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Audio: Inforadio | 09.12.2021 | Sylvia Tiegs | Quelle: dpa/Jonas Walzberg

Interview | Angst vorm Familienstreit

Expertin rät, Corona-Konflikte an Weihnachten ruhen zu lassen

Corona-Streit unterm Weihnachtsbaum - das möchte keiner. Aber in vielen Familien herrscht nun mal keine Einigkeit bei dem Thema. Steffi Bahro vom demos-Institut in Potsdam berät Menschen, die ihr Weihnachtsfest vor solchen Streits retten wollen.

rbb|24: Frau Bahro, wer sucht bei Ihnen das Gespräch?

Steffi Bahro: In der Regel sind es Familienmitglieder von Verschwörungsgläubigen, oder enge Freunde oder Kollegen. Tendenziell sind es im Moment vermehrt Familienmitglieder, die sich bei uns melden und sich einen anderen Umgang miteinander wünschen. Da ist eine große Unsicherheit, wie sie weiter miteinander kommunizieren und in Beziehung bleiben können.

Zur Person

Wie verzweifelt sind die Leute?

Meistens haben sie schon eine längere Leidenszeit hinter sich und verschiedene Versuche unternommen, miteinander im Gespräch zu bleiben. Erst, wenn sie gar nicht mehr weiterwissen oder denken, jetzt steht Weihnachten vor der Tür, dann empfinden die Leute Stress. Sie haben Angst davor, welche Situationen auftreten können. Da wollen Sie sich gerne wappnen.

Was erzählen Ihnen die Leute, was belastet sie?

Einerseits sind Ängste da: Wenn man zum Beispiel ungeimpfte Großeltern hat, da jetzt mit den Enkelkindern hinzufahren. Natürlich wollen die Großeltern ihre Enkel zu Weihnachten sehen. Da ist die Angst seitens der Eltern und der Enkel da, dass durch den Weihnachtsbesuch eine Erkrankung ausgelöst wird und man sein Leben lang die Konsequenzen und die Schuldgefühle mit sich rumträgt.

Worin liegen die Schwierigkeiten, das vernünftig zu besprechen?

Das ist unterschiedlich. Manchmal gibt es Konstellationen, in denen gibt es Abhängigkeitsverhältnisse zu diesen Großeltern oder Eltern. Die haben dann eben eine große Summe für einen Kredit zur Verfügung gestellt. Dann traut man sich nicht, offen zu reden und eine eigene Position einzunehmen, deutlich Grenzen zu setzen. Man muss sich da ein Stück weit emanzipieren und sich erlauben zu sagen: "Auch, wenn du mir 100.000 Euro gegeben hast, möchte ich selbst über mein Leben bestimmen dürfen - ob ich mich impfen lasse oder nicht, meine Kinder geimpft werden dürfen oder nicht."

Was raten Sie den Leuten jetzt mit Blick auf Weihnachten?

Das hängt von den eigenen Sorgen und Ängsten ab, und von den Familienkonstellationen. Bleiben wir beim Beispiel der ungeimpften Großeltern und den Enkelkindern. Wir raten zu überlegen: Wie können wir Weihnachten zusammen verbringen, unter welchen Bedingungen, ohne dass wir Angst haben müssen, die anderen anzustecken? Da kann es sein, dass einfach nur der Weihnachtsspaziergang an der frischen Luft vereinbart wird, und mehr geht einfach nicht. Man sitzt dann eben nicht um die Tafel und isst zusammen den Gänsebraten. Manche Lösungen entstehen bei uns in der Beratung, indem sich die Leute erstmal frei machen von den Zwängen, wie Weihnachten traditionell aussehen muss. Wie man seine Rollen zu spielen hat. Man muss sich anschauen, was realistisch erscheint und sich noch gut anfühlt.

Was schlagen Sie vor – außer draußen spazieren zu gehen an Weihnachten?

Also grundsätzlich würde ich für Weihnachten sagen: wenn es einen Konflikt gibt, den zu pausieren. Da gilt der Appell an beide Seiten, dass man sich bewusst macht: man hat eigentlich den Zünder in der Hand und kann entscheiden, ob man denn jetzt drückt oder nicht. Dass es eigentlich um die Beziehung und die gemeinsame Zeit geht. Dass man doch in den weihnachtlichen Stunden verbunden sein möchte und sich nicht darauf konzentrieren soll, was einen gerade trennt.

Nun sind Sie keine Virologin. Stoßen Sie da in der Beratung nicht an Ihre Grenzen?

Naja, es gibt ja Regeln, die man jetzt inzwischen schon kennt. Man kann 3G oder 2G durchsetzen, oder das als Wunsch formulieren. Man kann auch kommunizieren, warum man sich sicher fühlt. Es geht auch um Mitgefühl. Darum, Grenzen und Ängste ernst zu nehmen und zu sagen: "Okay, dann finden wir eine Lösung, unter der wir zusammen sein können. Wir sprechen uns vorher ab, welche Regeln gelten für unsere Weihnachtsfeier. Und diese Regeln werden von allen mitgetragen."

Wie weit funktioniert das im Einzelnen, was ist Ihr Eindruck?

Ich kann mir schon vorstellen, dass es da einige Grenzüberschreitungen gibt vonseiten derjenigen, die wirklich sehr verschwörungsgläubig sind. Wir haben hier in der Beratung eine Familie, wo bis auf eine Person alle verschwörungsgläubig sind: Mutter, Vater, Bruder. Die haben sich noch nie getestet oder denken nicht mehr über Impfungen nach. Und sie sind darauf erpicht, die andere Person eigentlich die ganze Zeit zu missionieren. Da ist es einfach unrealistisch zu erwarten, dass die jetzt an Weihnachten plötzlich sagen: "Ja, wir testen uns alle, damit du dich hier wohlfühlst." Die sind einfach in der Überzahl.

Wozu haben Sie da geraten?

Wir haben geraten zu überlegen: Wie groß ist der Wunsch, an Weihnachten dahin zu gehen? Wenn der Wunsch überwiegt, Zeit miteinander zu verbringen, dann kann man natürlich nur schauen, dass die Person selbst ihre doppelte Impfung oder den Booster hat und vielleicht auch noch getestet ist. Also alles tut, was an ihrer Macht steht. Es geht um die Einflussmöglichkeiten, die man selbst hat. Man kann die anderen nicht verändern. Für manch einen sind Verschwörungstheoretiker trotzdem die liebsten Menschen im Leben. Oder man versteht, warum die Leute da reingerutscht sind, und möchte sich nicht komplett von ihnen abgrenzen.

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Corona ausklammern – ist das ein praktikabler Rat an Weihnachten?

Man kann es versuchen. Es wird sicherlich den Moment geben, wo man etwas sagen muss wie: "Wir wissen doch, dass wir unterschiedliche Sichtweisen haben." Oder: "Ich wünsche mir jetzt, dass wir das einfach lassen; lasst uns etwas spielen, damit wir von dem Thema wieder wegkommen."

Also Sätze, die man sich zurecht legen kann ...

Ja. Verschwörungsgläubigen denken immer, dass ihnen ein Maulkorb verpasst wird. Dann kann man ja sagen, dass man das einem anderen Tag besprechen kann, es muss ja nicht an Weihnachten sein. Da kann man sich darauf einlassen und ist dann nicht so überrumpelt von dem Konflikt an der Stelle, wo er einfach nicht hingehört.

Ihr Fazit: Ist es möglich, dieses so wichtige Fest Weihnachten zu feiern, trotz größter Meinungsverschiedenheiten zu Corona?

Da, wo das Kind schon im Vorfeld in den Brunnen gefallen ist, da werden die Leute Weihnachten nicht zusammenkommen, weil der Verschwörungsglaube oder eine vehemente Impfgegnerschaft allen Lösungen im Weg stehen. Wenn aber die Beziehung in den Vordergrund gestellt wird - wenn es darum geht, dass man eine gute Zeit zusammen verbringt und dass einem die Menschen wichtig sind - dann kann es funktionieren. Wenn man sich bewusst macht, welche Sinnhaftigkeit hinter Weihnachten steckt und man das leben möchte. Dann schafft man das auch.

Frau Bahro, danke für das Gespräch.


Das Interview führte Sylvia Tiegs.

Sendung: Inforadio, 09.12.2021, 6 Uhr

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