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Audio: rbb24 Inforadio | Mi 14.09.22 | Quelle: IMAGO/Michael Bihlmayer

Sozialreform der Ampel-Koalition

Bundeskabinett gibt grünes Licht für Einführung des Bürgergelds

Hartz IV soll schon bald der Vergangenheit angehören. Begleitet von Kritik aus der Wirtschaft und von Sozialverbänden beschließt die Bundesregierung das Bürgergeld, erhöht die Leistungen und will den Umgang mit den Betroffenen verbessern.

Das Bundeskabinett hat die wichtigste Sozialreform der Ampel-Koalition auf den Weg gebracht. Es billigte am Mittwoch in Berlin den Gesetzentwurf von Bundesarbeitsminister Hubertus Heil (SPD) für die Einführung des Bürgergelds zum Beginn des kommenden Jahres. Es soll die bisherigen Hartz-IV-Leistungen ablösen.

Der Regelsatz für einen Erwachsenen wird von 449 Euro auf 502 Euro im Monat steigen. Ehe- und Lebenspartner oder -partnerinnen erhalten im nächsten Jahr knapp 50 Euro, Kinder zwischen 33 und 44 Euro mehr. Künftig soll bei der Berechnung die Inflation im Vorhinein und nicht erst im Nachhinein berücksichtigt werden.

Kritik aus Wirtschaft und von Sozialverbänden

Das Bürgergeld ist eine Antwort der Koalition aus SPD, Grünen und FDP auf die jahrzehntelangen Proteste gegen das Hartz-IV-System. Aus der Wirtschaft kommt Kritik, die Leistungen seien zu hoch und verringerten die Motivation zur Arbeitsaufnahme. Sozialverbände hatten im Vorfeld der Reform hingegen höhere Sätze von rund 650 Euro gefordert und auf die Inflation verwiesen, die die geplante Erhöhung bereits auffresse.

Die Präsidentin des Sozialverbands VdK, Verena Bentele, warnte die Wirtschaft davor, Bürgergeld-Empfänger gegen Niedriglöhner auszuspielen. Die Erhöhung der Leistungen um 50 Euro sei für Menschen in der Grundsicherung ein überfälliger Inflationsausgleich. Wenn jetzt Stimmen aus der Wirtschaft laut würden, dass mit dem Bürgergeld Nicht-Arbeiten attraktiv werde, könne sie nur entgegnen: "Wir brauchen höhere Löhne im Niedriglohnsektor", sagte Bentele. Arbeitgeberpräsident Rainer Dulger hatte die Reform hingegen als "arbeitsmarktpolitisch fatale Wegmarke" bezeichnet. Mit dem Bürgergeld würden keine Brücken ins Arbeitsleben, sondern in das Sozialtransfersystem geschlagen, kritisierte er.

Rund fünf Millionen beziehen Grundsicherungsleistungen

Arbeitsminister Heil wies die Kritik zurück. Künftig werde nicht weniger, sondern mehr dafür getan, Menschen wieder dauerhaft in Arbeit zu bringen, erklärte er. Hilfebedürftigkeit könne jede und jeden treffen. Die Menschen müssten sich auf den Staat verlassen können. "Mit der Einführung des Bürgergelds setzen wir ein starkes Signal für Sicherheit und Respekt", sagte der SPD-Politiker. Der Gesetzentwurf geht nun zur Beratung in den Bundestag.

Rund fünf Millionen Menschen beziehen Grundsicherungsleistungen, darunter mehr als eine Million Kinder unter 15 Jahren. Künftig sollen die Jobcenter seltener Sanktionen verhängen und stärker unterstützend tätig werden. Der bisherige Vermittlungsvorrang wird abgeschafft. Langzeitarbeitslose würden damit künftig nicht jeden Job annehmen müssen, wenn sie stattdessen durch eine Weiterbildung längerfristig bessere Chancen auf dem Arbeitsmarkt haben.

Mehr Schutz für Empfängerinnen und Empfänger

Im ersten halben Jahr soll es zudem keine Sanktionen für die Bürgergeld-Bezieher geben. Anschließend kann das Bürgergeld bei Pflichtverletzungen um bis zu 30 Prozent gekürzt werden. Die früheren schärferen Sanktionen für Unter-25-Jährige werden abgeschafft. In Hinblick auf die Bürgergeld-Reform hat die Koalition die Sanktionen bereits weitgehend ausgesetzt. Zudem hatte das Bundesverfassungsgericht 2019 Leistungskürzungen von mehr als 30 Prozent für unzulässig erklärt.

Zu den Änderungen zählt auch, dass Bezieherinnen und Bezieher des Bürgergelds in den ersten beiden Jahren mehr Schutz genießen als frühere Hartz IV-Empfänger. Ihre Wohnung wird weiterbezahlt und Ersparnisse bis 60.000 Euro werden zunächst geschont. Diese Regeln wurden bereits während der Corona-Pandemie eingeführt.

Der Deutsche Städtetag reagierte skeptisch. Die Jobcenter müssten für zwei Jahre jegliche Wohnkosten akzeptieren, kritisierte Hauptgeschäftsführer Helmut Dedy. Das sei zu lange und müsse noch geändert werden. Das Bürgergeld stelle die richtigen Weichen, es müsse aber auch die Balance zwischen Förderung und Fordern erhalten bleiben, mahnte der Chef des Kommunalverbands.

Quelle: rbb|24

Sendung: rbb24 Abendschau, 14.09.22, 19:30 Uhr

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