Sportstätten-Mangel in Berlin - Mit Wartelisten gegen den Sanierungsstau
Der Breitensport boomt, weshalb noch nie so viele Berliner in Vereinen gemeldet waren wie derzeit. Doch die Sportstätten der Stadt können die Nachfrage nicht befriedigen. Weil es an Geld fehlt. Und selbst das nicht immer ausgegeben wird. Von Ilja Behnisch
Wer in Berlin lebt, sollte vor allem eines gut können: Warten. In der deutschen Hauptstadt wartet man auf Termine in Bürgerämtern oder in Arzt-Praxen, darauf, dass Baustellen fertig gestellt werden oder dass die Bahn kommt. Und auch im Sport muss viel gewartet werden, vor allem im Kinder- und Jugendbereich.
Wer seinen Nachwuchs im Fußball- oder Basketball-Verein anmelden will, muss sich häufig zunächst einmal mit einem Platz auf einer Warteliste begnügen. In anderen Sportarten und Altersgruppen sieht es allerdings oftmals nicht viel besser aus. Dabei boomt der Breitensport. So verkündete der Landessportbund Berlin zu Beginn des Jahres: "Zum Stichtag 1. Januar 2024 steht die Rekordzahl von 781.295 Mitgliedschaften. Im Vergleich zum Vorjahr sind 51.673 Menschen mehr in den 2.300 Berliner Sportvereinen gemeldet."
100.000 Menschen neu in Berliner Sportvereinen
Insgesamt sind in den vergangenen zwei Jahren rund 100.000 Menschen neu in Berliner Sportvereine eingetreten. Das sind mehr, als die Stadt an Einwohnern dazu gewonnen hat im gleichen Zeitraum. Zwar geht ein Großteil dieser Zahl auf den Mitgliederboom bei den Fußball-Bundesligisten Hertha BSC und Union Berlin zurück sowie auf Wieder-Anmeldungen von Menschen, die während der Corona-Pandemie aus den Vereinen ausgetreten sind.
Trotzdem ist der Trend unverkennbar. "Sport hat einen sehr hohen Stellenwert", sagt deshalb David Kozlowski, Leiter der Stabsstelle für Grundsatzfragen, Sportinfrastruktur und Nachhaltigkeit beim Landessportbund Berlin. Er glaubt, dass die positive Entwicklung vor allem auch mit einem "viel stärkeren Gesundheitsbewusstsein in der Bevölkerung" zu hat.
Fast ein Viertel der Sportstätten weist schwerwiegende Schäden auf
Doch der Boom sorgt auch für Frust. Zum einen fehlt Personal, ob in Ehren- oder Hauptamt, als Trainer, Betreuer, Hausmeister. Vor allem aber fehlt es an Nutzungsflächen. Der Sanierungsstau der letzten Jahre sei soweit angewachsen, sagt David Kozlowski, dass es "immer häufiger zu Hallenschließungen kommt." Und das obwohl der neue Senat das Sportstätten-Sanierungsprogramm besser ausgestattet hat.
Statt bisher 18 Millionen Euro stehen nun 30 Millionen Euro jährlich zur Verfügung. Zu wenig, sagen die Kritiker. Kozlowski spricht von einem Sanierungsstau von insgesamt knapp unter einer Milliarde Euro; "über 400 Millionen Euro bei Sporthallen und -plätzen, nochmal ungefähr 400 Millionen Euro bei den Bädern, dazu noch die zentralen Einrichtungen." Die "Ertüchtigung der Sportinfrastruktur" in Berlin, so Kozlowski, "muss daher auf der politischen Agenda ganz oben stehen."
Franziska Becker, seit November 2023 Staatssekretärin für Sport in der Senatsverwaltung für Inneres und Sport, sieht das als gegeben an. Rechne man die jährlich 30 Millionen aus dem Sanierungsprogramm auf zehn Jahre hoch, käme man auf 300 Millionen Euro. Zudem gäbe es "Gelder über die Europäische Union und vom Bund. Es ist nicht so, dass wir hier nichts tun. Wir halten unsere Sportstätten in Schuss."
Dem entgegen steht das Ergebnis einer parlamentarischen Anfrage des FDP-Abgeordneten Roman-Francesco Rogat aus dem Winter 2022. Seinerzeit wiesen von den rund 4.000 Sportflächen in der Stadt 942 schwerwiegende Schäden auf oder waren unbrauchbar. 57 Sportstätten waren gesperrt. Da die Summe für fällige Sanierungen seither stärker gestiegen ist als die Summe, die für Sanierungen bereit gestelltwird, ist von einer schnellen Besserung nur schwerlich auszugehen.
Nicht alle Mittel werden abgerufen
Zumal das Geld, das zur Verfügung steht, oftmals nicht vollständig in Anspruch genommen wird. So erreichten für das Haushaltsjahr 2022 lediglich vier Bezirke die Vorgabe, mindestens 75 Prozent des Geldes für Sanierungsmaßnahmen auch tatsächlich einzusetzen. Nicht abgerufene Mittel können dann zwar in andere Bezirke wandern, die diese tatsächlich nutzen. So verwendete der Bezirk Neukölln 2022 lediglich 29 Prozent seiner Mittel. Während Charlottenburg-Wilmersdorf auf 148 Prozent kam.
Dennoch wurden berlinweit auch für das Haushaltsjahr 2023 lediglich 16,7 der damals noch 18 zur Verfügung stehenden Millionen Euro eingesetzt. Eine mit 92 Prozent "hervorragende Quote", findet Staatssekretärin Franziska Becker, die auch ganz klar zeige, "dass dieses Sportstätten-Sanierungsprogramm hervorragend funktioniert".
Kritiker sehen hohe und komplizierte Hürden in der Bürokratie
Die Kritiker, die das anders sehen, verweisen auf unnötige Bürokratie und strukturelle Probleme. "Dass im Land Berlin zu wenig gebaut wird", sagt David Kozlowski vom Landessportbund, "liegt auch daran, dass in den Bezirksämtern einfach kein Personal für die Bauplanung da ist und uns auch die Bauprüfungen aufhalten".
Wenn es an zwei Sachbearbeitern liege, jede größere Maßnahme in Berlin "auch wirklich zu genehmigen", dann "fallen Sachen hinten runter". Auch die sonstigen Verwaltungsabläufe stellten "extrem hohe und komplizierte" Hürden, die "einfach dazu führen, dass das Geld nicht gut ausgegeben werden kann."
Digitale Sportstättenvergabe seit Jahresbeginn
Seit Beginn dieses Jahres gibt es die digitale Sportstättenvergabe. Online können so Sportstätten in ganz Berlin gebucht werden. "Wir erhoffen uns am Ende einen Effekt von zehn bis maximal 15 Prozent [mehr Auslastung, Anm. d. Redaktion]", sagt Staatssekretärin Franziska Becker. Joachim Gaertner, Spielausschuss-Vorsitzender des Berliner Fußball-Verbandes hingegen sagt: "Ein Schuss in den Ofen."
Seine Frage: "Was nützt es einem Verein aus Friedenau, wenn er eine Hallen- oder Spielzeit in Hermsdorf oder Hohenschönhausen kriegt?" Ein Punkt, den auch David Kozlowski vom Landessportbund teilt. Dass nicht nach Entfernungen geschaut werde, ist für ihn unverständlich, die Kritik naheliegend: "Das Land Berlin schafft es bisher nicht, eine andere Schablone über diese Stadt zu legen als diese Bezirksschablone." Dass Vereine in andere Bezirke ausweichen sollen, sei naheliegend. Allerdings interessiere sich die Software der digitalen Sportstättenvergabe "nicht dafür, ob dieser Bezirk angrenzend oder genau am anderen Ende der Stadt liegt."
Berlin ist der "Einäugige unter den Blinden"
Manuel Kopitz, Geschäftsführer des Berliner Schwimmverbandes, sagt, man sei deutschlandweit noch ein "Einäugiger unter den Blinden. Aber wir brauchen eine dicke Brille zum gucken." In seinem Bereich wird es "vielleicht irgendwann besser". Aktuell jedoch seien gerade wegen der vielen Sanierungen auch viele Bäder zu. Früher habe es für die Wasserfläche, die einer Person zur Verfügung stehen solle, einen Richtwert gegeben, so Kopitz, den "Goldenen Plan Ost". Da waren es "zehn mal zehn Zentimeter, ein Bierdeckel. Und da liegen wir weit drunter."
Sein Plädoyer: Über günstigen Bäderbau nachdenken. "Das müssen nicht immer Spaßbäder sein. In einer Großstadt helfen Schwimmbecken tausend Mal mehr, weil man da günstig sehr viele Leute ausbilden kann."
Wie schlimm es um die Wartelisten zu Wasser steht, kann Kopitz derzeit nicht genau beziffern. Klar ist nur, dass Corona die Situation verschärft hat. Es seien zwei Jahrgänge, "die das Schwimmen wegen Corona nicht erlebt haben. Die müssen wir jetzt auf die Wartelisten mit draufpacken", sagt er.
Schwimmverband und Landessportbund haben eine Erhebung zu den Wartelisten in Auftrag gegeben. Auf das Ergebnis müssen die Sport-Interessierten Berlins allerdings noch, genau: warten.
Sendung: rbb24 Inforadio, 26.04.2024, 13:15 Uhr