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Audio: rbb24 Inforadio | 06.10.2022 | Hendrik Schröder | Quelle: dpa/MATRIXPICTURES

Konzertkritik | Bob Dylan in Berlin

Der Gottesdienst

Wenn einer der einflussreichsten Musiker des 20. Jahrhunderts mit nunmehr 81 Jahren in die Stadt kommt, dann ist das mehr als eine Unterhaltungsveranstaltung. Dann bekommt das religiöse Züge. Hendrik Schröder hat Bob Dylan in Berlin erlebt.

Schon der Beginn wirkt wahnsinnig andächtig. Die Verti Music Hall ist komplett bestuhlt und es läuft keine Musik vor dem Konzert. Alle mussten ihre Handys in verschließbare Beutel tun. Bob Dylan möchte bei der Ausübung seiner Kunst weder fotografiert, noch durch irgendwas anderes gestört werden. Und so sitzen alle leise tuschelnd da, in dieser riesigen Halle. Erlebt man bei einem Gitarrenmusikkonzert eher selten.

In Reihe 9 sitzt ein ein Mann aus Bielefeld, der einem anderen Mann aus Lüdenscheid erzählt, dass dies hier sein 161. Bob-Dylan-Konzert sei. Die beiden hatten sich gerade kennengelernt. "Wenn der neue Tourplan rauskommt", so der Bielefelder weiter, dann sei das wie ein Marschbefehl, dann buche man Reisen und Tickets. Ob man will oder nicht. Der Lüdenscheider erwidert, dass er Dylan erst einige Mal gesehen habe, dafür aber über zwei Meter Platten von Neil Young besitze. Diese kleine mitgehörte Konversation illlustriert, mit was für Musikverrückten man es an diesem Abend zu tun hat.

Der listige Opa hat es faustdick hinter den Ohren

Dann gehen ziemlich pünktlich die Lichter im Saal aus, Dylan und Band fangen an - und das Gottesdiensthafte geht weiter. Die Bühne ist nämlich quasi von unten beleuchtet, was ungemein feierlich wirkt, dieses passive Licht auf die Musiker. Lichtstimmungen gibt es nur zwei: alles an, wenn Dylan singt, dunkler, wenn er nicht singt. Dazu relativ helles blaues Licht aufs Publikum.

Dylan sitzt so tief hinter seinem schwarz verkleideten, Altar-haften Klavier, dass man anfangs vom Parkett aus nur seinen Haaransatz ein bisschen wackeln sieht. Wenn er singt, beugt er sich vor und dann erkennt man sein Gesicht, ansonsten bleibt er bis auf wenige Momente fast komplett hinter dem Instrument verschwunden. Nach jedem Lied blättert er schnell irgendwas um, Note oder Texte vermutlich - und schon geht es weiter.

Aber ein paar Mal steht er auf und, naja, wackelt drei Meter in die Bühnenmitte und zeigt sich dem dann ausrastenden Publikum. Deutet einen Knicks an. Oder schwankt einfach. So genau ist das nicht zu sagen. Jedenfalls ist er in seinem schillernden grünen Hemd der coolste Hund überhaupt. Und ist da nicht die Andeutung eines Lächelns auf seinem sonst so steinernen Gesicht? Jedenfalls sieht er aus wie ein listiger Opa, der es faustdick hinter den Ohren hat. Und das stimmt ja auch.

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Kein Entkommen

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Bluesig und transparent

Dylan spricht wie gewohnt fast nicht mit seinem Publikum, bedankt sich ab und zu und stellt die Band vor, das war es. So war es immer, so ist es auch an diesem Abend. Nein, jemand wie Dylan, der spielt einfach. Aber anders als man das so lange von ihm kannte, ist dieser Abend sehr strukturiert, sehr klar. Es gibt kaum Neuinterpretationen seiner Songs oder ewige Jams wie früher so oft. Keine Setlist, die jeden Abend wie bunt ausgewürfelt erscheint und in der sogar erfahrenste Dylan-Experten nicht immer jeden Song wiedererkennen.

Nein, an diesem Abend spielt Dylan hauptsächlich Songs von seinem aktuellen Album "Rough and Rowdy Ways", was in Fachkreisen und unter Fans durchaus als hörenswertes und würdiges Spätwerk aufgenommen wurde. Super bluesig, super transparent klingen die Songs live. Dylans fünfköpfige Band ist dabei komplett auf den Chef konzentriert, hängt an seinen Lippen und Händen, jederzeit bereit, auf eine Eingebung des Meisters zu reagieren und doch mal Nuancen spontan zu ändern. Dylan singt anfangs etwas sehr krächzend, im Laufe des Konzerts wird es besser, manchmal hüpft und rollt seine Stimme regelrecht durch die Songs und man hat den Eindruck: Der hat auch mit 81 Jahren immer noch richtig Bock und Power.

Der Prediger und seine Gospel-Gemeinde

Wer allerdings zumindest am Ende die tollsten Hits aus sechs Jahrzehnten erwartet hat, der wird enttäuscht. Hat aber keiner. Macht Dylan nicht. Weiß man. Und so sitzen die Leute da und hören einfach zu. Ab und an, es kommt einem vor wie ein Ritual zwischen einem Prediger und seiner Gospel-Gemeinde, singt er irgendeine Textzeile besonders laut oder verwegen und wie auf Kommando jubelt der halbe Laden los. Versteht der Außenstehende kaum, kommt aber ziemlich gut. "Amen" will man nach manchem Song schreien. Macht man aber natürlich nicht. Dafür nehmen Künstler und Fans die ganze Sache dann doch zu ernst und man will so religiöse Rituale ja auch respektieren.

Sendung: rbb24 Inforadio, 06.10.2022, 9:55 Uhr

Beitrag von Hendrik Schröder

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