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Quelle: dpa

Interview | Infektionsgeschehen in Neukölln

"Von der Partyszene geht eine Gefahr aus"

Neukölln gehört derzeit zu den Berliner Hochburgen der Corona-Lage. Im rbb|24-Interview analysiert der zuständige Gesundheitsstadtrat Liecke, warum das so ist. Und mit welchen Forderungen er am Freitag die Gesundheitssenatorin konfrontieren will.

rbb|24: Herr Liecke, Neukölln liegt mit einer aktuellen Inzidenz von 37,9 (Stand vom Donerstag) auf Platz drei der Berliner Bezirke mit der größten Infektionsdynamik. Wie begründen Sie als Vize-Bezirksbürgermeister und Gesundheitsstadtrat diese Situation? Wo liegen in Neukölln mögliche Corona-Hotspots?

Falko Liecke: Wir haben zur Zeit in Neukölln 219 aktive Fälle mit einem Durchschnittsalter von 34 Jahren. Am Mittwoch waren es 18 mehr Fälle als am Tag zuvor, davor waren es 25 mehr. Dabei gibt es hier ganz gemischte Ausbruchsbereiche. Es gibt nicht den einen Hotspot, vielmehr ziehen sich die Infektionen quer durch Neukölln. Kitas sind betroffen, das Krankenhaus Neukölln, Schulen, auch das Bezirksamt. Und überall sind es nur einzelne Personen, die positiv getestet wurden. Das ist also bei uns total heterogen. Das macht es aber auch so schwierig, weil wir uns nicht fokussieren können auf einen Ort.

Zur Person

Falko Liecke (47 Jahre alt) ist in Berlin-Neukölln groß geworden. Er ist verheiratet und Vater zweier Kinder. Mit 22 Jahren wurde Liecke Mitglied der CDU. Seine Verwaltungslaufbahn startete er 1990 in der Senatsinnenverwaltung. Nach Stationen in der Senatswirtschaftsverwaltung wechselte der studierte Verwaltungswirt im Jahr 2009 ins Bezirksamt Neukölln, wo er seitdem Gesundheitsstadtrat ist. Seit 2011 ist Liecke zudem stellvertretender Bezirksbürgermeister von Neukölln.

Nun wird Neukölln aber auch immer wieder in Zusammenhang mit illegalen Partys gebracht, gerade in der Hasenheide gab es zuletzt an Wochenenden immer wieder illegale Partys mit Hunderten Teilnehmern. Darin sehen Sie aber nicht die Hauptursache für die vielen neuen Fälle?

Nein, dass von den Partys in der Hasenheide besonders viele neue Infektionsfälle stammen, können wir nicht belegen. Das liegt aber auch daran, dass viele der Menschen dort gar keine Angaben machen, wenn wir sie fragen. Wir sind natürlich auf die Informationen der Betroffenen und ihrer Kontaktpersonen angewiesen, und wenn sie schlicht nicht sagen, ich war in der Hasenheide oder im Berghain und habe mich dort angesteckt, dann können wir das auch nicht einordnen.

Klar ist: Wir in Neukölln haben natürlich viele Partys und feiernde Menschen, aber eben kein gezieltes Ausbruchgeschehen wie zuletzt im Brauhaus Neulich, wo wir viele Infizierte aus einer Kneipe hatten. Aber wir haben grundsätzlich eine ansteigende Anzahl von Corona-Infizierten, worüber wir unbedingt mit der Gesundheitssenatorin sprechen müssen.

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Senat erwägt Alkoholverbote in Berlin

Denken Sie, dass das herbstliche Wetter, das Berlin nun bevorsteht, das Problem der illegalen Open Air-Partys von allein löst?

Nein, von der Partyszene geht eine Gefahr aus, und dieses Problem wird sich in der kommenden Zeit sogar deutlich verschärfen, weil sich die Menschen von draußen, wo eine geringere Ansteckungsgefahr besteht, in die Innenräume verlagern, dort die Abstände nicht einhalten, singen, tanzen, Alkohol trinken. Das wird steigende Zahlen zur Folge haben. Aber wir planen vorausschauend für die kommenden Monate, wir haben das im Blick.

Herr Liecke, der Regierende Bürgermeister Michael Müller hat wie zuvor schon Gesundheitssenatorin Kalayci ein Alkoholverbot ins Gespräch gebracht. Wäre ein solches hilfreich, um den feiernden Menschen etwas entgegenzusetzen?

Ich bin gar kein Fan von einem Alkoholverbot, ich glaube das bringt nichts. Wenn der Senat das erwägt, dann muss er ein solches nicht nur in Neukölln, sondern im gesamten S-Bahn-Ring einführen. Im Ergebnis werden die Menschen das trotzdem weiter tun. Wenn sie feiern wollen, dann fahren sie auch nach Pankow. Wir können das nicht verhindern.

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Clubs wollen nicht zum Corona-Sündenbock gemacht werden

Und wie stehen Sie zu den Vorstößen einzelner Bezirke wie Reinickendorf und Charlottenburg-Wilmersdorf, Restaurants für die Außenbereiche die eigentlich verbotenen Heizpilze ausnahmsweise zu genehmigen? Wird Neukölln dem folgen?

Ich bin da nicht die Entscheidungsgewalt, aber politisch unterstütze ich Heizpilze sehr. Wenn wir das zulassen, helfen wir der Gastronomie über die Durststrecke der kalten Jahreszeit und bieten ihr damit auch eine wirtschaftliche Überlebenschance. Hinzu kommt, dass die Infektionsgefahr im Freien einfach geringer ist als in geschlossenen Räumen. Ich fände es gut, wenn auch Neukölln das genehmigen würde.

Herr Liecke, wie steht es um private Feiern, um Hochzeiten, die in Ihrem Bezirk ja gerne auch mal in sehr großem Umfang gefeiert werden? Gab es zuletzt in diesen Bereichen ein starkes Infektionsgeschehen?

Nein, bisher gar nicht, da gab es keine Auffälligkeiten. Aber ich denke, dass das kommen kann, und da müssen wir vorbereitet sein. Wir wollen das an die Inzidenz knüpfen. Wenn die einen bestimmten Wert überschreitet, zum Beispiel 50, dann müssen limitierende Maßnahmen greifen. Das muss so in der Berliner Verordnung stehen, und das versuche ich auch am Freitag beim Treffen mit Gesundheitssenatorin Kalayci durchzusetzen.

Grundsätzlich ist es wichtig, für private Feiern die Infektionsschutzverordnung hier in Berlin anzupassen und die Teilnehmerzahl zu limitieren. Da schauen wir auch nach München und sagen ebenso: Auf privaten Feiern sollten außen maximal 50 Gäste möglich sein dürfen, in geschlossenen Räumen höchstens 25. Daneben muss bei Feiern eine Anwesenheitsdokumentation verpflichtend sein, es muss Bußgeldtatbestände geben. Wir müssen den Menschen klar machen, dass man das nicht auf die leichte Schulter nehmen darf!

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"Es hätte schon längst eine Entscheidung geben müssen"

Sie waren ja beim Treffen am Dienstag mit Gesundheitssenatorin Kalayci dabei. Was genau wurde da beschlossen? Und mit welchen Erwartungen gehen Sie in das Treffen am Freitag mit Frau Kalayci? Welche konkreten Maßnahmen müssen ergriffen werden?

Wir haben am Dienstag gemeinsam verabredet, die Partyszene mehr ins Auge zu fassen und eine abgestimmte Kontrollstrategie zu entwickeln. Jetzt müssen wir das aber auch mit Leben füllen. Wir brauchen dafür deutlich ausgeweitete Kontrollmöglichkeiten. Neben der Polizei müssen Ordnungsamts- und Gesundheitsamtsmitarbeiter in allen drei Innenstadtbezirken nicht nur Clubs, sondern auch die Gastronomie und Partys strenger und intensiver kontrollieren, wir brauchen hier systematisierte Kontrollaktionen.

Wir müssen am Freitag mit der Senatsinnenverwaltung besprechen, wie wir Task Forces bilden können, um den Kontrolldruck zu erhöhen. Wir müssen wie schon gesagt die Berliner Infektionsverordnung verschärfen, also strengere Obergrenzen einführen, auch bei privaten Zusammenkünften. Auch bei der Frage von Öffnungszeiten der Gastronomie brauchen wir eine berlinweite Lösung, das können nicht wir Bezirke allein entscheiden.

Zudem brauchen wir eine Aufklärungskampagne im Internet, im Social Media-Bereich, um jüngere Menschen für die Problematik zu sensibilisieren. Da braucht es auch prominente Werber und Vorbilder, vielleicht würde sich ja zum Beispiel Dr. Motte dafür anbieten.

Kurzum: Wir müssen grundsätzlich bei privaten Feiern die Zügel anziehen, und zwar maßvoll. Dann denke ich auch, dass wir diese Pandemie gut überstehen können.

Herr Liecke, haben Sie schönen Dank für das Gespräch.

Das Interview führte Frank Preiss

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