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Video: rbb24 | 24.09.2022 | Autor: Marie Röder & Felix Michel | Quelle: rbb

Barrierefreiheit in Berliner Clubs

Feiern mit Behinderung

Die Berliner Clubkultur steht für Offenheit und Toleranz. In Sachen Barrierefreiheit werden viele Locations ihrem Anspruch auf Inklusivität aber nicht gerecht. Ein Clubbesuch im Rollstuhl. Von Felix Michel und Marie Röder

"Entschuldigung, sorry, könnte ich mal bitte, Achtung", Eugen kämpft sich an wippenden und tanzenden Körpern vorbei. Ein Teil der Besucher:innen im Gretchen-Club bemerkt ihn gar nicht, andere weichen zaghaft zur Seite - Blicke mit zusammengezogenen Augenbrauen inklusive.

Es ist Freitagabend. Im Gretchen spielt der House DJ Romare sein Set. Der Laden ist brechend voll. Inmitten des Getummels sitzt Eugen in seinem Rollstuhl. Feiern gehöre zum Leben dazu, sagt er. Schon bevor er im Rollstuhl saß, sei er gerne exzessiv unterwegs gewesen. In manchen Läden in Berlin müsse man sich keine Gedanken über Barrierefreiheit machen. "Bei anderen bedarf es sehr viel Improvisation", sagt Eugen.

Offizielle Zahlen dazu, wie viele Clubs in Berlin barrierefrei sind, gibt es nicht. Einen Eindruck über die Lage liefert aber wheelmap – eine Website, auf der Nutzer:innen Orte im Hinblick auf ihre Barrierefreiheit bewerten können [wheelmap.org]. Demnach sind aktuell 44 von 145 Clubs voll rollstuhlgerecht. Als teilweise rollstuhlgerecht sind 29 Clubs vermerkt. Das Gretchen in Kreuzberg zählt zur ersten Kategorie. Am Einlass steht eine mobile Rampe bereit, über die Eugen in den Eingangsbereich fährt. Die Tanzfläche ist ebenerdig. Ein rollstuhlgerechtes Klo gibt es auch.

Barrierefreiheit nicht ganz oben auf der Prioritätenliste

Pamela Schobeß, Betreiberin des Gretchen, sagt, Barrierefreiheit bedeute für verschiedene Personen auch immer etwas Unterschiedliches. Im Gretchen zeige sich Barrierefreiheit vor allem durch die baulichen Veränderungen, die der Club für Rollstuhlfahrer:innen vorgenommen habe.

Gleichzeitig gibt Schobeß zu: "Inwieweit das barrierefrei für alle und jeden ist, kann ich gar nicht sagen." Blickt man ins Gesetz zur Gleichstellung von Menschen mit Behinderungen, dann gelten Orte als barrierefrei, wenn Menschen mit Behinderung sie ohne die Hilfe anderer finden und nutzen können [Bundesministerium der Justiz]. Das schließt nicht nur Menschen ein, die im Rollstuhl sitzen, sondern auch jedmögliche andere Behinderungen.

Gretchen-Betreiberin Schobeß ist gleichzeitig auch im Vorstand der Clubcommission, dem Verband der Club- und Partyveranstalter:innen in der Hauptstadt. Sie sagt, Barrierefreiheit werde dort sehr ernst genommen. "Wir versuchen das Thema in das Mindset der Leute zu bekommen", so Schobeß. Dort, wo es noch Nachholbedarf gebe, seien Betreibende vielleicht noch nicht mit Menschen im Rollstuhl konfrontiert worden. Oder es seien bauliche Gegebenheiten – zum Beispiel besonders kleine, verwinkelte Räume mit vielen Treppen – die der Barrierefreiheit im Weg stehen.

Lösungen für diese Probleme zu finden, sei manchmal unmöglich oder sehr teuer. "Viele Clubs kommen gerade so hin mit ihrem Geld", sagt Schobeß. Daher stehe das Thema bei einigen wohl nicht ganz oben auf der Prioritätenliste, mutmaßt sie.

Viele Anfragen, kaum Infos

Für diese Recherche hat rbb|24 Anfragen an 17 Clubs und 4 Bars geschickt. Darunter bekannte Locations wie das Watergate, Berghain, Sisyphos und About Blank. Angefragt wurde, ob die jeweiligen Orte barrierefrei sind und inwiefern das Thema auf der Agenda der Betreibenden steht. Auf die Fragen geantwortet haben nur vier Clubs und keine Bar.

Jene, die geantwortet haben – das Kitkat, Mensch Meier, Prince Charles und Schwuz – sind laut eigener Aussagen barrierefrei oder zumindest barrierearm.

Einige Schwachstellen gebe es aber. Im Mensch Meier gebe es beispielsweise Tresen, die für Menschen im Rollstuhl ungeeignet sind. Im Schwuz müssen Gäst:innen im Rollstuhl einen Lift bedienen; nicht alle könnten das ohne die Hilfe einer anderen Person, sagt Geschäftsführer Marcel Weber. Viele der genannten Clubs betonen, dass sie das Thema Barrierefreiheit ernst nähmen. Einige geben an, in Zukunft noch barriereärmer werden zu wollen.

Über die Barrierefreiheit der anderen angefragten Clubs lässt sich keine Aussage treffen. Dies unterstreicht ein weiteres Problem: Informationen über die Gegebenheiten vor Ort sind nur schwer zugänglich. Zwar besteht die Möglichkeit, auf wheelmap nach Clubs zu suchen. Allerdings ist die Website auf Nutzer:innen angewiesen, die proaktiv losziehen und eine Bewertung schreiben. Die Internetauftritte und Social-Media-Kanäle der Clubs geben selten Auskunft.

Inklusivität minus Barrierefreiheit

Schobeß sieht auch die Politik in der Verantwortung, mehr für das Thema Barrierefreiheit in Clubs zu tun. Das seien schließlich diejenigen, die Gelder zur Verfügung stellten, so Schobeß. Auf Anfrage bei der Senatskulturverwaltung heißt es, Clubs seien keine öffentlich geförderten Kultureinrichtungen. Der Senat könne kulturpolitisch daher wenig Einfluss ausüben. Gefördert werden können jedoch einzelne Projekte, zum Beispiel Reihen und Festivals. In diesem Rahmen könnten sich dann auch Clubs für Gelder für Maßnahmen der Barrierefreiheit bewerben, so die Kultursenatsverwaltung.

Auch die stellvertretende Landesbeauftragte für Menschen mit Behinderung, Heike Schwarz-Weineck, verweist darauf, dass Clubs in privater Hand sind. "Das Land Berlin kann nur auf jene Clubs Einfluss nehmen, die Bauvorhaben bewilligen lassen müssen. Da wird dann drauf geschaut, ob die barrierefrei sind", sagt Schwarz-Weineck.

Eugen sieht beim Thema Barrierefreiheit einen Widerspruch. "Die Stadt hat sich Inklusivität auf die Fahne geschrieben. Viele Menschen kommen hier her, weil das der Spirit ist", sagt er. Bei der Barrierefreiheit scheinen die Bemühungen dann jedoch aufzuhören, meint Eugen.

Sich in einem Laden ohne Hilfe zu bewegen, bedeutet für ihn auch frei zu sein. Nicht auf andere angewiesen zu sein, sei wichtig, sagt Eugen.

Quelle: rbb

Die Feiercommunity als Hindernis

Bei der Barrierefreiheit geht es jedoch nicht nur um bauliche Gegebenheiten. Es sind teilweise auch andere Clubbesucher:innen, die Menschen im Rollstuhl behindern. Eugen erinnert sich an eine Situation, in der mehrere Menschen die einzige rollstuhlgerechte Toilette im Club blockierten, weil sie sich dort zum Koksen zurückgezogen hatten. Je mehr Alkohol und Drogen im Spiel seien, desto lockerer säßen bei vielen auch verletzende Sprüche, erzählt Eugen.

Andererseits gebe es auch oft Situationen, in denen fremde Menschen ihn überschwänglich dafür bewunderten, dass er mit Rollstuhl im Club ist. "Da denkt man sich: Bin ich hier ein Accessoire fürs Feeling?", so Eugen. Und tatsächlich: Auch an diesem Abend im Gretchen kommt ein junger Mann auf Eugen zu, schlägt mit ihm ein, fasst ihn an der Schulter an. Sie haben sich zuvor noch nie gesehen.

Für die Zukunft wünscht sich Eugen, dass es zum Standard gehört, dass Menschen im Rollstuhl am Nachtleben teilnehmen. Damit meint er einerseits die baulichen Veränderungen wie Rampen und rollstuhlgerechte Toiletten. Aber auch im Umgang mit Menschen mit Behinderung wünscht er sich ein Umdenken. Nicht nur in den Clubs, auch im Alltag. Barrierefreiheit beginnt in den Köpfen.

Sendung: rbb24 | 24. September 2022 | 17:12

Beitrag von Felix Michel und Marie Röder

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