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Video: rbb|24 | 12.01.2022 | Material: Super.Markt | Quelle: imago images/Cavan

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Hilfesuchende warten monatelang auf Termin bei einem Psychotherapeuten

Während der Corona-Pandemie ist die Zahl der Anfragen für eine psychotherapeutische Behandlung in Deutschland um 40 Prozent gestiegen. Ein großer Teil der Hilfesuchenden wartet bereits mehr als sechs Monate auf eine Behandlung. Das zeigen Recherchen des Verbrauchermagazins Super.Markt vom rbb.

"Sowohl die Pandemie selbst als auch die Maßnahmen zur Eingrenzung der Pandemie waren für viele Menschen sehr belastend. Wir beobachten eine Zunahme von Depressionen und auch von Angsterkrankungen", konkretisierte der Präsident der Bundespsychotherapeutenkammer, Dietrich Munz.

Interview | Psychiater zu Dauerbelastung

"Gute Stressbewältigung können wir alle gerade sehr gut gebrauchen"

Ein gefährliches Virus, einschränkende Maßnahmen, Meinungswirrwarr in der Politik: Die Pandemie empfinden viele Menschen als dauerhaften Stress. Wichtig ist sich klarzumachen, dass man dieser Situation nicht hilflos ausgeliefert ist, sagt Psychiater Mazda Adli.

Hilfesuchende müssen lange warten

Die Zahl der Therapieplätze hat sich allerdings nicht entsprechend dem gestiegenen Bedarf erhöht. Hilfesuchende müssen derzeit besonders lange auf eine Behandlung warten. Untersuchungen zeigen: Zwischen 2020 und 2021 konnten nur zehn Prozent der Anfragenden innerhalb eines Monats einen Behandlungsplatz erhalten. Knapp 40 Prozent mussten sogar länger als sechs Monate warten.

Die Anzahl der Kassensitze von Therapeutinnen und Therapeuten beruht immer noch auf Bedarfsplanungen von 1999 - laut Munz kamen seitdem deutschlandweit nur einige Hundert Sitze dazu. "Im Vergleich zu dem erforderlichen Bedarf von mehr als 3.000 Sitzen ist das natürlich nicht ausreichend und führt nur zu einer minimalen Verbesserung der Versorgung", so Munz.

Auf Super.Markt-Nachfrage schrieb der Gemeinsame Bundesausschuss, der die Richtlinien für die medizinische Betreuung festlegt, dass viele Kassensitze nicht zu 100 Prozent für die Patientenversorgung genutzt würden, da "ein Viertel der psychotherapeutischen Praxen 20 oder weniger Patienteninnen und Patienten im Jahr versorgen, und fast die Hälfte 30 oder weniger." Gründe dafür sind oft Nebentätigkeiten der Therapeuten zum Beispiel als Gutachter.

Corona-Auswirkungen

Mehr Berliner Kinder und Jugendliche in Psychiatrien

Das sozial eingeschränkte Leben in der Pandemie kann gerade bei Heranwachsenden psychische Krisen auslösen. Einer DAK-Studie zufolge wurden in Berlin zuletzt deutlich mehr junge Menschen in Psychiatrien aufgenommen. Fachleute zeigen sich besorgt.

Selbsthilfegruppen und Apps zur Überbrückung

Mehr Therapieplätze wird es erst einmal also nicht geben. Doch es gibt ein paar Tipps, wie Betroffene schneller Hilfe finden. Dietrich Munz empfiehlt Selbsthilfegruppen und auch Apps zur Überbrückung. Die Kosten für bestimmte geprüfte Apps übernehmen die Krankenkassen.

"Apps können hilfreich sein, aber sollten immer erst angewandt werden, wenn man mit einem Psychotherapeuten oder einer Therapeutin in Kontakt war und das besprochen hat", so Munz. Etwa in einem Erstgespräch, das über die Termin-Service-Stelle der Kassenärztlichen Vereinigung vereinbart werden kann. Sie ist verpflichtet, einen Termin innerhalb von vier Wochen zu vermitteln.

Auch mehr Kinder und Jugendliche in Berhandlung

In Berlin kommen seit Beginn der Corona-Pandemie auch deutlich mehr Kinder und Jugendliche zur Behandlung in psychiatrische Kliniken. Das hat eine Sonderauswertung der Krankenkasse DAK ergeben. Die Zahlen beruhen auf anonymisierten Daten von rund 38.000 Berliner Kindern und Jugendlichen.

Im ersten Halbjahr 2019 wurden demnach 22 junge Leute bis 17 Jahre wegen depressiver Episoden in Klinik-Psychiatrien behandelt. In den ersten sechs Monaten 2020 waren es 39. Das scheint nicht viel, allerdings kamen 2020 in diesem Zeitraum nur 928 über die DAK versicherte Berliner Kinder und Teenager überhaupt stationär in eine Klinik. Die Krankenkasse spricht von einer besorgniserregenden Entwicklung. Aktuellere Zahlen liegen nicht vor.

Sendung: SUPER.MARKT, 10.01.2022, 20:15 Uhr

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