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Video: rbb24 Abendschau | 31.08.2022 | Kerstin Breinig | Quelle: dpa/Britta Pedersen

Nachruf auf Hans-Christian Ströbele

"Dieser politische Drang, etwas zu verändern"

Freigeist, Rechtsanwalt, Apo-Aktivist, leidenschaftlicher Radfahrer: Der Berliner Grünen-Politiker Hans-Christian Ströbele hatte viele Gesichter. Nun ist er nach langer Krankheit verstorben. Von Ute Schuhmacher

Ein schwarzes Herrenrad mit lila Gabel, eine in die Jahre gekommene beige Ledertasche klemmt auf dem Gepäckträger – so fuhr Hans-Christian Ströbele Jahrzehnte mit wehendem Haar durch Berlin. Vor allem unterwegs zwischen seiner Wohnung in Tiergarten, dem Bundestag und seinem Wahlkreis in Friedrichshain-Kreuzberg. Entgegen der gängigen Meinung: Gewohnt hat Ströbele nie in Kreuzberg. Trotzdem war es "sein" Bezirk, von der Mentalität, der Mischung der Menschen, vom Ambiente: "Ich bin ein Linker", sagte Ströbele einmal über sich. Der einstige RAF-Anwalt hielt an seinen Überzeugungen fest. Auf die Frage, ob er politisch jemals auf der falschen Seite gestanden habe, antwortete Ströbele mal in einem Interview kurz und überzeugt: "Nö!"

Im Alter von 83 Jahren

Berliner Grünen-Politiker Hans-Christian Ströbele gestorben

Er war RAF-Anwalt und Mitbegründer der Grünen. Ein sensationeller Wahlsieg machte Hans-Christian Ströbele zur Parteilegende. Nun ist er nach langer Krankheit im Alter von 83 Jahren gestorben.

Ströbele war mal für Atomkraft

Ganz so gradlinig war aber auch Ströbele nicht. Zu seine Apo-Zeiten war er noch ein großer Atomenergie-Fan. Bei der Apo war die Meinung sehr verbreitet, dass die Atomkraft für die Entwicklung Menschheit ungeheure Chancen bietet, erzählte Ströbele. Und er verwies darauf, dass auch Rudi Dutschke mal glaubte, die Atomkraft könne die menschliche Arbeit weitgehend ersetzen quasi ein Perpetuum mobile. Als dann die Antiatomkraftbewegung aufkam, war Ströbele erst sehr kritisch, bestätigt er im Interview. Die AKW-Gegner haben ihn aber überzeugt. So sehr, dass er einer der glühendsten Verfechter der Bewegung wurde.

Das vielleicht bekannteste Fahrrad Berlins (Aufnahme von 2017) | Quelle: rbb/Ute Schumacher

Ikone und Quälgeist zugleich

Überwiegend stimmt es aber: Ströbele blieb über die Jahre, wer er war: erklärter Antiimperialist, Basisdemokrat, Freigeist. Seine Anhänger empfanden das als konsequent – andere attestierten ihm dagegen fehlende Lernfähigkeit. Aber auch seine Kritiker zollten ihm Respekt. Für seine eigene Partei war Ströbele Ikone und Quälgeist zugleich. Als beispielsweise unter der rot-grünen Schröder/Fischer-Koalition die Bundeswehr 1999 in den Kosovokrieg eingriff, kritisierte Ströbele die Grünen scharf: "Ich verstehe meine Fraktion nicht, die für mehr Frieden in der Welt angetreten ist, die Friedenspolitik machen will. Und sie ist damit einverstanden, dass nicht einmal darüber geredet wird, wenn nach 54 Jahren von deutschem Boden wieder Krieg ausgeht." Noch Jahre später konnte sich Ströbele über die Abstimmung damals im Bundestag aufregen.

Ströbele und Snowden

Weltweit bekannt wurde Ströbele durch seinen Coup, 2013 Edward Snowden in Moskau zu besuchen. Ein Resultat seiner Reise war Snowdens Bereitschaft, vor dem NSA-Untersuchungsausschuss des Bundestages auszusagen. Nicht nur damit brachte der Abgeordnete Ströbele Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) in Bedrängnis. In einer Rede im Bundestag setzte Ströbele noch einen oben drauf. Er fragte Merkel: "Haben Sie einmal darüber nachgedacht, sich bei Edward Snowden zu bedanken? Immerhin haben Sie es ihm und seinen mutigen Enthüllungen zu verdanken, dass Ihr Handy wahrscheinlich derzeit nicht abgehört wird.“

Erster Grüner mit Direktmandat im Bundestag

Ströbele der Überzeugungstäter: In den 70er-Jahren verteidigte er mit Leidenschaft die RAF-Angehörigen um Andreas Baader und Ulrike Meinhof. Ende der 70er-Jahre gründete er die Alternative Liste in Berlin mit. In der Zeit der rot-grünen Koalition von 1998 bis 2005 entwickelte sich Ströbele zu einem der schärfsten innerparteilichen Kritiker des damaligen grünen Außenministers Joschka Fischer. Auch das kostete ihn für den Bundestagswahlkampf 2002 innerparteilich den aussichtsreichen Listenplatz.

Aufgeben wollte Ströbele aber nicht und kämpfte für ein Direktmandat. Und er schaffte es: Als erster Grüner überhaupt errang er 2002 tatsächlich ein Direktmandat für den Deutschen Bundestag. Vier Mal in Folge erkämpfte er es – bis er dann mit 77 Jahren erklärte, für ein fünftes Direktmandat nicht mehr genug Kraft zu haben.

Die Politik war seine Droge

Politisch einmischen wollte sich Ströbele aber weiter: "Solange ich das irgendwie kann, werde ich das machen. Dafür sind mir diese Themen zu wichtig." Und in der Tat war der Dauer-Demo-Gänger Ströbele ohne Politik nicht denkbar. Politik war seine Droge – nicht das Hanf für dessen Freigabe er lange kämpfte. Nicht mal geraucht hat Ströbele, geschweige denn gekifft, lieber hat er Milch getrunken.

Mit zunehmendem Alter fiel ihm das Gehen immer schwerer, deshalb musste er nicht nur das Fahrradfahren aufgeben. Auch demonstrieren ging nicht mehr gut. 2019 gönnte er sich aber noch eine Fridays for Future-Demo. "Wenn ich begleitet werde, geht es einigermaßen", sagte Ströbele und lächelte. Jammern über seine Krankheit war nicht seins. Lieber kümmerte er sich um Themen, mischte sich ein. Zuletzt vor allem online und per Twitter – dafür brauchte er nirgendwo hin zu gehen.

Am Montag starb Hans-Christian Ströbele an den Folgen seiner Krebserkrankung. Er habe entschieden, dass er den langen Leidensweg, den ihm seine Erkrankung zugemutet habe, nicht mehr fortsetzen wolle und lebenserhaltende Maßnahmen reduziert, wie sein Rechtsanwalt am Mittwoch mitteilte. Er sei bis zuletzt bei vollem Bewusstsein gewesen. "Nicht der Geist, der Körper wurde ihm zur Qual und hat ihn am 29. August 2022 verlassen."

Sendung: rbb Kultur, 31.08.2022, 16 Uhr

Beitrag von Ute Schuhmacher

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