Nachruf auf Hans-Christian Ströbele - "Dieser politische Drang, etwas zu verändern"

Mi 31.08.22 | 11:59 Uhr | Von Ute Schuhmacher
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Hans-Christian Ströbele © dpa/Britta Pedersen
Video: rbb24 Abendschau | 31.08.2022 | Kerstin Breinig | Bild: dpa/Britta Pedersen

Freigeist, Rechtsanwalt, Apo-Aktivist, leidenschaftlicher Radfahrer: Der Berliner Grünen-Politiker Hans-Christian Ströbele hatte viele Gesichter. Nun ist er nach langer Krankheit verstorben. Von Ute Schuhmacher

Ein schwarzes Herrenrad mit lila Gabel, eine in die Jahre gekommene beige Ledertasche klemmt auf dem Gepäckträger – so fuhr Hans-Christian Ströbele Jahrzehnte mit wehendem Haar durch Berlin. Vor allem unterwegs zwischen seiner Wohnung in Tiergarten, dem Bundestag und seinem Wahlkreis in Friedrichshain-Kreuzberg. Entgegen der gängigen Meinung: Gewohnt hat Ströbele nie in Kreuzberg. Trotzdem war es "sein" Bezirk, von der Mentalität, der Mischung der Menschen, vom Ambiente: "Ich bin ein Linker", sagte Ströbele einmal über sich. Der einstige RAF-Anwalt hielt an seinen Überzeugungen fest. Auf die Frage, ob er politisch jemals auf der falschen Seite gestanden habe, antwortete Ströbele mal in einem Interview kurz und überzeugt: "Nö!"

Ströbele war mal für Atomkraft

Ganz so gradlinig war aber auch Ströbele nicht. Zu seine Apo-Zeiten war er noch ein großer Atomenergie-Fan. Bei der Apo war die Meinung sehr verbreitet, dass die Atomkraft für die Entwicklung Menschheit ungeheure Chancen bietet, erzählte Ströbele. Und er verwies darauf, dass auch Rudi Dutschke mal glaubte, die Atomkraft könne die menschliche Arbeit weitgehend ersetzen quasi ein Perpetuum mobile. Als dann die Antiatomkraftbewegung aufkam, war Ströbele erst sehr kritisch, bestätigt er im Interview. Die AKW-Gegner haben ihn aber überzeugt. So sehr, dass er einer der glühendsten Verfechter der Bewegung wurde.

Fahrrad von Hans-Christian Ströbele lehnt angeschlossen an einem Zaun (Quelle: rbb/Ute Schumacher)Das vielleicht bekannteste Fahrrad Berlins (Aufnahme von 2017)

Ikone und Quälgeist zugleich

Überwiegend stimmt es aber: Ströbele blieb über die Jahre, wer er war: erklärter Antiimperialist, Basisdemokrat, Freigeist. Seine Anhänger empfanden das als konsequent – andere attestierten ihm dagegen fehlende Lernfähigkeit. Aber auch seine Kritiker zollten ihm Respekt. Für seine eigene Partei war Ströbele Ikone und Quälgeist zugleich. Als beispielsweise unter der rot-grünen Schröder/Fischer-Koalition die Bundeswehr 1999 in den Kosovokrieg eingriff, kritisierte Ströbele die Grünen scharf: "Ich verstehe meine Fraktion nicht, die für mehr Frieden in der Welt angetreten ist, die Friedenspolitik machen will. Und sie ist damit einverstanden, dass nicht einmal darüber geredet wird, wenn nach 54 Jahren von deutschem Boden wieder Krieg ausgeht." Noch Jahre später konnte sich Ströbele über die Abstimmung damals im Bundestag aufregen.

Ströbele und Snowden

Weltweit bekannt wurde Ströbele durch seinen Coup, 2013 Edward Snowden in Moskau zu besuchen. Ein Resultat seiner Reise war Snowdens Bereitschaft, vor dem NSA-Untersuchungsausschuss des Bundestages auszusagen. Nicht nur damit brachte der Abgeordnete Ströbele Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) in Bedrängnis. In einer Rede im Bundestag setzte Ströbele noch einen oben drauf. Er fragte Merkel: "Haben Sie einmal darüber nachgedacht, sich bei Edward Snowden zu bedanken? Immerhin haben Sie es ihm und seinen mutigen Enthüllungen zu verdanken, dass Ihr Handy wahrscheinlich derzeit nicht abgehört wird.“

Erster Grüner mit Direktmandat im Bundestag

Ströbele der Überzeugungstäter: In den 70er-Jahren verteidigte er mit Leidenschaft die RAF-Angehörigen um Andreas Baader und Ulrike Meinhof. Ende der 70er-Jahre gründete er die Alternative Liste in Berlin mit. In der Zeit der rot-grünen Koalition von 1998 bis 2005 entwickelte sich Ströbele zu einem der schärfsten innerparteilichen Kritiker des damaligen grünen Außenministers Joschka Fischer. Auch das kostete ihn für den Bundestagswahlkampf 2002 innerparteilich den aussichtsreichen Listenplatz.

Aufgeben wollte Ströbele aber nicht und kämpfte für ein Direktmandat. Und er schaffte es: Als erster Grüner überhaupt errang er 2002 tatsächlich ein Direktmandat für den Deutschen Bundestag. Vier Mal in Folge erkämpfte er es – bis er dann mit 77 Jahren erklärte, für ein fünftes Direktmandat nicht mehr genug Kraft zu haben.

Die Politik war seine Droge

Politisch einmischen wollte sich Ströbele aber weiter: "Solange ich das irgendwie kann, werde ich das machen. Dafür sind mir diese Themen zu wichtig." Und in der Tat war der Dauer-Demo-Gänger Ströbele ohne Politik nicht denkbar. Politik war seine Droge – nicht das Hanf für dessen Freigabe er lange kämpfte. Nicht mal geraucht hat Ströbele, geschweige denn gekifft, lieber hat er Milch getrunken.

Mit zunehmendem Alter fiel ihm das Gehen immer schwerer, deshalb musste er nicht nur das Fahrradfahren aufgeben. Auch demonstrieren ging nicht mehr gut. 2019 gönnte er sich aber noch eine Fridays for Future-Demo. "Wenn ich begleitet werde, geht es einigermaßen", sagte Ströbele und lächelte. Jammern über seine Krankheit war nicht seins. Lieber kümmerte er sich um Themen, mischte sich ein. Zuletzt vor allem online und per Twitter – dafür brauchte er nirgendwo hin zu gehen.

Am Montag starb Hans-Christian Ströbele an den Folgen seiner Krebserkrankung. Er habe entschieden, dass er den langen Leidensweg, den ihm seine Erkrankung zugemutet habe, nicht mehr fortsetzen wolle und lebenserhaltende Maßnahmen reduziert, wie sein Rechtsanwalt am Mittwoch mitteilte. Er sei bis zuletzt bei vollem Bewusstsein gewesen. "Nicht der Geist, der Körper wurde ihm zur Qual und hat ihn am 29. August 2022 verlassen."

Sendung: rbb Kultur, 31.08.2022, 16 Uhr

Beitrag von Ute Schuhmacher

28 Kommentare

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  1. 28.

    Ruhen Sie in Frieden, Hans-Christian Ströbele.

    Danke dass Sie, ja, Sie, mir den Blick für grüne Politik geöffnet haben. Man muss nicht mit allem einverstanden sein, was grün ist oder sein will, das waren Sie auch nicht, aber der Grundansatz war richtig, grüne Politik für den Erhalt des Planeten. Wie unten schon angedeutet, eine bessere Bestätigung für die Daseinsberechtigung grüner Politik als die neueste, sagen wir, letzte Warnung des Club of Rome vor dem Kollaps, kann es kaum geben. Auch ihr Herz für durchaus streitbares alternatives Leben hat nicht jedem geschmeckt, na und?, wichtig ist immer, Menschen mitzunehmen, damit sie wenigstens über was nachdenken, ablehnen kann man dann immer noch. Alles richtig gemacht, Herr Ströbele. Nicht nur ich werde Sie vermissen, wahrscheinlich noch schmerzlich.

    D.M.

  2. 27.

    Ich finde, diese ganzen Elogen über diesen schrecklichen Politiker gehören auf den Friedhof und nicht hier in die Öffentlichkeit! Mag der grüne Friedhofsbeauftragte alles noch mal wieder kauen, der rbb hat sich unglaubwürdig (wieder mal) mit diesen grünen dummen Geschreibsel gemacht. Und ihr wollt weiter Journalismus machen? So nicht...

  3. 26.

    Verstehe ich nicht warum man kein Beitrag einstellen und zum kommentieren frei geben soll.
    Ist doch bei allen Themen so das es solcher User/innen gibt
    Und ausserdem hat immer noch der rbb24 das Hausrecht und die Entscheidungen. Im Gegenteil ich finde sehr gut das solcher menschenverachtende Kommentar freigeschaltet wurde, daran kann man sehen was es doch für Menschen gibt die nicht mal Achtung und Anstand haben. Denn hinter jeden@ sitzt ja ein Mensch aus Fleisch und Blut.
    @Rita wird sich diebisch freuen aber auch ihre Stunde kommt mal.

  4. 25.

    "Ensslin nannte ihn „Schwein, Intrigant, Bulle“, die Stammheimer Richter aber hielten ihn für einen RAF-Sympathisanten und schlossen ihn von der Verteidigung aus." (TAZ)

    Ganz so einfach ist die Sicht auf die Dinge nicht. Richtig bewerten kann man sowas nie aus der Rückschau, sondern nur als Zeitzeuge. Und dann hängt dies auch von ihrer politischen Gesinnung ab. Offenbar gab es aber in der "freiheitlichen" Grundordnung Westdeutschlands zu dieser Zeit noch einige Verwerfungen die viele Protestbewegungen, gerade bei den Jüngeren, auslöste.
    Unterm Strich war Ströble sicher kein Beführworter der politischen Gewalt, aber ganz sicher ein Linker, der natürlich die Probleme des Weiterso sehr früh erkannte und konsequent, aber mit demokratischen Mitteln, für grundlegende Korrekturen stritt. Wie notwenig die sind, sehen wir jeden Tag aufs Neue und schließlich hat der "Club of Rome" in seinem 1972-iger Bericht "Die Grenzen des Wachstums" dies wissenschaftlich bestätigt und veröffentlicht.

  5. 24.

    Genau meine Meinung: Lieber RBB, bitte lasst doch nicht alles kommentieren. Jeder hat ein Recht auf seine Meinung, aber manchmal ist deren Veröffentlichung unpassend...

  6. 23.

    Eine wichtige Passage im Nachruf mit dem Rückzug als Vorstsndssprecher von Bündnis90/Die Grünen blieb noch unerwähnt:

    Der Spiegel vom 28.4.1991, Unser Kampf

    Diese neue deutsche Unschuld, die linke Variante der Gnade der späten Geburt, hat auch Hans Christian Ströbele dazu gebracht, einen Satz zu sagen, den er noch heute inhaltlich für richtig und nur für unglücklich formuliert hält: »Die irakischen Raketenangriffe auf Israel sind die logische, fast zwingende Folge der israelischen Politik.«

  7. 22.

    Ein Politiker der lernfähig und auch lernwillig war.
    Ein Politiker dem ich Respekt zollte, etwas was selten vorkommt.

  8. 21.

    Lieber Christian, du wirst uns als letzter 68lger mit Standvermögen fehlen. Du hast Grossartiges bewirkt, danke!

  9. 20.

    Ach warum? Hier kommen überwiegend positive Reaktionen und persönliche Eindrücke auf diesen Artikel und die Person Ströbele. Nur weil ein oder zwei Leute mit Dreck schmeißen und diese auch hier gerade gerückt werden, muss eine Kommentarfunktion nicht deakiviert sein.

  10. 19.

    Wenn ich mir so manche Kommentare, nicht nur hier, durchlese, frage ich mich ernsthaft, ob es nicht pietätvoller wäre Nachrufe und dazu begleitende Berichte unkommentiert zu lassen.

  11. 18.

    Den Herrn Ströbele kann ich,wie es auch alle anderen sollten, nur nachtrauern, hier ging ein aufrechter Pazifist,der auch mal Klartext geredet hat. Sowas vermisse ich heutzutage.Alle reden viel,ohne überhaupt etwas zu sagen. Ich vermisse die Wahrheit und das bei allen Parteipolitikern. Jeder Politiker sollte sich selbst mal fragen,vertrete ich überhaupt noch die Menschen unseres Landes,für die ich gewählt bin. Das angebliche Handeln nach eigenemGewissen der Politer ist doch nur Ausrede und scheinheiliger Quark.

  12. 17.

    Ach Rita, so viel Frust und Boshaftigkeit gegenüber allem und jedem kann doch für die geistige Gesundheit nicht gerade förderlich sein.

    Der Ströbele war einfach ein guter Typ, der immer streitbar im besten Sinne und kein Dogmatiker mit unveränderbaren Ansichten war, sich dabei aber immer treu blieb. Seine Partei, und nicht nur diese, hat ihm jedenfalls sehr viel zu verdanken. Respekt!

  13. 16.

    Ströbele hat als Anwalt und aus Überzeugung die RAF verteidigt, also den Linksterrorismus in den 70er. Dieser Auffassung ist er bis zum Schluß gefolgt. Er war gegen Waffen, aber hat aus Überzeugung geduldet, dass Menschen durch die RAFdurch Waffen getötet wurden.

  14. 15.

    Ruhe in Frieden Ströbi - ein Grüner vom alten Schlag, als diese Partei noch wählbar war.

  15. 14.

    Ströbele war nicht radikal.
    Er hatte sicherlich experimentelle Ansichten aber auch eine Art bodenständige Vernunft.
    Man konnte ihm zuhören ohne den TV abschalten zu müssen.
    Stöbele war ein Politiker mit Würde.
    Radikal ist das, was wir heute von den Grünen geboten bekommen. Nur wird uns dies als vernünftig und notwendig verkauft.

  16. 13.

    Sehr sehr schade um diesen umtriebigen und integren Menschen! Ruhen Sie in Frieden Herr Ströbele.

  17. 12.

    Ströbele war anders, als die Berufspolitiker. Vielleicht war er Volksnäher, als viele seiner Kollegen.
    Privates erfuhr man ja wenig aus seinem Umfeld. Politisch polarisierte er enorm. Er ließ im Gegensatz zu heute, auch andere Meinungen zu und hörte sich diese an. Heute zählt bekanntlich nur noch eine Meinung. Die von dem, der am lautesten schreit.
    Trotzdem missfiel mir immer dieses Guru-hafte, teilweise schon weltfremde bei den Alternativen und Grünen, auch wenn dies nie so öffentlich gemacht wurde.
    Heute sind die Grünen für mich eine Kriegspartei geworden, was mich an Deutschland 1914 erinnert. Wir gingen, siegen und kommen schnell wieder zurück.Kamen sie jedoch nicht.
    In dieser Weise stimme ich Ströbele zum Schluss zu, dass er sich nicht hat vorstellen können, dass die Grünen sich so wandeln würden. Statistisch kann man sagen, dass jede dritte Generation wieder einen Krieg erlebt.
    Dies bleibt ihm nun und hoffentlich uns allen erspart.

  18. 11.

    Na Rita, waren Sie Herr ihrer Sinne, als Sie diesen Kommentar verfassten?
    Es fehlen die kausalen und gesamtpolitischen Zusammenhänge. Dieser Kommentar ist respektlos und bildungsfern.
    Was Sie für grüne Anmaßung des Journalismus halten, ist hier eine Zusammenfassung seines Lebens und Wirkens. Da er für die Grünen aktiv tätig war, spielt diese Politik in diesem Artikel hier natürlich eine Rolle.
    Also wirklich Rita... ich wünsche Ihnen eine gut besuchte Beerdigung, auf der alle Gäste Dreck auf ihr Grab schmeißen. Genau so, wie ihr pietätlose Kommentar hier rüberkommt...

  19. 10.

    Das ist blanker Hass.
    Hass macht hässlich. Das Ströbele-Foto hingegen zeugt von Engagement und von Altersmilde, mit sich selbst im Reinen zu sein.

  20. 9.

    Der letzte "echte gerade Grüne" ist nun auch Geschichte. Schade. Auch wenn seine politischen Ansichten nicht meine waren, und manchmal die Frage im Raum stand, ob er was "geraucht" hatte, verbiegen, oder auf Parteilinie hat er sich nie bringen lassen wenn es ihm nicht passte. Ab jetzt ist nur noch die jederzeit austauschbare Parteinachzucht zu genießen.

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