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Quelle: dpa/Wolfram Steinberg

Das Ende der Vielfalt?

Wie Spotify die Musiklandschaft verändert

Wer Musik hört, hört sie heutzutage vor allem über Streaminganbieter wie Spotify. Das Angebot dort ist unendlich groß, ein Abo kostet nicht viel oder ist sogar umsonst. Was macht diese billige Verfügbarkeit mit der Musik? Von Hendrik Schröder

Seit Jahrzehnten ist ein Künstler wie Udo Lindenberg im Geschäft, seit Jahrzehnten bringt er Singles heraus. Deswegen eignet er sich besonders gut, um zu zeigen, was derzeit, befeuert durch die Streamingdienste, passiert: Die Lieder werden immer kürzer. Lindenbergs aktuelle Veröffentlichung "Komet", eine Kooperation mit dem Rapper Apache 207, ist genau zwei Minuten und 47 Sekunden lang und damit die kürzeste Single, die der Altmeister je veröffentlicht hat [youtube.com].

Diese Tendenz bestätigt auch Udo Dahmen, Leiter der Popakademie Baden-Württemberg: "Die Songs sind kürzer geworden und auch die Aufmerksamkeitsspanne der Hörer ist kürzer geworden", sagt er. Charts-Songs seien heute eine ganze Minute kürzer als noch vor 20 Jahren. Außerdem, sagt der Musikprofessor, würde sich der Aufbau der Songs verändern: "Wenn in den ersten zehn Sekunden nicht was besonderes passiert, wird weiter geskippt." Es gebe kaum noch Intros, keinen langsamen Aufbau des Songs, meist gehe es gleich in den Refrain, in eine Art Vorschau auf das gesamte Lied.

"Wenn in den ersten zehn Sekunden nicht was besonderes passiert, wird weiter geskippt": Udo Dahmen, Leiter der Popakademie Baden-Württemberg. | Quelle: dpa/Uwe Anspach

Lieber drei kurze als ein langes Lied

Woher kommt diese Entwicklung und was hat sie mit den Streaminganbietern, allen voran Spotify zu tun? Auf der einen Seite führt das schier endlose Angebot dazu, dass wir einem Lied kaum noch eine Chance geben, wenn es uns nicht sofort packt. Es muss sofort gefallen, sonst skippen wir weiter. Geld von Spotify bekommen die Künstler:innen dann, wenn mindestens 30 Sekunden eines Titels abgespielt werden. Das bedeutet, die Musiker haben ein Interesse daran, dass wir möglichst viele Lieder von ihnen jeweils mindestens 30 Sekunden lang hören. Deswegen produzieren sie lieber drei kurze als ein langes, es lohnt sich einfach mehr. Was nach der ersten halben Minute passiert, ist nach dieser Marktlogik eigentlich egal.

Musikprofessor: "Songs immer ähnlicher geschrieben"

Ein Blick auf die offiziellen Zahlen verrät: Ganz wenige der bei Spotify vertretenen Künstler:innen machen den Großteil der Streams aus. Die meisten verfügbaren Lieder werden kaum oder gar nicht gehört. Das führt dazu, dass, wer einmal Erfolg hat, meistens bei seinem Stil bleibt. Um die Hörer:innen nicht mit etwas Neuem zu verschrecken. Das sorge für eine Dynamik, die den Rahmen für erfolgreiche Musik immer kleiner werden lasse, sagt der Musikprofessor Udo Dahmen. Er beobachte, dass die Marktmechanismen immer stärker bestimmten, was gehört werde. "Das führt zu einer Austauschbarkeit der Lieder, weil die Songs immer ähnlicher geschrieben werden, weil sie immer nach den möglichen Formeln des Erfolgs geschrieben werden", sagt er.

Playlisten: Die Multiplikatoren

Und noch etwas wird immer wichtiger: Die von Spotify kuratierten Playlisten, Empfehlungen, welche Lieder man hören könnte. Das ist praktisch, man klickt einmal auf die Liste, und dann laufen endlos Songs durch, die schon jemand nach bestimmten Kriterien zusammengestellt hat. Für jede Stimmung gibt es etwas Passendes: zum Auto fahren beispielsweise, zum Pasta kochen, chillen, lernen, oder trainieren. Wer es als Musiker auf eine Playlist schafft, hat die Klicks sicher.

Der Berliner Produzent Bastido alias Bastian Kladny ist mit seinem LoFi-Hip Hop vor ein paar Jahren eher zufällig auf einer gelandet. Eine Kombination aus Glück und Algorithmus sei das gewesen, sagt er heute. Wie genau man auf eine offizielle Spotify-Playlist komme, wisse er auch nicht.

Wer sich wiederholt, wird belohnt: Der Berliner Hip-Hop-Produzent Bastido (links). | Quelle: Asadeh Khakban

Nachdem es seine erste Platte ohne sein Zutun auf eine Playlist geschafft hatte, hat Bastido noch drei weitere Alben nach demselben Muster gemacht - und den Erfolg jedes Mal wiederholt. Er landete mit allen dreien auf weiteren Playlisten und hatte teils mehr als eine Million Klicks, wie er erzählt. Das sei natürlich ein schöner Erfolg, sagt der Berliner, führe aber künstlerisch in die Einbahnstraße, weil man sich und seinen Stil immer nur wiederholen würde. Mittlerweile produziere er wieder mehr Sachen, die er wirklich von Herzen macht. Einbußen nehme er dafür in Kauf.

Reich werden die wenigsten Künstler:innen - aber vorbei kann an Spotify trotzdem keiner mehr. | Quelle: imago images/Lobeca

Kein Kulturpessimismus

Aber der Popakademieleiter Udo Dahmen sieht auch gegenläufige Trends. Das Comeback der Vinyl-LP zum Beispiel, die auch von jungen Musikfans immer häufiger gekauft werde und den Wunsch der Käufer nach einer tieferen Auseinandersetzung mit Musik zeige. Und natürlich gibt es weiter die Nischenmusik, die ganz anders aufgebaut ist und vermarktet wird als Chartmusik. Die sich um schnelle Intros oder 30-Sekunden-Regeln nicht schert.

Und eigentlich ist die künstlerische Freiheit heute, wo Produktion, Vertrieb, Herstellung nur noch wenig kosten, größer denn je. Aber wer wirklich Erfolg haben will, muss sich den knallharten Algorithmen von Spotify und Co. unterwerfen. Diverser, breiter, freier wird die Popmusik dadurch kaum. Aber, gibt Dahmen zu bedenken, Musik wurde schon immer im Rahmen der technischen Möglichkeiten produziert - und habe sich dadurch verändert.

Sendung: rbb24 Inforadio, 28.05.2023, 10 Uhr

Beitrag von Hendrik Schröder

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