rbb24
  1. rbb|24
Audio: Inforadio | 24.02.2020 | Autor: Stefan Kunze | Quelle: rbb/Stefan Kunze

Proteste an polnischer Grenze

Grenzregelungen zu Polen reißen Familien auseinander

An mehreren Grenzübergängen zu Polen gab es am Freitagabend Proteste. Denn die Situation spitzt sich für Pendler, Schüler und Familien immer mehr zu. Familien sind getrennt, Schulabschlüsse und Jobs in Gefahr. Von Stefan Kunze und Dilan Polat

Entlang der gesamten deutsch-polnischen Grenze haben am Freitagabend Menschen an den Grenzübergängen gegen die Beschränkungen durch die Coronakrise demonstriert.

Nach Informationen des rbb versammelten sich die Demonstranten im brandenburgischen Grenzgebiet an zwei Orten: in Frankfurt (Oder) und in Rosow (Uckermark). Dabei wurde die Corona-Verordnung nach Veranstalterangaben gewahrt, nach der sich nicht mehr als 20 Menschen zusammenfinden dürfen. An beiden Orten demonstrierten demnach genau 20 Menschen. Zahlreiche weitere bewegten sich vereinzelt im Umfeld der Versammlungen. Mit-Organisator Michael Kurzwelly sagte dem rbb am Freitagabend, man könne die Menschen nicht einfach zertrennen.

Mehr zum Thema

Polnische Grenze geschlossen wegen Corona

Polnische Schüler sollen trotz Corona in Frankfurt Abitur machen

   

Zur Arbeit und nach Hause

Unter dem Motto "Lasst uns zur Arbeit, lasst uns nach Hause" wollten auch an zahlreichen Grenzübergängen in Brandenburg Gruppen ihrem Unmut Luft machen. In Guben und Gubin etwa wollen laut Lausitzer Rundschau Spaziergänger auf beiden Seiten der Neiße die Ode an die Freude [www.lr-online.de] singen. Proteste waren auch für Hohenwutzen/Osinów Dolny sowie die Frankfurter Stadtbrücke angekündigt. Die Organisatoren versicherten im Vorfeld, dass bei allen Aktionen der Sicherheitsabstand von 1,50 Meter eingehalten werde.

Für den Grenzübergang Frankfurt(Oder)-Słubice hatte Michael Kurzwelly vom deutsch-polnischen Verein Słubfurt die Demonstration auf der Stadtbrücke angemeldet. "Wir werden auf die Brücke gehen und vor der Grenzlinie mit einem großen Lautsprecher stehen", erklärt er. Dort solle es verschiedene Redebeiträge geben, "auch von den Pendlerinnen und Pendlern von Słubicer Seite, die hier jetzt festsitzen".

Quelle: rbb/Stefan Kunze

Zwei Jobs in Frankfurt, die Familie in Słubice

Stellvertretend für diese spricht Urszula Pawlik. Sie arbeitet in Frankfurt (Oder) für eine Garten- und eine Reinigungsfirma. "Ich habe meine Familie in Polen, in Słubice, gelassen, drei Kinder und meinen Mann, weil ich hier zwei Jobs habe", sagt sie.

"Wenn ich nicht arbeiten gehe, dann kann mein Arbeitgeber mir Urlaub geben, aber der Urlaub wird unbezahlt sein", sagt sie. Deswegen wohnt die 37-Jährige in Frankfurt bei einer Kollegin und deren vierköpfiger Familie. Kontakt zu ihrer eigenen Familie und den drei Töchtern, die Kleinste ist 4 Jahre alt, hat sie seit dem 27. März nur am Telefon und über WhatsApp. "Ich habe mit meiner Tochter schon durch das Telefon ein Würfelspiel gespielt. Manches Mal reden wir zwei Stunden", sagt Pawlik.  

Auch interessant

Corona-Maßnahmen

Jugendreise-Branche schlittert in akute Existenznot

   

Schule und Abschluss in Frankfurt

Pawliks große Tochter geht in Frankfurt zur Oberschule Heinrich von Kleist. Sollte die Grenze sogar bis Juni geschlossen bleiben, was im Nachbarland diskutiert wird, wäre das ein großes Problem, denn die Tochter habe im Mai Abschlussprüfungen. "Und die muss sie bestehen, denn nur dann kann sie am Oberstufenzentrum ihre Ausbildung als Sozialpädagogin beginnen", sagt Pawlik.  

Quelle: rbb/Piotr Zarzycki

Forderungen nach konkreten Verbesserungen und Öffnungsdatum

Viele Grenzgänger seien durch die Grenzschließungen gezwungen worden umzusiedeln, aber nicht alle können sich das leisten, heißt es in dem Aufruf zur Demonstration. "Viele Arbeitnehmer haben ihren Arbeitsplatz verloren oder sind mit Arbeitsplatzverlusten konfrontiert." Aber die Grenzregelungen würden nicht nur diejenigen betreffen, die die Grenze täglich auf dem Weg zur Arbeit überqueren.

Auch diejenigen, die zum Arzt gehen wollen, oder Schüler, die an deutschen Schulen lernen, seien betroffen. Denn seit dem 20. April findet wieder Unterricht für die Abschlussklassen statt. Die Unterzeichner fordern die Aufhebung der Quarantänepflicht für Grenzgänger und Schüler und die Öffnung weiterer Grenzübergänge, etwa in Zittau/ Porajów.

Außerdem solle ermöglicht werden, Waren und etwa Medikamente an der Grenze zu übergeben, ohne sie zu überschreiten. Das ist zur Zeit nicht möglich. Die Demonstranten fordern außerdem ein Datum für die geplante Grenzöffnung. "Wir wollen die Aufmerksamkeit auf uns lenken, Warschau kennt unsere Probleme nicht", heißt es in dem Aufruf.

Coronavirus in Polen

Polen lockert Beschränkungen, Grenze bleibt geschlossen

   

Vater lebt in Polen

Ähnlich wie Urszula Pawlik geht es Natalja Majchzrak. Mehr als 20 Jahre, seit dem Beginn ihres Studiums, lebt sie in der Doppelstadt Frankfurt-Słubice. Seit einem Jahr wohnt sie auf der deutschen Oderseite, aber ihr Sohn geht noch in Słubice zur Schule. Noch ist unklar, wann dort der Schulbetrieb wieder aufgenommen wird, eigentlich sollte es nächste Woche sein.

"Die Grenzen sind ja erst einmal bis 3. Mai geschlossen, ich weiß nicht, welche Lösung ich da haben werde. Außerdem lebt der Vater von meinem Sohn in Polen, er hat ihn schon über einen Monat nicht gesehen", sagt die 39-jährige.

Grenze plötzlich als Barriere

Die Probleme von Anja Gumprechts drei Töchtern sind da schon fast banal. Sie haben jeweils ihre besten Freundinnen in Slubice. "Eins von meinen Kindern schläft in der Regel am Wochenende in Polen oder eins von den Kindern bei uns und das ist jetzt seit sieben Wochen nicht möglich", sagt die Heilpädagogin.

Ihre Kinder hätten Grenze bisher als offene Brücke erlebt, aber nicht in Form einer Barriere."Am Schwierigsten finde ich, dass es für mich keine sinnvolle Erklärung für die Grenzregelungen gibt. Denn wir und auch meine Töchter wissen ja auch, dass sich das Virus sich nicht von einer Grenze aufhalten lässt."

Mehr zum Thema

Polnische Grenzkontrollen wegen Corona

"Das ist doch kein Leben"

   

Offener Protest nur auf der deutschen Seite

Doch der offene Protest mit Reden und der Ode an die Freude kann nur auf deutscher Seite stattfinden. "Auf Słubicer Seite darf ja nicht demonstriert werden, ich nehme an, dort wird es viele Spaziergänger geben mit Hunden, die auch zufällig die Ode an die Freude singen und wir versuchen das zu koordinieren, so dass auch von Słubicer Seite einige Beiträge über unsere Lautsprecher laufen können", hofft Organisator Michael Kurzwelly.

Wegen der Corona-Regelungen dürfen maximal 20 Teilnehmer an der von ihm angemeldeten Demo teilnehmen. "Wenn mehr als 20 teilnehmen wollen, muss ich die Menschen nach Hause schicken", sagt Kurzwelly.

In Frankfurt hat inzwischen ein zweiter deutsch-polnischer Verein hat unweit der Stadtbrücke eine weitere Veranstaltung angekündigt, in Höhe der Konzerthalle von Frankfurt (Oder). Beide Demonstrationen begannen um 19 Uhr.  

Auch interessant

Neuerungen zu Corona-Regeln

Brandenburg führt Maskenpflicht ein, Spielplätze bleiben zu

   

Protest Korespondencynie - Protest per Brief

Weil die polnische Seite befürchtet, dass es Schwierigkeiten gibt, ist der ursprünglich zur Demo aufrufende Facebook-Eintrag jetzt überschrieben. Die Initiatoren fordern nun zu "Protest Korespondencynie" auf, also zu Protest per Brief.

"Wir haben die Meinungen von Anwälten eingeholt, sie sagen, dass wir uns nach den eingeführten Beschränkungen nicht treffen können, um unsere Unzufriedenheit zum Ausdruck zu bringen", heißt es. Um der Sicherheit willen sei die Protestform daher geändert worden.

"Ich schlage vor, ein Protestschreiben an den Innenminister, den Premierminister und den Präsidenten zu schicken. Wenn jeder von Ihnen einen Brief schickt und diese mehreren tausend Briefe die Beamten erreichen, besteht eine gute Chance, dass sie dadurch die Augen für unser Problem öffnen", heißt es weiter. [facebook.com]

Mehr zum Thema

Beschränkungen wegen Corona

Was in Brandenburg jetzt erlaubt ist - und was verboten

   

Unmut in der Uckermark

Der Unmut über die Grenzschließungen ist auch in der Uckermark sehr groß. Denn hier fehlen die Arbeitskräfte vor allem im Bereich der medizinischen Versorgung, fast ein Drittel der Belegschaft des Schwedter Asklepios-Klinikums kommt aus Polen.

So auch in der Schwedter Physiotherapiepraxis Vitalis. Auch hier fehlen die polnischen Kollegen. Wer Ostern bei seiner Familie war, musste zwei Wochen dort in Quarantäne und durfte nicht zurück zur Arbeit in Deutschland. Die Physiotherapeutin Karolina Alaba arbeitet deshalb viel mehr als sonst, was für die Alleinerziehende sehr nervenaufreibend ist. Vor allem wenn als Aufsicht für ihren 10-jährigen Sohn auch noch die Großeltern in Polen fehlen.  

Medikamentenpäckchen auf der Straße

Mariusz Nowara hat sich für seinen Arbeitsplatz in der Greif-Apotheke in Gartz entschieden und ist seit fünf Wochen von seiner Familie in Polen getrennt. Er weist auf ein weiteres Probelm in der medizinischen Versorgung hin. "Wir haben Deutsche, die in Polen wohnen, aber in Deutschland versichert sind", sagt er. "Wir kriegen die Rezepte, aber wir müssen uns überlegen, wie wir die Medikamente zu den Patienten schicken können."

Seitdem die Grenze dicht ist, muss Mariusz Nowara  deswegen zu ungewöhnlichen Mitteln greifen. "Ich habe ein Päckchen gemacht und mich mit Bekannten an der Grenze getroffen. Das Päckchen habe ich auf der Straße liegen lassen, so dass sie es dann mitnehmen konnten und die Patienten haben dann ihre Medikamente bei den Bekannten abgeholt."  

Keine Reaktion aus Warschau

Unzumutbare Zustände, findet Marta Szuster, die die erlaubte 20-Mann-Demo am Grenzübergang Rosow am Freitagabend organisiert. Bei ihrer Facebook-Gruppe "Grenzler" haben sich in wenigen Tagen rund 6.500 Betroffene angemeldet.  

"Hunderte, Tausende haben an die Regierung in Warschau geschrieben, viele Schülerinnen und Schüler, aber es gab nicht eine einzige Reaktion aus Warschau", sagt sie. "Der Premierminister hat jetzt angekündigt, dass er den Woiwoden aufträgt, dass sie sich darum kümmern. Naja, das ist ein Schritt."

Sendung:  

Banner auf der Stadtbrücke

Frankfurt und Słubice demonstrieren Zusammengehörigkeit

Artikel im mobilen Angebot lesen