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Quelle: dpa/Ute Grabowsky

Interview mit Kinderpsychologin

"Familien sind nicht das Vergnügen einzelner"

Die Pandemie ist für viele Familien eine schwierige Zeit. Kinderpsychologin Julia Asbrand erklärt im Interview, wie Familien die nächsten Monate meistern können - mit Quarantänen, Schulstress oder während der Feiertage.

Familien stecken wieder im Corona-Winter: Wir haben auf Instagram gefragt, wie es ihnen mit den täglichen Herausforderungen in Schulen und Kitas so geht und was durch die kommenden Monate helfen würde. Viele Familien sind einfach von den häufigen Quarantänezeiten erschöpft. "Absolutes Chaos in den Kitas. Keine Testpflicht. Immer wieder Quarantäne. Was hilft? Keine Ahnung", schreibt eine Userin. "Die eine Kita-Quarantäne vorbei, startet die nächste drei Tage nach dem ersten Kita-Besuch wieder...", schreibt jemand anderes. Wie man trotz dieser Belastungen die Nerven nicht verliert, haben wir Psychologin und Kindertherapeutin Julia Asbrand im Interview gefragt.

Zur Person

rbb|24: Frau Asbrand, die Angst davor, dass sich der vergangene Winter mit Schulschließungen und Kontaktbeschränkungen wiederholt, wächst. Wie begegnen Sie den Sorgen der Familien?

Julia Asbrand: In der Politik ist die Debatte mittlerweile besser angekommen, dass Schulschließungen nicht das geeignete Instrument sind. Das war letztes Jahr aber auch die Prämisse. Daher muss man erstmal sagen: Das ist eine realistische Sorge, die Eltern haben. Man kann die nicht einfach weg diskutieren. Auf der anderen Seite sollte man sich fragen: Was heißt das für uns konkret?

Familien haben politische Entscheidungen nicht in der Hand. Sie können nicht entscheiden, ob es Kontaktbeschränkungen gibt oder nicht. Es geht also vielmehr um den Umgang damit. Wie können wir es also managen, dass wir trotzdem alle in der Familie Freiraum haben? Können wir vielleicht nochmal mit dem Arbeitgeber sprechen, damit mehr Verständnis für unsere Situation da ist? Es ist auch absolut in Ordnung, dass man das Leben unter Pandemie-Bedingungen stressig findet. Niemand muss sich zwangsweise immer zusammenreißen. Auch nach zwei Jahren Pandemie kann man sich noch über die Pandemie aufregen.

 

Kinder machen in der Pandemie viel durch, Schul- und Kitaschließungen sind immer noch ein Thema. Wie helfen Sie Eltern, die finden, dass die Lasten in der Krise ungleich verteilt sind?

Ich kann das sehr gut verstehen. Ich finde das als Kindertherapeutin alles andere als hilfreich, dass in politischen Entscheidungen oft mit zweierlei Maß gemessen wird. Darüber kann man sich ganz furchtbar aufregen und sich den Tag vermiesen. Doch damit ändert sich nichts. Dann ist es eher nützlich darauf zu schauen, was ich gerade tatsächlich ändern kann und was alles in dieser Pandemie schon erreicht ist.

Zum Beispiel kann ich mich jetzt mit den Großeltern treffen. Das war ja eine Zeit lang nicht erlaubt oder sehr riskant. Und es gibt einen Impfstoff, mit dem bereits viele Menschen geimpft sind und der sehr gut wirkt. Es gibt zwar noch keine allgemeine Impfempfehlung für alle Kinder, aber es gibt mittlerweile Impfstoffe auch für Kinder. Das heißt, wir sind da ganz gewaltige Schritte nach vorne gegangen. Wir sollten uns verdeutlichen, dass langfristig nicht hiflreich ist, sich nur über das aufzuregen, was noch nicht funktioniert, sondern dass es auch wichtig ist, für das dankbar zu sein, was schon alles funktioniert. Vielleicht können manche Eltern feststellen, dass sie bislang mit ihren Kindern gut durch die Pandemie gekommen sind.

Sie arbeiten als Kinder- und Familientherapeutin. Leben viele Kinder in ständiger Angst davor, vielleicht schon morgen wieder in Quarantäne sozial isoliert zu sein - oder sich oder andere anzustecken?

Ich glaube nicht, dass Kinder in konstanter Angst leben. Kinder sind ein Stück weit daran gewöhnt, dass sich Sachen verändern. Wenn Kinder diese Ängste allerdings äußern, dann sollten Eltern diese ernst nehmen und sagen: Ja, das ist momentan die Situation in der wir leben. Das ist nicht einfach. Was können wir dafür tun, dass es möglichst unwahrscheinlich wird, dass wir in Quarantäne müssen? Sich in der Schule an die Regeln halten zum Beispiel. Oder sich eher draußen mit Leuten treffen, könnte helfen.

Die Sorge sollte aber nicht alles überschatten. Es gibt auch Bereiche, um die man sich keine Sorgen machen muss. Vor einem Jahr haben sich bestimmt noch viele Kinder Sorgen gemacht, dass sich ihre Großeltern oder ihre Eltern infizieren können und dass sie einen schlechten Verlauf haben oder vielleicht sogar sterben können. Die Impfung hilft sehr gut. Damit kann man mittlerweile ja auch vielen Kindern die Sorge nehmen und sagen: Es ist zwar doof, dass wir eventuell in Quarantäne müssen aber das Risiko ist reduziert, dass jemand langfristige Folgen einer Coviderkrankung hat. Das ist eine gewaltige Entlastung.

Interview | Angst vorm Familienstreit

Expertin rät, Corona-Konflikte an Weihnachten ruhen zu lassen

Corona-Streit unterm Weihnachtsbaum - das möchte keiner. Aber in vielen Familien herrscht nun mal keine Einigkeit bei dem Thema. Steffi Bahro vom demos-Institut in Potsdam berät Menschen, die ihr Weihnachtsfest vor solchen Streits retten wollen.

Einige Eltern finden, dass der Leistungs- und Notendruck an Schulen riesig ist und der Pandemie-Situation nicht entspricht. Sie sind mit Homeschooling in Quarantäne und dem Nachholen des Stoffes überfordert. Wie können sie denen helfen?

Leistungsdruck gab auch schon vor Corona, das ist nicht Neues. Derzeit finde ich es wichtig, sich die Frage zu stellen: Was ist momentan überhaupt möglich? Vielleicht müssen wir unsere Anforderungen reduzieren. Nicht nur an die Kinder, sondern auch an die Erwachsenen. Es ist ohnehin nie sinnvoll, das komplette Wohlbefinden, den ganzen Selbstwert auf den Schulbereich zu reduzieren.

Vielleicht hat das Kind gerade Einbrüche in der Schule, aber hat sich beispielsweise ganz hervorragend um sein Geschwisterkind gekümmert. Oder irgendwas neues Kreatives gelernt. Das hilft natürlich nicht für die Schulnoten oder wenn eine Versetzungsgefährdung ansteht. Aber die Erkenntnis, dass Schule und Noten nicht das Einzige sind im Leben, ist hilfreich.

Die Pandemie hat Familien auf ein Problem zurück geworfen, das ohnehin besteht: Das System Kleinfamilie mit zwei arbeitenden Elternteilen bricht schnell zusammen. Was können wir aus dieser Situation lernen?

Ich glaube, es geht um das gesellschaftliches Umdenken, dass Familie keine Privatsache ist. Familie ist etwas, was wir als Gesellschaft brauchen. Kinder sind die Beteiligten an der Gesellschaft der Zukunft. Familien sind somit nicht das Vergnügen von einzelnen. Es ist unsere gesellschaftliche Aufgabe, Familien ein gutes Umfeld zu schaffen.

Wir brauchen also gute Fremdbetreuungsmöglichkeiten und familienfreundliche Arbeitszeiten. Niemand sollte sich Sorgen machen müssen, dass er eine Kündigung bekommt, weil das Kind zu oft krank ist. Dieses Umdenken in der Gesellschaft fehlt uns noch.

Frankfurt (Oder)

Wie Familien und Gastronomen Weihnachten trotz Corona planen

Bereits im zweiten Jahr in Folge wird das Coronavirus erheblichen Einfluss auf die Gestaltung der Weihnachtsfeiertage der Brandenburger nehmen. Viele planen schon jetzt ihre Kontakte zu beschränken. Das könnte auch die Gastronomie treffen.

Was tun Sie, wenn Eltern Ihnen sagen: Danke für diese ganzen guten Tipps, aber ich schaffe das einfach nicht, ich werde mein Gefühl der Überforderung nicht los?

Da kann man nicht einfach sagen: Ändern Sie einfach ihre Einstellung oder schauen Sie doch abends mal einen Film und dann gehts Ihnen schon besser. Sondern es geht darum, zu überlegen, was konkret hilft. Das können ganz simple Sachen sein, wie zum Beispiel eine Putzhilfe, wenn das finanziell möglich ist.

Man kann auch überlegen, ob Nachbarn, Freunde oder Familie irgendwo helfen können, damit Eltern mal Auszeiten für sich haben, um ein Hobby auszuüben für das lange keine Zeit war. Manchmal muss man einfach festlegen, dass zwei Stunden in der Woche drin sein müssen für dieses Hobby. So können Ressourcen wieder hergestellt werden. Eltern müssen sich nicht zusammenreißen. Oft ist Familien auch gar nicht klar, wo sie Unterstützung bekommen können. Wenn viele Konflikte in der Familie vorliegen, kann zum Beispiel über das Jugendamt eine sozialpädagogische Familienhilfe mit ins Boot geholt werden.

Weihnachten ist Familienzeit, auf die sich vor allem viele Kinder freuen. Für viele Erwachsene bedeuten die Zeit häufig, viele Erwartungen und Verpflichtungen unter einen Hut zu bringen. Wie können Familien die Feiertage in diesem Jahr speziell dafür nutzen, sich zu stärken?

Es geht darum, sich zu fragen, was uns an Weihnachten wirklich wichtig ist. Ist es wirklich wichtig, dass ein Fünf-Gänge-Menü an beiden Weihnachtsfeiertagen auf den Tisch kommt oder zählt vor allem eine schöne Zeit miteinander? Ist es uns vielleicht wichtiger, dass wir gemeinsam den Weihnachtsbaum schmücken, anstatt dass alles super schön geputzt sein muss?

In diesem Jahr kommt natürlich die Frage hinzu, wie es für einen ist, die Familie zu treffen. Ist man die ganze Zeit in Sorge, weil man jemanden anstecken könnte? Es geht also darum, sich auch von Konventionen und Erwartungen von außen zu lösen. Das ist nicht einfach. Hilfreich kann dazu sein, Auszeiten einzuplanen. Zum Beispiel festzuhalten, dass die Familie auch an Weihnachten nicht ununterbrochen aufeinander hängen muss. Man plant also ein gemeinsames Essen und danach ist es auch ok, wenn jeder etwas für sich unternimmt.

Vielen Dank für das Gespräch!

Das Interview führte Anna Bordel für rbb|24.

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