braucht ausreichend Schutzmaterial."

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Berliner Senat plant Corona-Prämie von 1.000 Euro

  

Bestand an FFP-Masken reiche derzeit etwa einen Monat

Wieviel aber ist ausreichend? Der Bedarf an Schutzmaterial, den Krankenhäuser, Pflegeheime, Arztpraxen, ambulante Hilfsangebote und anderen Akteure wie Polizei und Justiz haben, lässt sich nur sehr schwer herausfinden. Die Charité zum Beispiel sah sich auch nach mehreren Nachfragen außerstande, ihren Bedarf zu beziffern. Die Berliner Krankenhausgesellschaft, die die Interessen von 60 Kliniken und 46 stationären Pflegeeinrichtungen vertritt, erhebt diesen Bedarf nach eigener Aussage nicht.

Erst in einem internen Lagebericht des Berliner Krisenstabes stößt rbb|24 darauf, dass Vivantes kürzlich im Auftrag der Senatsverwaltung jede Menge Schutzausrüstung bestellte. Laut der Finanzverwaltung soll sie den Bedarf für drei Monate decken, Kosten: mehr als 20 Millionen Euro. Auf Nachfrage verweist die Vivantes-Sprecherin an die Gesundheitsverwaltung.  

Der Lagerbestand der so wichtigen FFP-2-Schutzmasken reicht an sich aus, um "die Gesundheitseinrichtungen im Land Berlin für knapp einen Monat gesichert zu versorgen", sagt der Sprecher Moritz Quiske rbb|24. So lange im Voraus plant der Berliner Senat generell bei der Schutzausrüstung. "Einen Lagerbestand für drei Monate aufzubauen ist bislang keine sich stellende Aufgabe", sagt Quiske. Die Lieferungen erfolgten über einen mehrwöchigen Zeitraum, es seien aktuell fortlaufend Waren im Zugang.

Infos im Netz

tagesschau.de

Was Sie über Schutzmasken wissen müssen

Finanzverwaltung stoppte vorerst weitere Bestellungen

Doch dieser fortlaufende Warenzugang könnte bald wieder versiegen. Denn am vergangenen Montag stoppte die Finanzverwaltung vorerst die Ausgaben für weitere Bestellungen. Anders als die Gesundheitssenatorin Dilek Kalayci geht Finanzsenator Matthias Kollatz (beide SPD) davon aus, dass der Bedarf nicht nur für einen, sondern für drei Monate gedeckt sei. Man wolle nicht zu Lasten von anderen Bedürftigen Schutzausrüstung hamstern, wie es auf Nachfrage heißt.

Das könnte sich noch als Fehleinschätzung herausstellen – denn selbst die Vivantes-Pressestelle räumt ein: "Nachbestellungen sind in Auftrag gegegen, Lieferungen erfolgen, dies jedoch teilweise sehr unregelmäßig". Die OP-Schwester Claudia Meier jedenfalls zeigt sich besorgt: "Demnächst sollen wir wieder die normalen Operationen hochfahren, dann wird auch wieder der Verbrauch an Schutzmaterial steigen", sagt sie.

Unklar ist auch, wie sehr die beschlossenen Lockerungen die Infektionszahlen - und damit auch die Zahl der Krankenhaus-Patienten - ansteigen lassen. Sollte sich die Versorgungslage in den Krankenhäusern doch nicht nachhaltig verbessern, wollten Meier und ihre Kolleginnen das nicht länger hinnehmen, sagt sie. Sie wollten anfangen, zu demonstrieren – mitten in der Pandemie.

Beitrag von Robin Avram und Sebastian Schneider

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